Für den Philosophen und früheren Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin ist klar: Der deutsche Datenschutz hat Leben gekostet. In einem Zeitungsinterview sagte er: „Wir schränken so gut wie alle unsere Grundrechte massiv ein. Nur in einem Bereich darf es keine Einschränkung geben: beim Datenschutz.“
Szenenwechsel: Jedes Jahr werden in Rheinland-Pfalz Tausende Handys gestohlen. Die Polizei könnte sie einfach orten lassen, doch halt: Das ist nur bei Straftaten mit „erheblicher Bedeutung“ zulässig, hier kann auch keine Ausnahme gemacht werden, wenn der rechtmäßige Eigentümer zustimmt: Datenschutz!
Jetzt haben sich die deutschen Datenschützer die Kontaktdaten-App „Luca“ vorgenommen und verlangen Nachbesserungen. Wird da wieder nichts draus? Sind unsere Datenschützer verbohrte Bürokraten, die ein eher abstraktes Rechtsgut auch unter Lebensgefahr für andere durchboxen wollen? Nein! Die Datenschützer sind Beamte, die an Recht und Gesetz gebunden sind. Sie dürfen es nicht einfach beugen, weil es gerade angeraten zu sein scheint. Ändern kann die verfahrene Lage nur der Gesetzgeber. Er könnte mit Leichtigkeit die Strafprozessordnung so abändern, dass gestohlene Handys mit Einwilligung des Eigentümers geortet werden können. Ein neuer Absatz in einem Paragrafen würde genügen. Aber das passiert nicht, Politik scheint überfordert.
Ebenso ließ sich eine Härtefallregelung in das Bundesdatenschutzgesetz einbauen, die es in der Corona-Krise erlaubt, Kontaktverfolgungs-Apps eine Zeit lang mit Datenschutzdefiziten einzusetzen. Die Mängel, die von den Datenschützern bei der Luca-App festgestellt wurden, sind nicht zu bestreiten – sie sind aber nicht so gravierend, dass man die App deswegen verzögern müsste. Man könnte sofort loslegen und nachbessern. Wir alle, vor allem die Politiker, brauchen Mut zur Lücke und die Abkehr vom Streben nach (unerreichbarer) Perfektion – sonst kostet Datenschutz Menschenleben.
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