Was war passiert?
Seit mehr als einem Jahr geht der parlamentarische Untersuchungsausschuss der Frage nach, was während und nach der verheerenden Flut schief gelaufen ist und wer hierfür die politische Verantwortung trägt. Im September waren nach mehr als einem Jahr nach den Überflutungen zunächst brisante Videos der Polizeihubschrauberstaffel aus der Flutnacht aus dem Ahrtal überraschend aufgetaucht, anschließend der Einsatzbericht der Hubschraubercrew sowie weitere E-Mails. Dem U-Ausschuss wurde das Beweismaterial Monate zu spät zugestellt.
Der Vorwurf der gezielten Vertuschung durch das Innenministerium sowie seine nachgeordneten Stellen stand im politischen Mainz im Raum. In den vergangenen Wochen stellte sich – nach der Einsetzung des Revisors Seel – weiter heraus, dass mehr als 37 Gigabyte Daten sowie 900 E-Mails aus dem polizeilichen Lagezentrum im Innenministerium nicht an den Untersuchungsausschuss geliefert worden waren. 20 betrafen die Flutnacht, mindestens eine Nachricht war brisant. Die Opposition sprach anschließend von einem „Skandal“ und einem „glatten Verfassungsbruch“.
Die verspätete Vorlage der Hubschraubervideos nahmen nach einer ersten Überprüfung zwei Polizeipräsidenten auf ihre Kappe, E-Mails sollen in Unterordnern des Mailpostfachs des polizeilichen Lagezentrums unentdeckt geblieben sein. Ex-Innenminister Roger Lewentz (SPD) hatte am 12. Oktober für „in meinem Verantwortungsbereich gemachte Fehler die politische Verantwortung“ übernommen und seinen Rücktritt erklärt.
Was sollte der Revisor überprüfen?
Christian Seel, CDU-Politiker, Richter und ehemaliger saarländischer Innenstaatssekretär, sollte Widersprüche bei der Aktenbereitstellung für den U-Ausschuss klären und die Vollständigkeit der vorgelegten Akten überprüfen. Innenminister Ebling sagte, es gehe um etwas sehr Wichtiges, nämlich „um Vertrauen in die Polizei“, aber auch um „Transparenz gegenüber dem Parlament sowie der Öffentlichkeit“.
Wie ging Seel vor, wer half ihm?
Wie der Jurist darlegte, bekam er Unterstützung von drei Personen. Als Leiter der Revisionsgruppe berichtete er an Innenstaatssekretärin Nicole Steingaß (SPD). Seit Ende September sei die Aufbereitung der Akten „optimiert aufgesetzt und der Datenbestand erneut geprüft worden“, so Seel. Außerdem seien die E-Mail-Postfächer des Lagezentrums im Innenministerium händisch betrachtet worden. Solche Vorgänge böten ein „verlässliches Maß an Zuverlässigkeit“.
Die frohe Botschaft unmittelbar vor dem Weihnachtsfest, die der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling (SPD) und der von Ebling eingesetzte Revisor Christian Seel bei der Vorstellung des Abschlussberichts setzen wollten, war schnell klar: Keine Vertuschung im Kontext der viel zu spät ...Kommentar zum Bericht des Revisors in Sachen Ahrtal-Flutakten: Versuch missglückt
Was heißt das konkret?
Als Akten vom U-Ausschuss angefordert wurden, hätten Mitarbeiter etwa in den Polizeipräsidien oder im Lagezentrum nach Beweismaterial gesucht und individuell entschieden, ob eine E-Mail, ein Bericht oder Ähnliches vorlagerelevant ist. Nun habe man den „Bewertungsmaßstab strenger ausgelegt“, wie Seel erklärte. Hierfür habe man vom Landeskriminalamt noch einmal deren Datenbestand erhalten. Bedeutet: Eine E-Mail, die zuvor als nicht relevant eingestuft worden war, könnte nun als vorlagerelevant betrachtet worden sein.
Was sind die Ergebnisse?
Bei der Zusammenstellung der Akten sind nach Einschätzung von Seel Fehler gemacht worden – es habe aber niemand aus seiner Gruppe Anhaltspunkte für eine Vertuschung, betonten sowohl der externe Prüfer als auch Minister Ebling mehrfach. Ebling erklärte: „Eine vorsätzliche Nicht-Vorlage ist nicht erkennbar.“ Seel sagte, die Lieferung der polizeilichen Akten an den Ausschuss sei nunmehr nicht mehr zu beanstanden.
Die Überprüfung habe allerdings gezeigt, dass die Aktenaufbereitung „nicht zu jedem Zeitpunkt ohne Beanstandung ablief“. Im Polizeipräsidium Einsatz, Logistik und Technik habe es individuelle Fehler gegeben, die dazu geführt hätten, dass die Hubschraubervideos „lange auf einer externen Festplatte geschlummert“ hätten, sagte Seel. Außerdem seien Defizite im Bereich des Lagezentrums erkennbar geworden. Er ergänzte: „Die Datenaufarbeitung im Lagezentrum war nicht gut.“ Sie sei nicht zielführend angelegt gewesen, „gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht“. Eine Aufteilung in thematische Bereiche, die Übersichtlichkeit bringen sollte, sei nicht hilfreich gewesen, sie habe zu „Abgrenzungsschwierigkeiten“ geführt.
So sei auch zu erklären, dass der Einsatzbericht der Piloten in einem E-Mail-Postfach nicht entdeckt worden sei. Steingaß erläuterte, dass das besagte Postfach die Bezeichnung „Hochwasser/Lichtbilder_Berichte zu Luftaufnahmen“ trug. Eine relativ eindeutige Benennung – die der Erklärung Seels widersprach, es habe „Abgrenzungsschwierigkeiten“ gegeben.
Gab es denn eine systematische Untersuchung der im Raum stehenden Frage der Vertuschung?
Darauf antwortete Seel: „Wir haben mit den Leuten gesprochen und haben uns ein Bild davon gemacht, wie ernsthaft und ehrlich man mit den Dingen umgegangen ist.“ Außerdem habe man geschaut, welche Dokumente nachgeliefert worden seien. Auf dieser Grundlage sei man einvernehmlich zum Ergebnis gekommen, „dass Fehler gemacht wurden, aber nicht, dass das Handeln als Vertuschung zu qualifizieren ist“.
Kann Seel versichern, dass jetzt sicher alle Akten vorliegen?
Nein. Eine solche Aussage sei „unseriös und ist ausgeschlossen“.
Was folgt nun daraus?
Ebling erklärte, dass der Aufklärung ein Handlungsauftrag folge. Mit dem neuen obersten Polizisten des Landes gehe es erstens um eine „gründliche Auswertung“ des Revisionsberichts, zweitens um eine „strukturierte Einsatznachbereitung“, in die alle Polizeibehörden involviert würden. Und drittens gehe es um die Informationen sowie Meldeketten in und aus dem Lagezentrum. Nun könne man den Fokus darauf richten, den Katastrophenschutz neu aufzustellen und den Wiederaufbau im Ahrtal voranzutreiben, so Ebling. Das seien die „zentralen, wichtigsten Punkte für die Agenda dieses Hauses“.