Rheinland-Pfalz

Machtkampf in Rheinland-Pfalz: Es geht um alles oder nichts

Schafft die CDU den Machtwechsel – oder können SPD und Grüne erneut die Regierung bilden? Sechs Monate vor der Wahl ist das Rennen offen – und packend wie nie. Im landespolitischen Mainz lässt sich derzeit eine Art politische Klimaerwärmung beobachten. Mit jedem Tag steigt die Temperatur, mit jeder Woche erhöht sich der Grad der Nervosität.

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Von unserem Redakteur Dietmar Brück

Journalisten können sich vor Einladungen, Pressekonferenzen und Gesprächswünschen kaum mehr retten. Die Parteizentralen verschicken Statements und Konzepte, bis die E-Mail-Ordner bersten. Und dabei dauert es noch sechs Monate bis zum entscheidenden Urnengang am 13. März 2016. Eine Prognose kann man jetzt schon wagen: Der Winter 2015/16 dürfte der heißeste werden, den die rheinland-pfälzischen Polit-Meteorologen jemals verzeichnet haben.

Setzt das Amt bei Malu Dreyer Energien frei?

In Rheinland-Pfalz geht es um alles oder nichts. Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die ihr Amt vor zweieinhalb Jahren von Kurt Beck (SPD) im laufenden Geschäft übernommen hat, steht zum ersten Mal zur Wahl. Sie macht keinen Hehl daraus, wie gern sie gestaltet. Aus ihrem Umfeld wird immer wieder berichtet, dass es der unheilbar an Multiple Sklerose erkrankten Regierungschefin gesundheitlich erheblich besser geht, seit sie Verantwortung für ein ganzes Land trägt. Setzt das Amt bei ihr Energien frei? Oder werden diese Nachrichten lanciert, um jeglichen – von der CDU gestreuten – Verdacht auszuräumen, Dreyer plane ohnehin, ihr Amt zur Hälfte einer neuen Amtszeit an Fraktionschef Alexander Schweitzer (SPD) abzugeben?

Derartige Überlegungen verweist die Ministerpräsidentin mit großer Vehemenz ins Reich der Fabel. In der Staatskanzlei sieht man eine CDU am Werke, die heimtückisch haltlose Gerüchte streut. Eines zeigen solche Vorgänge gewiss: In diesem Wahlkampf wird mit allen Mitteln gekämpft – vor und hinter den Kulissen.

Die Spitzenkandidatinnen stehen unter einem besonderen Druck. Dreyer will nicht als jene Ministerpräsidentin in die Geschichte eingehen, die ähnlich wie der glücklose Christdemokrat Carl-Ludwig Wagner (CDU) nie eine Landtagswahl gewinnen konnte. Sollte sie tatsächlich verlieren, endete mit ihr zudem eine sozialdemokratische Ära, die seit einem knappen Vierteljahrhundert das strukturkonservative Rheinland-Pfalz prägt. So einen Abgang wünscht sich niemand.

Schafft Julia Klöckner indes den historischen Machtwechsel in Rheinland-Pfalz, wird sie im selben Moment in die „Hall of Fame“, also in die Ruhmeshalle der CDU aufgenommen. Bewährt sie sich auch noch im Amt, ist die Karriereleiter nach oben offen. Ob sie will oder nicht: Klöckner dürfte automatisch als eine (von mehreren) Kandidatinnen für die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gehandelt werden.

Doch es geht in der rheinland-pfälzischen CDU nicht allein um Julia Klöckner. Die 42-jährige Christdemokratin ist noch so jung, dass sie im Falle einer Niederlage fünf Jahre später erneut in Rheinland-Pfalz antreten oder nach einer Weile ein Bundesministerium übernehmen könnte. Anders sieht das mit der Führungsriege in Fraktion und Partei aus. Für die meisten christdemokratischen Spitzenpolitiker ist der März 2016 die letzte Möglichkeit, ihre Vita mit einem Regierungsamt oder zumindest mit dem Status als Regierungspartei zu krönen. Danach werden Jüngere am Zug sein.

Chance für die CDU wie nie

Zudem ist die Chance für die CDU so günstig wie nie zuvor. Auch wenn Skandale wie der am Nürburgring nicht mehr die großen Schlagzeilen bestimmen, ist die Erinnerung an die Phase einer hilflosen und wunden Sozialdemokratie noch nicht verblasst. Vor knapp einem Jahr war die SPD fast am Ende. Getrieben von immer neuen politischen Pleiten musste Malu Dreyer ihr halbes Kabinett entlassen. Sie hat damals schneller Ballast abgeworfen als ein Ballonfahrer, der einem Waldbrand entkommen will. Noch immer wirkt die SPD angreifbar. Wenn die CDU aus dieser Lage kein politisches Kapital schlagen kann, werden die Ersten fragen, ob es jemals gelingt.

Doch Malu Dreyer ist kein leichter Gegner. Die SPD-Ministerpräsidentin weckt Vertrauen. Das überstrahlt vieles, was bei Rot-Grün ansonsten schiefläuft. Und mit ihrer Kabinettsumbildung hat sie ein kraftvolles Zeichen der Erneuerung gesetzt.

Klöckner hingegen muss aufpassen, dass sie nicht in einem Die-Landesregierung-macht-alles-falsch-Modus verharrt. Je mehr sie sich verbeißt, umso unsympathischer wirkt sie. Und auch ihr Hang zur Perfektion ist Stärke und Schwäche zugleich. Stärke, weil Klöckner über eiserne Disziplin verfügt und der Landes-CDU einen Professionalisierungsschub verpasst hat. Schwäche, weil die Wähler den Mensch hinter der PR spüren wollen. Eine gute Verkaufe ist immer nur die halbe Miete.

Dreyer wirkt authentischer

Dreyer kommt authentischer rüber. Aber auch sie kann in Fallen tappen. Sie schwenkt im Vorwahlkahlkampf derart schnell auf mehrheitsfähige Positionen ein, als würden die Regierungsvorlagen neuerdings auch von der CDU geschrieben. Und es war schon als Sozialministerin eine Schwäche von Dreyer, sich zu sehr mit Getreuen und Gleichgesinnten zu umgeben. So entspannt die Arbeitsatmosphäre dann sein mag, die Gefahr besteht, dass sich die Wahrnehmung verengt, obwohl Dreyer als lern- und wissbegierig gilt. Am Ende sieht man, was man sehen will.

Doch all das ändert nichts daran, dass alle politisch Interessierten sich auf ein hochwertiges Frauenduell freuen können, das bundesweit Furore macht. Rheinland-Pfalz hat ein Luxusproblem: Wo sonst in der Republik liefern sich zwei derart erstklassige Kontrahenten ein derart fesselndes Rennen?

In dieser Konstellation dürfte es den Grünen mit dem Spitzenduo Eveline Lemke (Wirtschaftsministerin) und Daniel Köbler (Fraktionschef) schwerfallen, überhaupt wahrgenommen zu werden. Dabei könnten die kleinen Parteien eine große Rolle spielen. Denn schafft die FDP ein Comeback, könnte sie mit der CDU gar die neue Regierung bilden. Und kommt die rechtskonservative AfD wider Erwarten doch in den Landtag, ist selbst Schwarz-Grün nicht vom Tisch. Es bleibt also spannend im Land.