Darmkrebs: Angst lähmt viele Patienten

Gerade bereitet Prof. Dr. Samir Said einen Vortrag über Bauchspeicheldrüsenkrebs vor. Es ist für den Koblenzer Chirurgen auch ein ernüchterndes Thema: „80 Prozent der Pankreaskarzinome sind zum Zeitpunkt der Diagnose nicht mehr operabel. Der Tumor ist deutlich aggressiver als Darmkrebs. Das Pankreaskarzinom kommt von einem Tag auf den anderen. Es gibt keine verlässliche Früherkennungsmethode.“

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Darmkrebs, sagt der Chefarzt am Evangelischen Stift in Koblenz, ist heute so ziemlich das Gegenteil vom tückischen Bauchspeicheldrüsenkrebs: Der Tumor wächst langsam und ist – besonders wenn er früh entdeckt wird – sehr gut behandelbar. Patienten, bei denen ein Tumor der Stadien T1 bis T4 diagnostiziert wurde, ohne dass zugleich Lymphknoten befallen sind, haben eine 80-prozentige Chance, dass sie auch noch in fünf Jahren am Leben sind, sagt Prof. Said.

Allerdings haben laut Prof. Said auch heute noch 40 bis 50 Prozent der Darmkrebspatienten Metastasen im Lymphsystem. Auch diese lassen sich operativ entfernen. Doch die Überlebensraten sind deutlich niedriger. Deshalb wirbt Prof. Said auch als Vizechef der rheinland-pfälzischen Krebsgesellschaft für die Früherkennung. Bekanntlich zahlen die Kassen für Patienten zwischen dem 50. und 54. Lebensjahr einen jährlichen Stuhltest sowie ab dem 55. Lebensjahr entweder die Stuhluntersuchung alle zwei Jahre oder die Darmspiegelung, die bei unauffälligem Befund frühestens nach zehn Jahren erneut erfolgen sollte.

Experten raten zur Koloskopie

Prof. Said rät wie viele andere Experten zur Koloskopie. Die Darmspiegelung gilt als Goldstandard, weil sich mit dieser Methode Tumore besonders zuverlässig nachweisen lassen. Anders als etwa bei der Mammografie gibt es am Sinn der Darmkrebsfrüherkennung weniger Zweifel von Kritikern. Tatsache ist, dass die Sterberaten bei Männern und Frauen laut rheinland-pfälzischem Krebsregister in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 20 Prozent gesunken sind – Folge der verbesserten Behandlungsmöglichkeiten, aber auch des 2002 eingeführten Früherkennungsprogramms.

Laut einer aktuellen Studie ist die Koloskopie sogar aus ökonomischer Sicht ein lohnendes Investment: Demnach konnten durch die frühe Erkennung von Darmkrebs zwischen 2002 und 2012 Kosten in Höhe von 605 Millionen bis 3,1 Milliarden Euro für das Gesundheitssystem eingespart werden. Die beiden Studienautoren Prof. Dr. Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und Gastroenterologe Prof. Dr. Andreas Sieg aus Heidelberg haben errechnet, dass sich damit jeder in die Koloskopie gesteckte Euro mit bis zu 3,20 Euro auszahlte.

Doch die Zahlen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Darmkrebsfrüherkennung trotz aller öffentlichkeitswirksamen Werbung insbesondere im März jedes Jahres beileibe keine Erfolgsgeschichte ist. Laut Techniker Krankenkasse ließ sich zwischen 2003 und 2013 nur jeder Fünfte zwischen 55 und 75 Jahren in Rheinland-Pfalz den Darm spiegeln. Die Kasse beruft sich dabei auf Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung.

Schreckensbilder leben fort

Prof. Said macht dafür nicht nur die immer noch vorhandene Angst vor der Darmspiegelung verantwortlich. Für noch größer hält er die Angst vor der möglichen Diagnose Krebs: „Eine Darmkrebserkrankung ist nach wie vor mit einem Tabu behaftet. Andere Krankheiten wie ein Herzinfarkt oder Burn-out sind geradezu gesellschaftlich anerkannt. Weil sie eine Folge von Stress sind, redet man darüber eher. Über Krebs spricht man nicht gern.“ Ganz besonders gilt dies aus Sicht von Prof. Said für das End- oder Mastdarmkarzinom. Mit diesem Krebs verbindet sich bis heute das Schreckensbild, dass eine Entfernung des Tumors dazu führt, dass die Sexualfunktion beeinträchtigt wird oder der Arzt einen künstlichen Darmausgang beim Patienten anbringen muss. Fakt ist laut Prof. Said allerdings, dass dies nur in 7 bis 10 Prozent der Fälle nötig ist.

Doch Untersuchungen zeigen, dass besonders Patienten mit einem Rektumkarzinom unter einem enormen psychischen Druck leiden. Ein Drittel von ihnen zeigt psychische Störungen und bräuchte eigentlich dringend psycho-onkologische Unterstützung. 41 Prozent der Patienten würden sich sogar eine solche Hilfe wünschen. Die seelische Not nimmt zu, wenn bei einer OP ein künstlicher Darmausgang angebracht wurde. Diese sogenannten Stoma-Patienten leiden unter Angst, Hilflosigkeit und Unsicherheit. Mehr als die Hälfte der betroffenen Frauen und jeder dritte Mann mit einem Stoma würde sich wünschen, nach der OP psychologische Hilfe zu erhalten.

Doch noch immer finanziert sich die Arbeit von Psycho-Onkologen vor allem aus freiwilligen Spenden. Gerade erst hat der Geschäftsführer der rheinland-pfälzischen Krebsgesellschaft, Dr. Thomas Schopperth, auch deshalb eine Regelfinanzierung der Psycho-Onkologie gefordert. Immerhin: An zertifizierten Darmkrebszentren, von denen es im Land 13 gibt, ist ein Spezialist für psychische Leiden bei Krebspatienten mittlerweile zur Pflicht geworden. Doch es dürfte noch ein langer Weg sein, bis sich bei einer Mehrheit der Bevölkerung die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Diagnose Darmkrebs nicht unbedingt gleichbedeutend mit einem schweren Schicksal ist – und dass Patienten vor und nach einer OP von Experten auch seelisch aufgefangen werden.

Christian Kunst