Rheinland-Pfalz

Advent an der Ahr: Zeit des Nachdenkens nach der Flut

Von Ira Schaible
Fast trotzig schmücken viele Menschen im Ahrtal Straßen und Häuser weihnachtlich. Doch gerade jetzt, in der Vorweihnachtszeit, kommen bei vielen auch die psychischen Folgen der Katastrophe hoch.  Foto: dpa
Fast trotzig schmücken viele Menschen im Ahrtal Straßen und Häuser weihnachtlich. Doch gerade jetzt, in der Vorweihnachtszeit, kommen bei vielen auch die psychischen Folgen der Katastrophe hoch. Foto: dpa

Katrin Jagos geht im Ahrtal von Haus zu Haus, um mit den von der Flutkatastrophe schwer getroffenen Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Pädagogin versucht bei ihren sogenannten Mittagsspaziergängen zu hören, was die Menschen brauchen und was sie belastet.

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„Es ist schwierig zu erkennen, wo noch was fehlt“, sagt der Opferbeauftragte Detlef Placzek, der Jagos' Stelle ins Leben gerufen hat. Die Bürger können sich aber auch selbst an Jagos wenden, wenn sie Hilfe oder Unterstützung brauchen – etwa beim Aufbau, bei Verwaltungsfragen, aber auch bei der psychosozialen Versorgung. Vormittags ist Jagos, die zuvor in der Familienhilfe gearbeitet hat, dafür in der Regel in ihrem Büro im Jobcenter Bad Neuenahr-Ahrweiler anzutreffen.

Trotz der mehr als 20 Info-Points im Katastrophengebiet und der Bürgerversammlungen hätten aber noch immer einige Menschen nichts von den zahlreichen Hilfsangeboten gehört, sagt Placzek. Sie sollen mit der aufsuchenden Sozialarbeit – den Spaziergängen und Sprechstunden von Jagos – erreicht werden. Die meisten Leute seien dankbar für das Angebot, berichtet Jagos. „Die am schwersten Betroffenen sind aber meist nicht mehr vor Ort“, hat die Sozialpädagogin festgestellt. Denn viele Häuser sind abgerissen oder so stark zerstört, dass sie noch längst nicht wieder bewohnbar sind. Bei manchen Häusern weiß niemand genau, wo die Bewohner nun leben und wie es ihnen geht.

Dazu kommt die dunkle Jahreszeit mit Weihnachten und dem Jahreswechsel. Niemand soll sich allein fühlen. Der Opferbeauftragte hatte deshalb eine Reihe von Adventsfeiern auf den Weg gebracht. Doch die müssen jetzt wegen Corona ausfallen. Die Organisation sei bei den schärferen Corona-Schutzregeln, die von Samstag an gelten, nur sehr schwer umsetzbar „und würde in der derzeitigen Situation ein falsches Signal setzen“, sagt Placzek bedauernd.

Denn: „Weihnachten ist die Zeit, wo man ein bisschen sentimental nachdenkt“, weiß der Opferbeauftragte. Um den Menschen trotz der Corona-Lage ein Gesprächsangebot zu machen, hat der Opferbeauftragte in Kooperation mit verschiedenen Netzwerkpartnern eine Rund-um-die-Uhr-Hotline eingerichtet.

„Das Ausmaß und die Dauer des psychischen Leidens sind nur schwer einzuschätzen“, sagt Placzek. Nicht jeder sei traumatisiert, die Flutkatastrophe werde die Menschen aber ganz sicher noch lange beschäftigen. „Wir werden die psychosoziale Betreuung so lange wie notwendig aufrechterhalten und den Betroffenen beiseitestehen“, verspricht Placzek. Ein Nachsorgekonzept sei auch angedacht.

Trotz einer Reihe von psychologischen Hilfsangeboten und Hotlines gebe es allerdings viel zu wenige Therapieplätze, kritisiert Placzek. Zusammen mit Fachkliniken richtet das Land ein Traumahilfezentrum im Ahrtal ein: Am Montag wollen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Gesundheitsminister Clemens Hoch (beide SPD) das Angebot in Grafschaft-Lantershofen eröffnen. Es soll eine direkte Anlaufstelle sein – nicht nur für die Vermittlung von Therapieangeboten, sondern auch ganz niedrigschwellig für Begegnung und Beratung, wie es im Gesundheitsministerium heißt. Geplant seien auch offene Sprechstunden, regelmäßige Informationsveranstaltungen und offene Vorträge zu Themen wie Umgang mit Stress und Stabilisierung.

Von Ira Schaible

Land fördert psychosoziale Betreuung mit rund 130 000 Euro

Der Schmerz ist weiter da: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat sich einen persönlichen Eindruck vom Stand der Arbeiten und zu unterschiedlichen Hilfsprojekten verschafft – viereinhalb Monate nach der Flutkatastrophe vom 14./15. Juli.

„Es wird noch lange dauern, bis die seelischen Wunden verheilt sind und die Menschen einen normalen Alltag leben können“, sagte Dreyer nach Erkundungen an vier Orten. „Aber es gibt bereits große Fortschritte beim Aufbau der Infrastruktur, die schrittweise mehr Normalität möglich machen.“

Dreyer besuchte unter anderem die Gemeinde Schuld und das Schulzentrum in Sinzig. Schließlich überreichte sie in Bad Neuenahr-Ahrweiler einen Förderbescheid über 130.200 Euro für ein Projekt der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz zur Unterstützung von Betroffenen und Schulung von Fachkräften. „Die traumatischen Erlebnisse der Flut haben bei vielen Betroffenen zu starken psychischen Belastungen geführt“, sagte Dreyer. „Viele Menschen haben Schlimmes erlebt und brauchen Hilfe, um die Bilder jener Nacht zu verarbeiten.“

Flutkatastrophe im Ahrtal
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