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Debatte im Mainzer Landtag: „Rasse“ aus der Verfassung streichen?

Von Ursula Samary
Das ist die Urschrift der Landesverfassung von 1947. Sie wird im Tresor des Landtags aufbewahrt.
Das ist die Urschrift der Landesverfassung von 1947. Sie wird im Tresor des Landtags aufbewahrt. Foto: Landtag Rheinland-Pfalz/Klaus Benz

Mit weltweiten Antirassismusdemos nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd ist die Debatte um den Rassebegriff im Grundgesetz aufgeflammt. Jetzt erreicht sie den Mainzer Landtag, der die Landesverfassung schon bald ändern könnte. Nach ersten Irritationen und Muskelspielen wollen SPD, FDP und Grüne eine neue Formulierung suchen, die Menschen konsequent vor Rassismus schützt. Dabei stellt sich die CDU nicht quer, wenn man dem Verfassungsziel gerecht wird. Da für die Änderung die Zweidrittelmehrheit gebraucht wird, kommt es auf die CDU entscheidend an.

Lesezeit: 3 Minuten
Die Debatte entwickelt sich mit diskreten Seitenhieben im Vorwahlkampf binnen Tagen rasant und konkret, wie ein Protokoll guter Parlamentskultur im Zeitraffer zeigt: Per dpa-Meldung fordert Familien- und Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne), in der Ampelkoalition unabgesprochen, am Dienstagmorgen, den Rassebegriff auch aus der Landesverfassung zu streichen. Dies ruft schnell Justizminister Herbert ...
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Giorgina Kazungu-Haß (SPD): Als Kind wünschte ich mir immer, weiß zu sein

Demonstranten kämpfen in Deutschland gegen Rassismus. Die SPD-Landtagsabgeordnete Giorgina Kazungu-Haß ist Tochter eines kenianischen Vaters und einer deutschen Mutter und die einzige schwarze Politikerin im rheinland-pfälzischen Parlament. Im Interview setzt sich die 42-Jährige dafür ein, dass die Proteste nicht zu einer Art Lifestyle verkommen, schildert ihre eigenen Erlebnisse mit Rassismus und hat Vorschläge, wie die Landespolitik Rassismus wirksamer bekämpfen kann.

Menschen in Deutschland demonstrieren für „Black Lives Matter“ auf den Straßen und im Internet. Kann die Bewegung den Rassismus eindämmen?

Vielleicht um wenige Zentimeter. Ansonsten bin ich skeptisch. Es ist einfach, in einen Protest einzusteigen, wenn er Missstände in den USA angreift. Das Video, in dem der Polizist George Floyd den Atem abgeschnürt hat, war grausam und unmenschlich. Ich finde es löblich, wenn sich viele aktivieren und dagegen auf die Straße gehen. Wir haben aber auch in Deutschland spätestens nach dem Anschlag in Hanau genug damit zu tun, gegen Rassismus im Land zu kämpfen, weil er auch hier grassiert. Wir müssen aufpassen, dass der Kampf nicht bloß zum Lifestyle verkommt.

Was meinen Sie damit?

Wenn jeder auf Instagram für einen Tag ein schwarzes Bild postet, um auf Rassismus aufmerksam zu machen, ändert das erst einmal nichts am grundsätzlichen Problem. Wir müssen erkennen, dass Rassismus für viele Menschen in Deutschland trauriger Alltag ist. Es ist eine Geißel, die wir loswerden müssen.

Wie kann das gelingen?

Jeder muss für sich überprüfen, wo man selbst rassistisch denkt und handelt. Gibt es Gewalttaten, driften Debatten schnell in Fragen ab, ob Opfer integriert genug waren. Das ist nicht der Kern des Problems. Die Aufarbeitung von Rassismus darf sich auch nicht nur in Opfergeschichten erschöpfen. Es ist genauso wichtig, dass in der Wirtschaft und im öffentlichen Leben mehr Gleichheit für Menschen mit Migrationshintergrund geschaffen wird – ob bei Journalisten, Schauspielern, Firmenchefs oder Politikern.

Sie sind die einzige schwarze Abgeordnete im rheinland-pfälzischen Landtag. Überregional wurde schon mal die Geschichte bekannt, dass ein Bahn-Schaffner zu Ihnen und Ihrer Familie im Zug sagte: „Das ist die 1. Klasse. Ihr müsst raus.“ Gab es noch mehr Anfeindungen in Ihrem Leben?

Leider ja. Bei Schwarzen gibt es viele nervige Assoziationen. Als Jazzsängerin hörte ich oft: „Typisch, die muss das ja können, die ist ja schwarz.“ Für mich war das ein Grund, noch mehr zu üben. Als ich im Rektorat einer Schule war, kam der Spruch: „Toll, dass Sie da mehr Farbe reinbringen.“ Ich habe mich aber noch nie so schwarz gefühlt wie als Abgeordnete.

Warum?

In den letzten vier Jahren habe ich viele Shitstorms erlebt. Ich musste mir anhören: „Oh, so Leute wie Sie sind auch Abgeordnete?“ oder „Dürfen Sie überhaupt Abgeordnete sein?“ Wenn ich in der Pfalz auf Demos war, auf denen gegen die AfD protestiert wurde, drohten mir Leute Prügel an und sagten: „N..., hau ab!“ Als die Geschichte mit der Bahn öffentlich wurde, bekam ich Briefe, in denen stand: „Dann verlasse doch das Land und gehe nach Hause.“ Das hat mich fertiggemacht. Würde ich das übrigens tun, würde ich nach Koblenz gehen. Denn da bin ich geboren.

Als Politikerin haben Sie auch Einfluss. Was kann die Landespolitik machen, um Rassismus stärker zu bekämpfen?

Ich persönlich kann mir vorstellen, im Land die Stelle eines Antirassismus-Beauftragten zu schaffen. Für die Kommunikation wäre es wichtig, jemanden zu haben, dem sich Menschen mit ihren täglichen Erfahrungen anvertrauen können und der diese Erlebnisse der Politik und Öffentlichkeit nahebringt. Viele Menschen mit Migrationshintergrund werden benachteiligt und haben bislang einfach keine Möglichkeit, diese Ungerechtigkeiten zu äußern und politischen Einfluss zu nehmen. Die Erfahrungen mit dem Antisemitismus-Beauftragten, der Judenhass eindrücklich anmahnt und Verbesserungen schafft, sollten uns zu diesem Schritt ermutigen. Rheinland-Pfalz sollte auch Antirassismus als Staatsziel in die Landesverfassung aufnehmen – so wie Sachsen-Anhalt es nach dem Hanau-Attentat getan hat.

Was würde sich für Menschen mit Migrationshintergrund dadurch ändern?

Jedes Gesetz müsste auf den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus geprüft werden und jede gesellschaftliche Gruppe berücksichtigen. Im Arbeitsrecht wäre der Druck dann beispielsweise größer, das Verfahren bei Bewerbungen zu ändern. Viele Menschen mit Migrationshintergrund sind da benachteiligt, wenn Firmen sie wegen ihrer Fotos direkt aussortieren. Es wäre eine öffentliche Debatte wert, ob wir bei Bewerbungen nicht lieber mit anonymisierten Nummern und ohne die vermaledeiten Bilder arbeiten wollen. Ich sage deutlich: Wir wollen keine neuen Privilegien – wir wollen bloß Chancengleichheit.

SPD-Landeschef Roger Lewentz widersprach zuletzt Saskia Esken, die unterschwelligen Rassismus in der Polizei angemahnt hatte. Die sozialdemokratische Mainzer Ortsvorsteherin Tatiaña Herda Munoz warf ihm daraufhin vor, aus der Sicht eines weißen, privilegierten Mannes zu sprechen. Ist Rassismus bei der Polizei ein Problem und der Innenminister blind dafür?

Roger Lewentz ist sicher nicht der typische alte, weiße Mann. Da wäre er bei uns in der SPD auch verkehrt (lacht). Es ist auch gefährlich, Polizisten unter Generalverdacht zu stellen, weil natürlich nicht die ganze Struktur rassistisch durchsetzt ist. Ich empfehle trotzdem, Rassismus ohne Scheu und mit mehr Güte zu diskutieren. Es ist gut, dass die Bundesregierung rassistische Tendenzen in der Polizei in einer Studie untersuchen lassen will. Genauso wichtig ist es, in der Ausbildung von Beamten – ob Lehrer oder Polizisten – immer wieder Rassismus zu thematisieren und das, was er mit Menschen macht.

Was macht Rassismus mit Betroffenen?

Die Gefahr ist groß, dass das Fremdbild zum Selbstbild wird, man sich wenig zutraut und nie in Gänze akzeptiert fühlt. Als Kind fand ich immer die anderen schön – mich nie. Zum Geburtstag wünschte ich mir sogar immer, weiß zu sein. Es ist traurig, wenn Kinder so denken.

Das Interview führte Florian Schlecht

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