Berlin

Parteienforscher sieht Piraten mit Skepsis: Antworten sind gefragt

Der Berliner Parteienforscher Carsten Koschmieder meint, dass die Piraten bisher inhaltlich zu wenig Neues zu bieten haben, um eine dauerhafte Größe im Politbetrieb zu sein.

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Berlin. Der Berliner Parteienforscher Carsten Koschmieder meint, dass die Piraten bisher inhaltlich zu wenig Neues zu bieten haben, um eine dauerhafte Größe im Politbetrieb zu sein.

Sind die Piraten eine neue Kraft in der Parteienlandschaft?

Es gibt zwei große Gesellschaftskonflikte: der zwischen Markfreiheit und Umverteilung und der zwischen einem autoritären und einem libertären Staatsverständnis. Die Grünen haben – bis dahin noch freie – libertäre Positionen vertreten und so ein Feld in einem wichtigen gesellschaftlichen Konfliktfeld besetzt. „Freies Internet“ ist aber kein gesellschaftlicher Großkonflikt. Was die Piraten an Grund- und Bürgerrechtspositionen vertreten, wird eigentlich schon von anderen besetzt.

Sie wollen einen neuen Politikstil.

Das bringt natürlich Stimmen, Aufmerksamkeit, Popularität. Die Bürger finden das gut, werden aber irgendwann auf Lösungen für die drängenden Probleme des Landes pochen. Bei den Wahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein dürften sie noch damit durchkommen, nicht auf alles eine Antwort zu haben. In absehbarer Zukunft aber wird man die von ihnen erwarten. Davon abgesehen sind zum Beispiel offene Fraktionssitzungen gar nichts Neues. Das haben die Grünen schon länger gemacht.

Erkennen Sie ein Programm?

Es ist nur kein Vollprogramm. Die Frage ist, ob es bis zur Bundestagswahl trägt. In Berlin hatte das Nichtwissen den Charme des Neuen. Gerade das Plakat: „Ihr seid die mit den Antworten. Wir sind die mit den Fragen.“ Es ist eigentlich unsinnig, weil Politiker diejenigen sind, von denen die Bürger – gemeinsam erarbeitete – Antworten erwarten. Bis zur Bundestagswahl wollen die Menschen wissen, wie die Piraten Probleme lösen.

Das Gespräch führte Rena Lehmann

Landespartei ist im Prozess ständiger Erneuerung

Die Piraten sind im Aufwind – und zugleich anders als alle anderen

Von Dietmar Brück

Rheinland-Pfalz. Die rheinland-pfälzische Piratenpartei nimmt jede Woche neue Mitglieder an Bord. „Der Boom ist nicht mehr ganz so stark wie nach der Berlinwahl, aber immer noch deutlich spürbar“, freut sich Parteisprecher Ingo Sauer. Fast 800 Anhänger hissen mittlerweile das schwarze Banner. Mit Matthias Heppner schickt die Partei sogar einen Kandidaten in die Mainzer OB-Wahl. „Keine Frage, wir wollen 2016 in den Landtag einziehen“, meint Vorstandsmitglied Ingo Höft im Gespräch mit unserer Zeitung. Höft (Pseudonym: StopSecret) ist für die persönliche Begegnung eigens aus Frankenthal angereist – auf eigene Kosten. „Bei uns werden nur die Berliner Landtagsabgeordneten bezahlt, alle anderen arbeiten kostenlos“. Der Ingenieur für Elektrotechnik ist mit 62 bereits im Ruhestand. Zu alt für die Piraten? „Ach was! Bei uns spielen weder Altersunterschiede noch das Geschlecht eine Rolle. Alle sind gleich“, antwortet er ohne zu zögern. Passt dazu, dass im Vorstand nur Männer sitzen?

Höft gehört den Piraten erst seit 2009 an und wirkt als politischer Geschäftsführer. Damit ist er für die Aufbauarbeit nach innen zuständig, aber auch für das Fortschreiben des Programms.

Was ihn an den Piraten reizt? „Die Basisdemokratie“, sagt er. Und in der Tat: Bei den Piraten kann jeder ohne Umwege aufsteigen. „Wenn einer zum Bundes- oder Landesparteitag kommt und den Mitgliedsbeitrag zahlt, darf er sofort für das Amt des Vorsitzenden kandidieren“, sagt Höft. Die Piraten müssen ihn nur wählen.

Auch die inhaltliche Arbeit ist anders als bei etablierten Parteien: „Unsere Programme erneuern und verändern sich ständig.“ Alle Mitglieder können über bestimmte Internetplattformen mitdenken und mitschreiben. Die Idee: Neues Wissen soll sofort eingespeist werden. Die Piraten verfolgen das Prinzip der Schwarmintelligenz. Dass das in der Praxis nicht immer ganz so geschmeidig läuft wie in der Theorie, versteht sich von selbst.

In Rheinland-Pfalz versucht die Partei gerade, kommunale Strukturen aufzubauen und kommunale Konzepte zu entwerfen. Ingo Höft, der früher nie Politik gemacht hat, ist jeden Tag bei einem anderen Treffen. Das Laptop ist sein ständiger Begleiter – und natürlich sein Mobiltelefon. Der nächste Meilenstein wird die rheinland-pfälzische Kommunalwahl 2014 sein.

Pogrammatisch bedient die Landespartei die klassischen Piratenthemen: mehr Transparenz in den Verwaltungen, freies Internet, Kampf gegen den Überwachungsstaat, strikte Wahrung des Kommunikationsgeheimnisses, Grundeinkommen für alle Bürger, freie Wissenszugänge und mehr direkte Demokratie.

Dünn wird es, wenn es um klassische landespolitische Themenfelder geht. Beim Streit über den Nationalpark ordnet Höft einen Vorschlag Rot-Grün zu, obwohl er von der CDU stammt. Das ist ihm sichtlich unangenehm. Beim Thema Bildung bekennt er indes freimütig, dass er sich nicht so gut auskennt. Höft weiß, dass die Piraten noch einen langen Weg zurücklegen müssen. „Wir erarbeiten unsere Konzepte erst“, sagt er, „aber dieser Prozess macht ungeheuer Spaß.“

Experte: Antworten sind gefragt

Parteienforscher sieht Piraten mit Skepsis

Berlin. Der Berliner Parteienforscher Carsten Koschmieder meint, dass die Piraten bisher inhaltlich zu wenig Neues zu bieten haben, um eine dauerhafte Größe im Politbetrieb zu sein.

Sind die Piraten eine neue Kraft in der Parteienlandschaft?

Es gibt zwei große Gesellschaftskonflikte: der zwischen Markfreiheit und Umverteilung und der zwischen einem autoritären und einem libertären Staatsverständnis. Die Grünen haben – bis dahin noch freie – libertäre Positionen vertreten und so ein Feld in einem wichtigen gesellschaftlichen Konfliktfeld besetzt. „Freies Internet“ ist aber kein gesellschaftlicher Großkonflikt. Was die Piraten an Grund- und Bürgerrechtspositionen vertreten, wird eigentlich schon von anderen besetzt.

Sie wollen einen neuen Politikstil.

Das bringt natürlich Stimmen, Aufmerksamkeit, Popularität. Die Bürger finden das gut, werden aber irgendwann auf Lösungen für die drängenden Probleme des Landes pochen. Bei den Wahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein dürften sie noch damit durchkommen, nicht auf alles eine Antwort zu haben. In absehbarer Zukunft aber wird man die von ihnen erwarten. Davon abgesehen sind zum Beispiel offene Fraktionssitzungen gar nichts Neues. Das haben die Grünen schon länger gemacht.

Erkennen Sie ein Programm?

Es ist nur kein Vollprogramm. Die Frage ist, ob es bis zur Bundestagswahl trägt. In Berlin hatte das Nichtwissen den Charme des Neuen. Gerade das Plakat: „Ihr seid die mit den Antworten. Wir sind die mit den Fragen.“ Es ist eigentlich unsinnig, weil Politiker diejenigen sind, von denen die Bürger – gemeinsam erarbeitete – Antworten erwarten. Bis zur Bundestagswahl wollen die Menschen wissen, wie die Piraten Probleme lösen.

Das Gespräch führte Rena Lehmann