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Die Brandstifter: Die Gerüchte um den angeblichen Missbrauch an einer Koblenzer Kita beruhigen sich nicht – Wer steckt dahinter?

Von Gisela Kirschstein
Die Kita St. Martin ist vorübergehend geschlossen. Einige Mitarbeiter haben sogar Polizeischutz. Foto: Sascha Ditscher
Die Kita St. Martin ist vorübergehend geschlossen. Einige Mitarbeiter haben sogar Polizeischutz. Foto: Sascha Ditscher

Wegen der Missbrauchsvorwürfe gegen Mitarbeiter einer Koblenzer Kita, die sich als haltlos erwiesen haben, ruft nun ein Bündnis unter dem Titel „Justice for Meryem“ (Gerechtigkeit für Meryem) zu einer Demonstration in Koblenz an diesem Samstag auf. Die Anmelder kommen allesamt aus dem arabisch-türkischen Spektrum. Was dabei auffällt: Die Akteure kommen nicht aus Koblenz. Seit Tagen wird auf türkischen und arabischen Seiten in sozialen Netzwerken umfangreich Stimmung gegen die Kita und ihre Mitarbeiter gemacht, es werden massive Vorwürfe wegen Vertuschung und Untätigkeit gegen Staatsanwaltschaft und Polizei erhoben. Der Tenor: Die Ermittlungen seien viel zu früh eingestellt worden, man müsse „Gerechtigkeit“ für das kleine Mädchen und seine Eltern fordern.

Lesezeit: 3 Minuten
„Aus diesem Vorfall und dem Ansinnen der Eltern wird gerade eine riesige Empörungsblase gemacht“, betont die Islamismusanalystin und Bloggerin Sigrid Herrmann-Marschall im Gespräch mit unserer Zeitung. „Mittlerweile wird das Thema zigfach auf YouTube behandelt und von Fundamentalistenseiten weiterverbreitet“, sagt Herrmann-Marschall. Es habe sich „eine Allianz von Personen aus dem muslimisch-identitären ...
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Welche Rolle der Verein Kinderseelenschützer in der Internethysterie spielt

Bundesweit verursachen die Geschehnisse in der Kita in Koblenz ein Medienecho – und in den sozialen Netzwerken geht es ohnehin hoch her. Ein Hauptakteur auf Facebook und Instagram ist der Verein Kinderseelenschützer in Bochum. 2019 gegründet, hat er zum Ziel, Kindern, die Missbrauchsopfer wurden, und deren Familien zur Seite zu stehen. Die Mitstreiter um den Vorsitzenden Dennis Engelmann agieren bundesweit, haben laut Engelmann schon diverse Missbrauchsopfer betreut. Doch einen Fall wie den in Koblenz, der auch nur annähernd ähnliche Dimensionen angenommen hat, hatten sie noch nicht.

Auf die Koblenzer Geschehnisse wurden die Kinderseelenschützer laut Engelmann aufmerksam gemacht. Der Verein spielte das Thema auf seinen Kanälen, angefangen von ersten Meldungen zum mutmaßlichen Missbrauch eines vierjährigen Mädchens über die Mitteilung der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen seien eingestellt, weil sich keine Hinweise auf sexuelle Gewalt finden ließen, bis hin zu den Videos der verzweifelt wirkenden Mutter und des Vaters. Immer wieder übte der Verein Kritik an Polizei und Staatsanwaltschaft. Im Gespräch mit unserer Zeitung betont Engelmann: „Wir sind kritisch, wir stellen Fragen – und für uns gibt es Ungereimtheiten in der Ermittlungsarbeit.“ Er wünscht sich mehr Transparenz in der Sache, auch wenn er der Koblenzer Polizei zugutehält, dass sie jüngst mit einem Video versucht hat, Vorwürfe sachlich zu entkräften – als Reaktion auf die Welle der Empörung im Internet.

Für ihre kritische Haltung in dem Fall bekommen Engelmann und Vereinskollegen viel digitalen Applaus – allein auf Facebook freunden sich über Nacht mehr als 1500 Fans mit dem Verein an. In einem überwältigten Post verkünden die Kinderseelenschützer die Zahl ihrer neuen Anhängerschaft – mittlerweile ist Engelmann über Teile dieser Gefolgschaft nicht mehr glücklich. Und ebenso wenig mit den „Auswüchsen“ infolge der Empörung: Er distanziert sich von den Drohungen gegen die Mitarbeiter der Kita und gegen die Ermittlungsbehörden. „Das geht gar nicht.“ Mehr als unangenehm überrascht ist er auch über einige Namen unter den neuen digitalen Vereinsfreunden, macht Engelmann deutlich. Dazu gehört etwa der des türkisch-nationalen Bloggers Bilgili Üretmen, der die Einträge des Vereins teilt und in seinem Sinn deutet.

Auf die politischen Hintergründe Üretmens und von weiteren Facebook-Freunden wurden sie über mehrere Stellen aufmerksam gemacht, erzählt Engelmann. „Wir als Verein, der sich in einem ganz anderen Kulturkreis bewegt, können solche Zusammenhänge nicht einordnen.“ Jetzt aber schaue man genau hin, Engelmann fürchtet, dass sein Verein für politische Zwecke instrumentalisiert wird. Man wolle sich garantiert nicht vor einen politischen Karren spannen lassen. „Uns geht es darum, dass das Mädchen und seine Familie Hilfe bekommen. Um nichts anderes.“

Der Vorsitzende hofft, über den Anwalt, den die Familie des Mädchens jüngst bestellt hat, Einsicht in die Ermittlungsakte zu bekommen. Sollte dann die Kritik nicht haltbar sein, „sind wir die Ersten, die das in unseren Kanälen teilen“. Der Verein würde dann allerdings weiter fragen, wie es zu den Missbrauchsaussagen des Mädchens und ihrer Eltern komme. „Ich bin gespannt, ob wir, sollte unsere Kritik an den Behörden verstummen, dann noch so viel Zuspruch aus den entsprechenden Kreisen bekommen.“ Wobei gespannt das falsche Wort ist: Engelmann ist besorgt. Anke Mersmann

Wie die Entwicklung in der Koblenzer Kita St. Martin eskaliert ist

22. September: Unter der Überschrift „Sexueller Missbrauch in der Kita?“ berichtet unsere Zeitung zum ersten Mal über die Anschuldigungen gegen die Koblenzer Kita St. Martin. Zu dem Zeitpunkt ermittelt die Kriminalpolizei bereits seit einigen Wochen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch eines vierjährigen muslimischen Mädchens in der Pfaffendorfer Kita. Laut den Eltern erzählte das Kind, es sei in der Kita geduscht worden, habe weiße Kleidung und eine Krone bekommen, sei dann von einem Mann missbraucht und dabei gefilmt worden.

20. Oktober: Das Ermittlungsverfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs in der Kita St. Martin wird eingestellt. Das teilt die Staatsanwaltschaft Koblenz mit. Umfangreiche Ermittlungen hätten keine hinreichenden Hinweise auf die Tat ergeben, heißt es. Weder eine am angeblichen Tattag vorgenommene körperliche Untersuchung habe die Vorwürfe belegt, noch ließen DNA-Untersuchungen entsprechende Rückschlüsse zu. Auch die Angaben zu den räumlichen Gegebenheiten wurden überprüft, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Den Raum, in dem der Missbrauch stattgefunden haben soll, gibt es in der Kita nicht. Am selben Tag stellt die Mutter des Mädchens ein fast zehnminütiges Video online, in dem sie von dem angeblichen Missbrauch berichtet. Das Video wird Stand 23. Oktober mehr als 22.000-mal aufgerufen.

21. Oktober: In der beschuldigten Kita St. Martin kehrt keine Ruhe ein. Seitdem das Video der Mutter im Internet kursiert, schwappt eine Welle der Empörung über die Kita, den Kitaträger und die Stadt Koblenz. Hunderte von E-Mails und Anrufen gehen ein. Der Vorwurf: Die Sicherheitsbehörden wollten den Fall vertuschen, gingen den Hinweisen nicht hartnäckig genug nach und würden die Täter decken. Das Verhalten der Polizei sei rassistisch motiviert, weil es sich um ein muslimisches Opfer handele. Es kommt sogar zu Morddrohungen gegenüber Kitamitarbeitern. Auch aus dem Ausland gehen Drohungen ein. Einige Angestellte werden unter Polizeischutz gestellt.

22. Oktober: Die Kitaeinrichtung auf der Pfaffendorfer Höhe wird wegen massiver Drohungen vorübergehend geschlossen. Derweil versucht die Polizei mithilfe eines Aufklärungsvideos zu den Ermittlungen, die ungebremste Hysterie in den sozialen Netzwerken zu beruhigen. Unterdessen bestätigt die Koblenzer Staatsanwaltschaft, dass es zwei weitere Anzeigen von Eltern gibt, deren Kinder die Kita St. Martin besuchen. Sie sollen ein stärkeres sexualisiertes Verhalten gezeigt haben, heißt es. Laut Staatsanwaltschaft hat sich in einem Fall kein Anfangsverdacht einer Straftat ergeben, in dem anderen Fall dauern die Ermittlungen noch an.

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