Rheinland-Pfalz

Bei einer Sondersitzung der Regierung wird klar: Der Wiederaufbau wird Jahre dauern

Von Carsten Zillmann
Der rheinland-pfälzische Landtag hat in einer Sondersitzung von drei Fachausschüssen eine Zwischenbilanz zur Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz gezogen. Klar ist: Hilfe soll schnell in betroffenen Orten wie Altenahr (Foto) ankommen.  Foto: dpa
Der rheinland-pfälzische Landtag hat in einer Sondersitzung von drei Fachausschüssen eine Zwischenbilanz zur Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz gezogen. Klar ist: Hilfe soll schnell in betroffenen Orten wie Altenahr (Foto) ankommen. Foto: dpa

Es gab ein Zauberwort in der Sondersitzung der Landtagsausschüsse zur Hochwasserkatastrophe. Das Wort heißt „unbürokratisch“. Für komplexe Antrags-, Raumordnungs- oder Planfeststellungsverfahren ist im Katastrophengebiet an der Ahr keine Zeit. Darin waren sich alle Fraktionen einig. Denn der Wiederaufbau des einst malerischen Ahrtals wird ohnehin „sehr, sehr lange dauern“, wie Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in der Mainzer Steinhalle erklärte.

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Der Fraktionsvorsitzende ihres Koalitionspartners FDP, Philipp Fernis, formulierte es sehr deutlich: „Wir müssen jetzt alle rechtlichen Hürden fallen lassen, die den Wiederaufbau verhindern“, sagte der Bad Kreuznacher. „Wir können uns nun nicht mit Planungsverfahren aufhalten.“ Diese hätten ihre Berechtigung, wenn „auf der grünen Wiese gebaut“ wird. „Und selbst da dauern sie zu lange.“ Nun gelte es, aufs Tempo zu drücken, denn der Wiederaufbau in der Region werde ohnehin Jahre dauern. „Der Aufbau belastbarer Verkehrswege darf nicht durch Zettelwirtschaft und zähe Amtsbürokratie verzögert werden“, sagte Fernis. „Die Menschen packen derzeit mit aller Kraft und Eifer an. Wir müssen ihnen eine Perspektive bieten.“

Ein Positivbeispiel lieferte der Bürgermeister der betroffenen Stadt Sinzig, Andreas Geron (parteilos). „Wir haben vor drei Tagen eine Firma ohne Vergabeverfahren beauftragen können, die neue Wasserleitungen unter der Ahr verlegt hat. Kein Provisorium. Dauerhaft“, sagte er. Das Land habe die entsprechende Genehmigung erteilt. „Wir können in diesem Land schnell und modern sein – wenn wir wollen.“ Technisch betrachtet werden die Leitungen unter dem Fluss „hindurchgeschossen“. „Damit haben wir ein großes Problem – die Frischwasserversorgung – wirklich unbürokratisch lösen können.“

Das gesamte finanzielle Ausmaß der Katastrophe ist nach den Worten von Finanzministerin Doris Ahnen (SPD) derweil noch unklar. „Sicher ist, die sichtbaren Schäden gehen schon jetzt in die Milliardenhöhe“, sagte sie. Ob die Katastrophe einen Nachtragshaushalt für 2021 erforderlich macht, sei noch nicht abzusehen. „Schon jetzt ist klar, dass die Katastrophe den Landeshaushalt auf Jahre hinaus belasten und beschäftigen wird.“ Der Fraktionschef der Freien Wähler, Joachim Streit, forderte einen Sonderhaushalt des Landes in Höhe des Corona-Sondervermögens von 2 Milliarden Euro. Nach Gesprächen mit Versicherungen beziffert er den Gesamtschaden inzwischen im zweistelligen Milliardenbereich.

Der Wiederaufbau sei eine enorme Herausforderung, betonte auch Ahnen. In der ersten Phase geht es nach Angaben der Finanzministerin um Soforthilfen wie 3500 Euro je geschädigtem Haushalt. In einer zweiten Phase soll dann die Höhe der entstandenen Schäden genauer ermittelt werden. Ende Juli oder Anfang August werde es Gespräche mit Bund und Ländern über den Wiederaufbau geben, der dann in der dritten Phase umgesetzt wird. Als solidarische Lösung für die Zukunft nannte Ahnen dabei „eine Art Wiederaufbaufonds“.

Ahnen bedankte sich wie Ministerpräsidentin Dreyer und andere Minister für die Spendenbereitschaft der Bevölkerung. Allein auf dem Spendenkonto der Landesregierung seien bereits mehr als 8,6 Millionen Euro eingegangen.

Oppositionsführer Christian Baldauf wiederum erneuerte seine Forderung nach einem Elementarschadenfonds. Der soll vor allem Menschen entschädigen, die ihre Häuser nicht über eine Police absichern können oder nun besonders schwer vom Hochwasser getroffen wurden. „An der Ahr hat die Stunde null geschlagen“, sagte er. „Wir müssen alles dafür tun, dass die Menschen wieder in ihrer Heimat leben können.“

Die Mainzer Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) erklärte, dass das Land den Wiederaufbau der Wasserinfrastruktur und der beschädigten Kläranlagen im Land teils bis zu 100 Prozent fördern will. Mit Blick auf die Räumung der Müllberge habe die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord (SGD) zudem eine Ausnahmegenehmigung für die Deponie Eiterköpfe im Kreis Mayen-Koblenz zur Ablagerung von Haus- und Sperrmüll gegeben. Carsten Zillmann