Berlin

Geheimpapier gibt Einblicke in AfD-Strategie: Partei setzt gezielt auf Provokation [Update: Reaktion der AfD]

Von Birgit Pielen

Provozieren statt differenzieren: Mit dieser Strategie will die Alternative für Deutschland (AfD) im Bundestagswahlkampf und in drei Landtagswahlkämpfen (Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) in diesem Jahr um Wählerstimmen werben. Das geht aus einem vertraulichen Papier für den AfD-Bundesvorstand hervor, das unserer Zeitung vorliegt. Parteichefin Frauke Petry bestätigte gegenüber unserer Zeitung die Echtheit des Dokuments, das offenbar auch als längerfristige Parteistrategie gilt.

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In dem 33-seitigen „AfD-Manifest 2017 – Demokratie wieder herstellen – Dem Volk die Staatsgewalt zurückgeben“ geht es darum, wie die Rolle als „Tabubrecher und Protestpartei“ geschärft werden kann. Wörtlich heißt es: „Die AfD muss ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein, zu klaren Worten greifen und auch vor sorgfältig geplanten Provokationen nicht zurückschrecken. Dabei muss die Seriosität allerdings gewahrt werden.“ Insgesamt gehe „Eingängiges vor Vollständigkeit“.

Mit dieser Taktik soll die Partei offenbar „als dauerhafte politische Kraft in Deutschland“ etabliert und drittstärkste Fraktion nach der Bundestagswahl am 24. September werden. Dabei beruft man sich auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa, das das Potenzial für die AfD bei 23 Prozent sieht. Aber: Diese Umfrage stammt von Anfang 2015, ist also zwei Jahre alt. Laut einer Emnid-Umfrage vom Wochenende fällt der tatsächliche Zuspruch für die AfD weitaus geringer aus: 9 Prozent der Wähler würden aktuell für die Partei stimmen – der schlechteste Wert seit einem Jahr. Aber dennoch wäre die AfD, wenn am Wochenende gewählt worden wäre, nach SPD und Union die drittstärkste Partei im Bundestag.

In den Wahlkämpfen will die AfD fünf Zielgruppen ansprechen: Euro-Skeptiker, Liberal-Konservative, Protestwähler, Nichtwähler und Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen – im AfD-Jargon die „kleinen Leute“, die sich als Verlierer der Globalisierung fühlen. „Die Reaktionen und die Befindlichkeiten anderer Teile der Gesellschaft sind von untergeordneter Bedeutung“, heißt es. „Sie sind eher Zielscheiben als Zielgruppen.“

Vor allem von der Union will die Partei Wähler gewinnen – und die Bundestagswahl zu einem „Plebiszit gegen Angela Merkel“ machen. Es gebe einen „Überdruss an Merkel“, die Kanzlerin sei zu einem „Auslaufmodell“ geworden, heißt es in dem Papier.

Ohnehin will sich die AfD „perspektivisch stärker gegenüber der politischen Mitte öffnen“. Als Hindernis sieht sie dabei „das von Medien und Altparteien erzeugte Image, dass die AfD weit rechts positioniert ist und sich nicht klar gegen Rechtsextremismus abgrenzt“. Als Strategie wird dem Bundesvorstand nun empfohlen, dass die AfD als Partei zwar Abstand zu rechtsextremen Gruppierungen haben sollte, aber dass das „Mitwirken individueller AfD-Mitglieder bei in den Mainstream-Medien suspekten Gruppen“ durchaus toleriert wird.

Außerdem will die Partei gezielt an „Demonstrationen und Aktionen teilnehmen, die vom Mainstream initiiert werden“ – beispielsweise an Gedenkveranstaltungen nach Terrorakten oder Anschlägen auf jüdische Einrichtungen. Damit will man Wähler überzeugen, die bisher um ihr gesellschaftliches Ansehen bangten, wenn sie ein öffentliches Bekenntnis zur AfD ablegten. Außerdem empfiehlt das „Manifest“, ganz gezielt auf Tuchfühlung zu örtlichen Bürgervereinen zu gehen und Vereinsmitgliedschaften „diskret, aber bewusst für die AfD zu nutzen“.

Von unserer Redakteurin Birgit Pielen

[Update] Provokation im Dienste des Bürgers?

Dr. Jan Bollinger, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz nahm Stellung zur Berichterstattung unserer Zeitung:

„In einer Demokratie gehört es zu den ersten Aufgaben der Volksvertreter, die Interessen der Bürger zu wahren. Dazu zählt auch das Aufdecken von Missständen, Fehlentwicklungen und Gefahren. Das Hervorrufen eines Verhaltens, also beispielsweise eine parlamentarische Debatte zu einem Thema zu initiieren, nennt man Provokation. Schon das römische Recht kennt die ‚provocatio‘ und bezeichnetet damit die juristische Berufung eines Bürgers an die Volksversammlung. Unserem Auftrag fühlen wir uns verpflichtet. Als Oppositionspartei werden wir weiterhin die Regierung überwachen und die Missstände, die sich seit 25 Jahren SPD-geführter Staatskanzlei angehäuft haben, ins rheinland-pfälzische Parlament bringen. Dabei werden wir weiterhin fest in der Sache und sachlich im Ton auftreten. Die seriöse Provokation im Auftrag des Bürgers hat gerade erst begonnen.“

AfD macht mit gezielten Tabubrüchen Stimmung: Der Konflikt als Strategie

Berlin. Donald Trump in den USA, Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden – die Alternative für Deutschland (AfD) fühlt sich von den Erfolgen dieser Politiker beflügelt. Sie alle stehen für einen populistischen Nationalismus. In einem vertraulichen 33-seitigen AfD-Strategiepapier für den Bundestagswahlkampf und drei Landtagswahlkämpfe in diesem Jahr heißt es wörtlich: „Alles spricht dafür, dass in weiteren Ländern Erfolge der ,Rechtspopulisten' zu erwarten sind, die dann in Deutschland den Eindruck verstärken, dass Parteien wie die AfD auf einer Welle des Erfolges schwimmen.“

Unsere Redakteurin Birgit Pielen beschreibt das 33-seitige „AfD-Manifest“, das die Parteistrategie im Wahljahr 2017 offenlegt

Problematisch werde die Lage im Ausland nur, wenn „Rechtspopulisten“ nach ihren Wahlerfolgen bei der Regierungsausübung versagen oder in massive Schwierigkeiten geraten. „Dafür dürfte es aber 2017 auf jeden Fall noch zu früh sein“, so die Prognose. Aktuell hat die AfD 143 gewählte Abgeordnete in zehn Landesparlamenten und mehr als 1000 kommunale Mandatsträger.

1 Das Wahlziel

Das für den AfD-Bundesvorstand erarbeitete vertrauliche Strategiepapier („AfD-Manifest 2017“) geht davon aus, dass die Partei nach der Bundestagwahl am 24. September mit einem Ergebnis von „mindestens 12 bis 15 Prozent als drittstärkste Partei in den Bundestag einziehen“ wird – und einer Fraktionsstärke zwischen 70 bis 100 Abgeordneten. Gewinnen will sie ihre Wähler als „einzige echte Oppositionspartei“ nicht nur vom rechten Rand, sondern aus der Mitte der Gesellschaft: Liberal-Konservative und Europaskeptiker. Dazu kommen Protestwähler, Nichtwähler, Arbeiter und Arbeitslose. In 15 Wahlkreisen will die AfD das Direktmandat gewinnen.

2 Das Selbstverständnis

Im Wahlkampf will sich die AfD als „Demokratie-Partei“ präsentieren. Wörtlich heißt es: „Die AfD steht für das offene Wort in unserer Demokratie und für eine lebendige Diskussion, die nicht der politischen Korrektheit unterworfen ist.“ Leitmotiv sei „der Mut zur Wahrheit und der Mut zu Deutschland“. Man setze sich als einzige relevante Partei für einen „generellen Fortbestand des Nationalstaates und der damit verbundenen Nation ein“. Im Selbstverständnis der AfD ist sie die „einzige echte Oppositionspartei in Deutschland“ und zugleich das „größte Demokratieprojekt der letzten Jahrzehnte“.

3 Die Kernthemen

Punkten will die AfD mit den Themen Zuwanderung und Asyl, Rolle des Islam in Deutschland, Innere Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung, EU-Kritik, nationale Identität und direkte Demokratie. Die Partei bescheinigt sich dreieinhalb Jahre nach ihrer Gründung bereits ein „vergleichsweise hohes Maß an Lösungskompetenz“. Für die Imagebildung sollen aber nur „sorgfältig ausgewählte und kontinuierlich bespielte Themen“ ausgewählt werden. Wichtig ist, dass sie innerhalb der AfD-Anhänger nicht zu einer Spaltung führen. Bemerkenswert: Die inhaltlichen Positionen sollen verschärft werden, „sobald die Altparteien sich bewegen“ – bis hin zu einer gezielten Eskalation. Wörtlich: „Die AfD muss ihnen (den Altparteien) immer einen Schritt voraus sein, was inhaltlich nicht schwerfällt, sofern man konfliktbereit ist“. Nach innen setzt man auf Konsens, nach außen auf Konflikte.

4 Die politischen Gegner

Als wichtigsten politischen Gegner hat die AfD die Union ausgemacht. Der Überdruss an der Kanzlerin sei groß, heißt es. „Sie verkörpert die Abgehobenheit, den Machtmissbrauch, die Inkompetenz und den Realitätsverlust der etablierten Parteien.“ Die AfD will deshalb aus der Bundestagswahl ein „Plebiszit gegen Angela Merkel“ machen. Die Kanzlerin repräsentiere eine ausgebrannte CDU, die Deutschland in Europa isoliert habe.

Die SPD ist aus Sicht der AfD zunächst ein weltanschaulicher Gegner, nun auch ein Konkurrent im Kampf um Wählerstimmen. Als „fruchtbares Terrain“ erweist sich nicht nur Ostdeutschland, sondern auch das Ruhrgebiet, wo bislang die SPD „eine enge Bindung an die Arbeiterschaft und das Kleinbürgertum hatte“. Doch nun sei die AfD „zur ersten Adresse für Arbeiter und Arbeitslose geworden“.

Die Linkspartei wird als direkter Konkurrent wahrgenommen, vor allem in den neuen Bundesländern: „Dort denkt man patriotisch, hält nichts von offenen Grenzen, möchte Sicherheit und sehnt sich nach ,sozialer Gerechtigkeit', aber nur für deutsche Staatsbürger“, heißt es in dem Strategiepapier.

Nicht nur Gegner oder Konkurrent, sondern sogar Feindbild sind die Grünen. Wörtlich: „Sie stehen praktisch für alles, was die AfD ablehnt: Genderismus, selbstgefällige und eigennützige Umweltlobbys, politische Korrektheit, Anpassung an den Mainstream.“ Daraus folgert die AfD: „Immer dann, wenn die Grünen eine politische Auffassung vertreten, wäre aus AfD-Sicht genau das Gegenteil richtig.“

Die FDP wird ausschließlich als Konkurrent im liberal-konservativen Milieu wahrgenommen. Dort will die AfD vor allem potenzielle Wähler ansprechen, „die im Zeichen der politischen Korrektheit Angst davor haben, sich zur AfD zu bekennen“.

5 Die Debattenkultur

Nicht differenzieren, sondern provozieren: Das wird aus AfD-Sicht in den Wahlkämpfen des Jahres 2017 entscheidend sein. „Konzentration auf Eingängiges geht vor Vollständigkeit, harte und provokante Slogans sind wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze, die es allen recht machen wollen“, heißt es wörtlich. „Je nervöser und je unfairer die Altparteien auf Provokationen reagieren, desto besser.“ Gleichzeitig habe diese Reaktion Wirkung auf die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit: „Je klarer und kontroverser die AfD sich positioniert, desto weniger können die Medien sie ignorieren.“

6 Die Medien

Als außerparlamentarischen Feind hat die AfD die Medien („Mainstream-Medien“) identifiziert. „Eine objektive oder gar wohlwollende Berichterstattung, wie sie für andere Parteien selbstverständlich ist, wird seltene Ausnahme bleiben“, heißt es in dem Strategiepapier. Deshalb will die Partei verstärkt auf Onlinemedien ausweichen, auf „Maßnahmen des Guerilla-Marketings“ zurückgreifen und mittelfristig „als Gegenmacht“ ein eigenes Fernsehstudio, einen eigenen Radiosender oder eine eigene Zeitung gründen. Die „Mainstream-Medien“ sind aus Sicht der Partei verantwortlich dafür, dass die AfD stigmatisiert und als rechtsextrem wahrgenommen wird. Das Teilnehmen an Fernsehrunden diene vornehmlich dazu, AfD-Vertreter vorzuführen – „auch wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit oft das Gegenteil erreicht wird und der AfD die feindliche Umgebung solcher Auftritte hilft“.

7 Die Schwächen

Das Strategiepapier benennt sechs Schwächen der AfD, unter anderen die Mitgliederzahl. Sie soll von derzeit 23.000 auf 30.000 bis Ende des Jahres 2017 steigen – auch um die Finanzen durch mehr Mitgliedsbeiträge aufzubessern. Doch nicht nur Geld, sondern auch Gesinnung ist ein Problem der zerstrittenen Partei: „An neue Mitglieder muss ein hoher Maßstab mit Blick auf mögliche Imageschäden und energieraubende innerparteiliche Reibereien angelegt werden“, empfiehlt das Strategiepapier. Vor dem Bundestagswahlkampf soll es verstärkte Mitgliederwerbekampagnen geben. Außerdem soll eine zentrale Datenbank erstellt werden, die besondere Qualifikationen und Kompetenzen der Anhänger erfasst. Bis Ende Februar will die AfD ein Konzept erarbeiten, zu welchen Verbänden man Kontakt suchen sollte. „Die Verbandsarbeit ist wichtig, um die AfD in der Mitte der Gesellschaft zu verankern“, heißt es. „AfD-Mitglieder müssen zudem ermutigt werden, in Vereinen mitzuwirken oder ihre Vereinsmitgliedschaft diskret, aber bewusst für die AfD zu nutzen.“ Personen mit „guten Kontakten in die Bürgergesellschaft“ sollen Kandidaten für kommunale Mandate werden.

8 Die internen Pläne

Wenn der Bundesvorstand das Strategiepapier verabschiedet hat, soll es den Kreisvorsitzenden in Regionalkonferenzen vorgestellt und besprochen werden. Bis Ende Februar sollen außerdem Positionspapiere zu den Themen „Soziale Gerechtigkeit“, „Globalisierungskritik“, „Selbstbedienungsmentalität der Parteien“ erarbeitet werden. Darüber hinaus soll es eine Imagekampagne geben, mit der die AfD „ihrer Stigmatisierung in wichtigen Zielgruppen entgegenwirken kann“. Eine Strategie wird im Übrigen auch gegen „Political correctness“ erarbeitet – gegen das vermeintlich politisch Korrekte.

Zehn Landtage mit AfD-Beteiligung

Die Alternative für Deutschland (AfD) wurde am 6. Februar 2013 gegründet. Bekanntestes Gesicht aus der Anfangszeit ist Bernd Lucke.

Bei der Europawahl 2014 gewann die AfD sieben Mandate. Danach zog sie in die Landtage von Sachsen (9,7 Prozent), Brandenburg (12,2) und Thüringen (10,6) ein. Im Juli 2015 spaltete sich die Partei, Lucke trat aus. Er gründete später die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa), die fünf Sitze im EU-Parlament übernahm. Heute heißt die Partei LKR (Liberal-konservative Reformer). Frauke Petry und Jörg Meuthen wurden neue Vorsitzende der AfD. Bei Bürgerschaftswahlen in Hamburg und Bremen zog die AfD mit 6,1 bzw. 5,5 Prozent in die Rathäuser ein. 2016 folgten die Landtage Sachsen-Anhalt (24,3 Prozent), Baden-Württemberg (15,1), Rheinland-Pfalz (12,6), Mecklenburg-Vorpommern (20,8) und das Abgeordnetenhaus Berlin (14,2).
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