Berlin

Papst Benedikt XVI. ermahnt die Politik

Papst im Berliner Olympiastadion
Begeisterter Empfang für den deutschen Papst Benedikt XVI.: Etwa 70 000 Anhänger feierten den Pontifex im Berliner Olympiastadion wie einen Popstar. Foto: DPA

Man hört nicht oft Reden von solchem Tiefgang und intellektueller Feinsinnigkeit im Deutschen Bundestag. So äußerten sich Beobachter und Abgeordnete nach der teils mit Skepis erwarteten Rede von Benedikt XVI. Als erstes religiöses Oberhaupt richtete der 84-jährige Papst nachdenkliche und teils mahnende Worte an die Politik. Am Ende gab es minutenlangen Beifall aus allen Fraktionen.

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Berlin – Man hört nicht oft Reden von solchem Tiefgang und intellektueller Feinsinnigkeit im Deutschen Bundestag. So äußerten sich Beobachter und Abgeordnete nach der teils mit Skepis erwarteten Rede von Benedikt XVI. Als erstes religiöses Oberhaupt richtete der 84-jährige Papst nachdenkliche und teils mahnende Worte an die Politik. Am Ende gab es minutenlangen Beifall aus allen Fraktionen.

Schon eineinhalb Stunden vor dem Eintreffen des Kirchenoberhaupts im Plenarsaal herrschte in den Reihen der Fraktionen, wo in den vergangenen Wochen heftig über Euro-Rettungsschirme und Steuererleichterungen gestritten wurde, eine ungewöhnliche Atmosphäre. Die in den vergangenen Tagen viel diskutierte Frage, ob Benedikt XVI. vor teils leeren Rängen sprechen würde, erübrigte sich schnell. Die Parteiführung der Linken erschien, Gesine Lötzsch im kardinalroten Blazer, auch bei den Grünen und der SPD füllten sich die Plätze. Einziger Anflug einer kritischen Botschaft: Die linken Abgeordneten trugen allesamt rote Schleifen, mit denen sie ihre Solidarität mit HIV-Positiven und Aidskranken dokumentierten.

Die Kanzlerin, sämtliche Minister, Ministerpräsidenten und auch Vertreter des Bundesrats füllten den an regulären Sitzungstagen manchmal spärlich besuchten Plenarsaal. Als ein leiser Gong um kurz nach 16.30 Uhr den Papst ankündigte, verstummte der Saal gänzlich. Ein Schweigen teils aus Ehrfurcht, teils aus neugieriger Anspannung. Manchen Abgeordneten der Oppositionsparteien stand die bange Frage ins Gesicht geschrieben, ob es die richtige Entscheidung war, einen religiösen Führer im demokratischen Zen-trum des Staates sprechen zu lassen. Doch als CDU/CSU- und FDP-Fraktion spontan in einen Begrüßungsbeifall ausbrechen, stimmen viele mit ein.

Der Papst geht mit behutsamen, langsamen Schritten zu seinem Platz. Als die Abgeordneten klatschen, steht er kurz auf und erhebt beide Hände zum Gruß. Er wirkt sehr klein und zerbrechlich in dem funktionalen großen Saal.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wählt in seiner Begrüßungsrede diplomatische Worte – „selten hat eine Rede in diesem Haus, noch bevor sie gehalten wurde, so viel Aufmerksamkeit und Interesse gefunden“ -, spricht aber unter dem Applaus der Grünen und der SPD auch ein kritisches Thema an. Viele engagierte Katholiken und Protestanten im Land wünschten sich dringlich, dass im Pontifikat eines deutschen Papstes „ein unübersehbarer Schritt zur Überwindung der Kirchenspaltung stattfände“. Als der Papst auf dem Weg zu seiner Ansprache versehentlich den Platz Lammerts statt das Rednerpult ansteuert, wird die Stimmung im Saal spürbar gelassener. Leise, fast brüchig hebt Benedikt XVI. zu sprechen an. Schnell wird klar: Es wird in dieser Runde nicht um die Sorgen seiner Kirche in Deutschland wie die Missbrauchsskandale gehen, und er wird auch nicht zu Finanz- und Wirtschaftskrisen reden. Dazu hatte sich etwa SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles eine klare Position von ihm erhofft.

Nein, Benedikt XVI. redet über die „Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaats“. Er spricht darüber, was Politik seiner Auffassung nach sein muss: das „Mühen um Gerechtigkeit“, nicht das Ringen um Erfolg und „schon gar nicht materieller Gewinn“. Er räumt ein, dass die Antwort auf das, was „das Rechte ist und geltendes Recht werden kann“, heute schwieriger denn je zu finden ist. Und er kritisiert einen Zeitgeist, der allein auf Vernunft, nicht mehr aber auf die Natur vertraut. Die Anfänge der ökologischen Bewegung etwa seien ein „Schrei nach frischer Luft“ gewesen. Diesen dürfe man nicht „überhören und beiseiteschieben, weil man zu viel Irrationales darin findet“.

Der Papst appelliert unter dem Beifall der Grünen dafür, die Natur als Maßstab menschlichen Handelns nicht zu vernachlässigen. Sein umstrittener Auftritt hinterlässt eine versöhnliche Botschaft.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann