Wenn Cornelia und Andreas Stahl über ihren Sohn Sebastian sprechen, über die Zeit nach dem 24. März 2015, als die Welt stillstand, alles Verzweiflung war und sie sich fragten, wie man das überleben kann, dann erzählen sie vor allem über Trauerarbeit. „Wir wollten, dass sein Name immer wieder genannt wird“, sagt der Vater leise. Und die Mutter ergänzt: „Wo er doch nur 24 Jahre alt werden durfte.“ Denn Sebastian Stahl ist ein Opfer der Germanwings-Katastrophe.
Er war Student, sportlich, hatte Freunde, eine Clique und eine große Familie. Er hatte Träume für sein Leben, aus dem er jäh gerissen wurde. Noch im gleichen Jahr gründeten seine Eltern die Sebastian-Stahl-Stiftung, mit der sie seitdem mehr als 200 Projekte unterstützt haben. Die Schwerpunkte liegen dabei auf Themen, welche Sebastian wichtig waren.
Ja, diese Stiftungsarbeit habe ihnen auch selbst geholfen, wieder einen Weg ins Leben zu finden, nachdem am Anfang die schier unfassbare Aufgabe stand, diesen Schicksalsschlag zu verarbeiten, sagen Cornelia und Andreas Stahl. Geholfen habe ihnen der Austausch mit anderen Betroffenen, beispielsweise in der Selbsthilfegruppe „Verwaiste Eltern“. Am 24. März wird es wieder zur Todesstunde um 10.41 Uhr vor Ort in Frankreich einen Gedenkgottesdienst geben. Ein schwerer Tag, der einem sehr viel abverlangt, egal wo man ihn verbringt, bekennt Cornelia Stahl.

Ob die beiden sich die neue, kürzlich bei der ARD erschienene Dokumentationsreihe ansehen werden, haben sie noch nicht entschieden. „Auf jeden Fall empfinden wir es als pietätlos, diesen bewusst herbeigeführten Absturz, der so viele Familien zerstörte, als Crime-Time-Thema zu verkaufen“, sagt Andreas Stahl.

Neue Doku: Warum riss Copilot 149 Menschen mit in Tod?
Im März ist es zehn Jahre her, dass eine Germanwings-Maschine in den Alpen zerschellt. 150 Menschen sterben. Eine ARD-Doku hat recherchiert, wie es zu der Tragödie kommen konnte. Auch im Westerwald hat die Tragödie tiefe Spuren hinterlassen.
Mit ihrer Stiftung, die eine sogenannte Verbrauchsstiftung ist und eine Laufzeit von 30 Jahren hat, werden zumeist Kindergärten, Schulen, Sportvereine und soziale Projekte unterstützt. Und Projekte, die sich mit Trauerarbeit beschäftigen, wie etwa der Schmetterlingsgarten Dernbach, die einzige Begräbnisstätte für sogenannte Sternenkinder im Westerwaldkreis. Weiterhin kam es schon früh zum Kontakt mit dem Verein „Sternenzauber & Frühchenwunder“. Die Sebastian-Stahl-Stiftung übernahm beispielsweise die Druckkosten eines Kinderbuches für Geschwisterkinder, welche um ihre kleine Schwester oder ihren kleinen Bruder trauern („Wie Hauke Hase zu den Sternen kam“).
„Ich war da ganz bei diesem Thema, abgelenkt von dem eigenen Schmerz. Das war wie eine Pause. Sonst drehte sich alles um Sebastian, unsere Fassungslosigkeit, ihn verloren zu haben“, erinnert sich Cornelia Stahl. Stiftungsgeld floss auch in das Trauercafé in Montabaur, in das digitale Trauerportal für Kinder und Jugendliche „YoungWings“ und in ganz unterschiedliche Projekte der Hospizarbeit.

Lebensfreude anderer Menschen wird unterstützt
Ebenso wichtig ist es den Eltern von Sebastian Stahl, die Lebensfreude anderer Menschen zu unterstützen. Geld fließt in Kindergartenprojekte ebenso wie für Urlaubsaufenthalte von Kindern und Jugendlichen über den Verein Lichtblicke Rennerod und der Besucher der Tagesstätte der Diakonie Westerburg. Und: Die Stiftung führt auch ein Eigenleben. Nicht jeder Verein, der gesponsert wird oder selbst die Stiftung unterstützt, setzt sich mit dem Ursprung der Stiftung auseinander. „Und das ist in Ordnung“, erklärt Cornelia Stahl. „Wir erwarten das auch nicht“, fügt sie an.
Es gibt aber auch die Momente, in denen sie ganz deutlich bei der Stiftungsarbeit ihren Sohn fühlt und denkt: „Das würde Sebastian jetzt besonders gefallen.“ Wie im Advent vergangenen Jahres, als die Organisatoren der Lichterfahrt 220 weihnachtlich geschmückte Traktoren durch den Westerwald schickten. Gerade diese Zeit vor dem Weihnachtsfest, das Sebastian so geliebt hat, ist schwer und dunkel. „Und dann dieses Licht, die Freude und das Erinnern an ihn. Das hat mich sehr berührt“, sagt die Mutter. Mehr als 8500 Euro wurden bei der Aktion für die Ziele der Sebastian-Stahl-Stiftung gespendet.

Erinnerungsbäume helfen auch den Trauernden
Normalerweise werden für Neugeborene Bäume gepflanzt. Warum nicht auch für Verstorbene? Dieser Gedanke kam den Eltern während der Coronazeit, als ihnen von Menschen erzählt wurde, die an der Beerdigung ihres Lebenspartners wegen der Pandemie nicht teilnehmen konnten – und allein in die Trauer gelassen wurden. Ein wichtiger Baustein, abschließen zu können, fehlte.
Dass dieser mit dem Pflanzen eines Erinnerungsbaumes gesetzt werden kann, zeigt eine Rückmeldung: Eine Teilnehmerin schilderte dem Ehepaar Stahl, dass sie sich bei der Pflanzaktion „nach dem Tod ihres Ehemannes zum ersten Mal wieder richtig fühlte, am richtigen Ort, das Richtige zu tun“. Ein Meilenstein, um wieder ins Leben zu finden. Mittlerweile sind im Erinnerungswald bereits 3000 Bäume gepflanzt worden, die nächste Pflanzaktion soll es im Herbst 2025 geben.
„Die Fußballkameraden von Christopher und Sebastian kommen jedes Jahr mehrmals auf den Friedhof und legen Kränze nieder: An den Geburtstagen von Sebastian und Christopher sowie am Sterbetag.“
Andreas Stahl
Es sind viele kleine Momente auf dem Weg der Trauer, die ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind. Darunter sind auch diejenigen, welche Cornelia und Andreas Stahl zeigen, dass die Region und die Menschen Anteil nehmen, dass die Opfer des Germanwings-Absturzes nicht vergessen sind. Andreas Stahl nennt die Aktivitäten des örtlichen Fußballvereins, der im Juli 2017 auf Initiative von Joshua Ickenroth ein großes Benefiz-Fußballspiel veranstaltete.
Außerdem wird jeweils im Sommer ein Gedächtnisturnier in Erinnerung an Sebastian und Christopher (der ebenfalls bei der Katastrophe ums Leben kam) ausgerichtet. „Die Fußballkameraden von Christopher und Sebastian kommen jedes Jahr mehrmals auf den Friedhof und legen Kränze nieder: An den Geburtstagen von Sebastian und Christopher sowie am Sterbetag “, berichtet Andreas Stahl. „Das ist eine ganz besondere Wertschätzung und berührt und bewegt uns als betroffene Familien sehr“.
Einen weiteren Gänsehautmoment verursacht der Song „Three Hearts“ der Band Max Is Alright: Die Band widmete diesen Song den drei Westerwälder Opfern des Absturzes – Sebastian, Larissa und Christopher – und rief öffentlich dazu auf, im Musikvideo mitzuwirken. Der CD-Erlös kam unter anderem der „YoungWings“-Onlineberatung für junge Trauernde zugute.

Menschen spenden ganz bewusst am Geburts- und Todestag
„Wir haben dankbare Erfahrungen machen dürfen durch die Arbeit für die Sebastian-Stahl-Stiftung“, meint Cornelia Stahl angesichts der vielen rührenden, zu Herzen gehenden Rückmeldungen, die sie erreichten. Manche Menschen spenden ganz bewusst zum Geburtstag von Sebastian, seinem Todestag und zu Weihnachten. Cornelia und Andreas Stahl wissen, dass es viele Menschen besonders schätzen, dass ihre Spendengelder zu einem großen Teil in Projekte in der Region fließen.
In diesen Bereichen wirkt die Stiftung
Ziel der Sebastian-Stahl-Stiftung ist es, bürgerschaftliches Engagement zugunsten gemeinnütziger und mildtätiger Zwecke zu fördern. Insbesondere soll es Zuwendungen an Sportvereine im Westerwald (Schwerpunkt Jugendsport), an schulische Einrichtungen und an Kindergärten und Schulen im Westerwald geben. Damit werden Bereiche unterstützt, denen Sebastian sich verbunden fühlte und die Teil seines Lebens waren. Weitere Informationen im Internet unter www.sebastian-stahl-stiftung.de bau