Interview mit Friedrich Merz
„Wir leben in einem weitgehend erschöpften Land“
06.02.2025, Saarland, St. Ingbert: Friedrich Merz (CDU), Kanzlerkandidat der Union, spricht bei einem Wahlkampftermin der CDU im saarländischen St. Ingbert. Foto: Oliver Dietze/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Oliver Dietze. dpa

Vor dem TV-Duell spricht Deutschland über Friedrich Merz und die von ihm gebilligte gemeinsame Abstimmung mit der AfD. Darüber spricht er im Interview mit unserer Zeitung. Und er erklärt, wie er dem Land den Zauber eines Neuanfangs schenken will.

Herr Merz, spielen Sie Skat?

Ja, ich spiele Skat, aber Doppelkopf besser und lieber.

Die Frage hat einen durchaus ernsten Hintergrund: Wer ist Friedrich Merz? Warum tut er das, was er tut, und warum tut er das, wie er das tut? Beim Skat muss man sein Blatt kennen und ihm trauen. Haben Sie vergangene Woche im Bundestag tatsächlich Ihrem Blatt getraut, oder wollten Sie einfach nur in eine Kerbe hauen, um zu zeigen, dass Sie sich das trauen?

Es ging mir spätestens nach Aschaffenburg um den ernsthaften Versuch, der Bevölkerung noch vor der Bundestagswahl zu zeigen, dass wir aus der Mitte des Parlaments heraus etwas tun können, um die innere Sicherheit in Deutschland wiederherzustellen. Der Gesetzentwurf, den wir zur Abstimmung gestellt haben, war seit September im Bundestag. Seine einzelnen Teile sind alle schon einmal von allen Ministerpräsidenten oder früheren Bundesregierungen beschlossen worden, Teile davon hat die SPD in ihrem Wahlprogramm. Es ging um ein klares Zeichen, dass wir uns nach Solingen, Mannheim, Magdeburg und Aschaffenburg nicht das dritte Mal hintereinander nur in den Ritualen des Mitgefühls erschöpfen, sondern jetzt entschlossen handeln.

Es ist nach dieser turbulenten Woche im Bundestag viel herumpsychologisiert worden: Friedrich Merz, drei Kinder, sieben Enkel, nach Aschaffenburg nachvollziehbar betroffen, und deshalb hat er impulsiv das Thema der Brandmauer gegen Rechtsextreme hinter sich gelassen. Sie klingen jetzt sehr kalkuliert. Was ist denn die Wahrheit?

Die Wahrheit ist der erste Teil, aber ganz sicher nicht aus dem Affekt heraus. Wir müssen Familien das Gefühl geben, dass wir in einem sicheren Land leben. Wenn so etwas Schreckliches wie in Aschaffenburg wiederholt passiert, dann muss die Politik zeigen, dass sie handlungsfähig ist. Das war und bleibt mein wichtigstes Motiv. Ich will mich jedenfalls nicht damit abfinden, dass wir im nächsten Bundestag möglicherweise 20 Prozent und mehr AfD haben. Meine Partei ist mitverantwortlich dafür, dass die AfD 2017 in den Bundestag gekommen und 2021 darin geblieben ist. Jetzt steht sie bei fast dem doppelten Wert wie 2021. Ich möchte den Beitrag dazu leisten, den ich leisten kann, dass diese Partei möglichst wieder verschwindet.

Aber können Sie verstehen, dass die Leute, wenn Sie sagen „Es ist mir egal, wie die Mehrheit zustande kommt“ und hinterher bedauern, wie die Mehrheit zustande kam, ein Problem damit haben und dann denken: „Das kann er in Zukunft doch bei jeder Abstimmung sagen“?

Wir sind nur deswegen in dieser Situation, weil es aktuell im Bundestag keine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit gibt. Das ist der Ausnahmezustand seit dem Ampel-Aus am 6. November. Ich gehe davon aus, dass wir nach dem 23. Februar wieder zu klaren Mehrheitsverhältnissen zurückkehren. Wir haben während der gesamten Wahlperiode Anträge gestellt, bei denen die AfD zugestimmt hat oder nicht. Die Koalition hat es ebenso gehandhabt. Wir haben da nie drauf geachtet, und es hat auch sonst niemanden interessiert. In dieser Situation habe ich vergangene Woche stundenlang um die Zustimmung von SPD und Grünen geworben. Wenn die dann ausbleibt, soll ich unseren Antrag deswegen zurückziehen? Er war seit September im Bundestag, als unmittelbare Reaktion auf die schreckliche Tat in Solingen. Klar ist aber auch: Niemand will die aktuelle Ausnahmesituation verfestigen. Ich will nach der Bundestagswahl Mehrheiten für Entscheidungen im Bundestag, die die AfD wieder kleiner machen.

Ihnen muss klar gewesen sein, dass Sie Reaktionen in beträchtlicher Größenordnung hervorrufen. Wir greifen eine bewusst heraus. Der Erzbischof von Paderborn fragt, wie ein künftiges konstruktives Miteinander im Bundestag jetzt noch aussehen kann. Sie sind der Kirche sehr verbunden. Schmerzen Sie solche Fragen?

Das schmerzt mich nicht, aber es beschäftigt mich natürlich. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wir haben am gleichen Tag, nach der Abstimmung über unser Zustrombegrenzungsgesetz, mit den Stimmen der Union und der Rest-Ampel noch das Gewalthilfegesetz beschlossen, das Frauen mehr Schutz vor häuslicher Gewalt geben soll. Es war also an diesem Tag noch möglich, dass wir gemeinsame Entscheidungen treffen. Warum soll das in Zukunft nicht möglich sein, mit etwas Abstand, wenn sich der Pulverdampf dieser Tage gelegt hat?

Also jetzt fröhlich Wahlkampf – und dann?

Ich sehe, dass die Umfragen seit letzter Woche für uns steigen. Wir haben einen sehr guten Parteitag gehabt, die Union ist geschlossen. Schauen Sie dagegen auf die SPD: offene Diskussion über die Nachfolge von Olaf Scholz. Schauen Sie auf die Grünen: offene Diskussion um das sogenannte „Sicherheitspaket“ von Robert Habeck. Ich denke, dass wir ein gutes Wahlergebnis erzielen werden. Es ist eine Werbestunde für die Demokratie, die wir zurzeit erleben.

Trauen Sie den Umfragen wirklich? Forsa sieht Sie aktuell bei 28 Prozent.

Andere sehen uns deutlich höher. Ich traue der Stimmung. Unsere Bundestagskandidatinnen und -kandidaten berichten aus der gesamten Bundesrepublik, dass die Menschen sagen: „Gut, dass ihr das gemacht habt.“

Warum sagen Sie dann „4 Prozent FDP sind 4 Prozent zu viel“? Sind Sie nicht doch nervös?

Nein. Wir müssen einen möglichst großen Abstand vor allen anderen haben. Und das neue Wahlrecht erlaubt uns keine Rücksicht mehr auf kleinere Parteien.

Der Tag, der vieles verändert hat: CDU-Chef Friedrich Merz läuft an der AfD-Fraktion vorbei, die nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der Abstimmung für eine Verschärfung der Migrationspolitik reagiert. Foto: Michael Kappeler/dpa
Michael Kappeler. dpa

Aber selbst wenn Sie sagen, die Dinge seien gut für Sie gelaufen, kann es doch nicht spurlos an Ihnen vorübergehen, wenn der parlamentarische Geschäftsführer der AfD sagt, Ihnen schlottern die Knie. Die Situation, dass dieser Mann im Bundestag in Triumph-Pose ans Mikrofon geht, haben Sie erst ermöglicht.

Vielleicht ist Ihnen das besonders aufgefallen am letzten Freitag. Aber solche Auftritte von der AfD erleben wir jede Woche, das ist für uns nichts Neues. Diese Partei hat mit bürgerlichen Umgangsformen nichts zu tun.

Nehmen wir an, dass aus den aktuellen Umfragewerten ein Wahlergebnis wird. Wen würden Sie denn zu Koalitionsgesprächen einladen und wen nicht?

Erst einmal müssen wir die Wahl gewinnen. Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Dann schauen wir in Sondierungsgesprächen, wer zu einem Politikwechsel bereit ist. Wir haben vor allem zwei große Themenbereiche, Migration und Wirtschaft.

Wenn Sie aktuell mit Angela Merkel in einem Raum wären, was würden Sie ihr sagen?

Es gibt in unserer beider Leben zur Zeit keine Orte, an denen wir uns treffen.

Liegt das an Ihnen?

Nein, Angela Merkel ist aus der Politik ausgeschieden.

Ziemlich beste Feinde: Angela Merkel und Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender und Unionsfraktionsvorsitzender, nehmen am Berliner Gespräch Spezial zum 70. Geburtstag der früheren Bundeskanzlerin teil. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Kay Nietfeld. dpa

Aber sie spricht ständig über Sie.

Das weiß ich nicht. Ich habe das zweimal wahrgenommen, das ist ihr unbenommen.

Aber das war schon ein sehr ungewöhnlicher Vorgang.

Das müssen Sie Angela Merkel fragen.

Viele Menschen gehen davon aus, dass Sie der nächste Bundeskanzler sein könnten. Und stellen sich dann Sie im Gespräch mit Putin oder Trump vor. Und fragen sich, ob sie in solchen Situationen ausreichend in sich selbst ruhen. Tun Sie das und warum?

Ich verstehe die Frage nicht.

Nach der Asyldebatte denken viele Menschen, Sie handeln im Affekt und haben sich nicht im Griff.

Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben parteiintern unsere Entscheidung ganz ausführlich besprochen. Es ist völlig üblich, dass man nach solch schrecklichen Vorfällen wie in Aschaffenburg Entschließungsanträge in den Bundestag einbringt.

Es geht nicht um das Einbringen des Antrags, sondern um die Art und Weise, wie Sie wahrgenommen worden sind. Sätze wie „Ich gehe all-in“ bleiben haften.

Den Satz habe ich im Zusammenhang mit unserem Gesetzentwurf gesagt.

Aber Sie haben es gesagt.

Entscheidend ist, dass ich gesagt habe, ich mache mich nicht von der AfD abhängig.

Durch die US-Wahl ist auch in Sachen Ukraine einiges in Bewegung gekommen. Wo sehen Sie Stellschrauben für Frieden?

Fragen Sie mich das bitte nach der Münchener Sicherheitskonferenz noch einmal. Die amerikanische Regierung will dort offenbar Details ihres Friedensplans für die Ukraine vorstellen. Wichtig bleibt, dass wir uns auch in Europa einig sind, was wir weiter tun.

Schwenken wir auf das Thema Wirtschaft. Manche, nicht alle, Ökonomen sagen, das Wahlprogramm der CDU sei nicht finanzierbar, sondern lebe vom Prinzip Hoffnung.

Ich weiß nicht, wie diese Ökonomen gerechnet haben. Sie sagen zu Recht, dass nicht alle so urteilen. Das Ifo-Institut etwa sagt, dass wir in die richtige Richtung denken. Wir sagen ja auch nicht, dass wir sofort alles wollen. Wir müssen uns bis 2029 wieder Freiräume in den öffentlichen Haushalten erarbeiten.

Sie bleiben beim Renteneintrittsalter von 67?

Ja, ich bleibe definitiv dabei. Aber alle, die länger arbeiten können und wollen, sollen einen vernünftigen Anreiz bekommen, das auch zu tun. Unser Vorschlag lautet: 2000 Euro Freibetrag im Monat für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jenseits der 67 noch arbeiten.

Geht es mit der CDU zurück zur Atomkraft? Aus Prinzip? Oder weil auch das der Wirtschaft helfen soll?

Es geht sicher nicht zurück, aber nach vorn mit der Option Kernkraft und Kernfusion. Die technische Entwicklung ist rasant, etwa bei kleinen modularen Reaktoren, die in Frankreich entwickelt werden. Es ist richtig, dass wir das nicht ausschließen.

Das größte Problem für die Unternehmen ist die Bürokratie. Wo sehen Sie einen Hebel, mit dem man den berühmten Ruck in die richtige Richtung erzeugt?

Die wichtigste Aufgabe liegt in Europa, bei der EU. Dort muss der Rückbau der Bürokratie auf Platz eins der Agenda. Stichworte sind das Lieferkettengesetz, Berichtspflichten und vieles andere mehr.

Für Olaf Scholz war der Mindestlohn 2021 eines der Gewinnerthemen. Jetzt verspricht er 15 Euro pro Stunde. Wie bewerten Sie das?

Ich denke nicht, dass das ein Gewinnerthema ist. Dass es einen Mindestlohn braucht, steht völlig außer Frage. Aber darüber sollte die Mindestlohnkommission aus Arbeitnehmervertretern und Arbeitgebern entscheiden und nicht die Politik. Sonst gibt es einen politischen Überbietungswettbewerb.

Wirtschaft ist bekanntlich zu 50 Prozent Psychologie. Aber eigentlich lässt sich das über das gesamte Land sagen. Der Kollege Gabor Steingart hat kürzlich in seinem Podcast von einer toxischen Gleichzeitigkeit von Themen gesprochen. Die Menschen können angesichts der Nachrichten vielfach nicht mehr.

Ja, wir leben in einem weitgehend erschöpften Land. Die Politik muss jetzt wieder Mut und Zuversicht vermitteln. Unsere Probleme sind lösbar.

Und wie wollen Sie dann diesem Land zwar nicht Sorglosigkeit, aber doch wieder etwas Leichtigkeit und Optimismus geben?

Je nachdem, welche Konstellation wir bekommen, kann dabei der Zauber des Anfangs wirken, vor allem, wenn die Leute merken, dass nicht mehr ständig gestritten wird. Bei einer Regierung, die nur streitet, kommt nichts Gutes für das Land heraus. Die Menschen möchten eine Regierung, bei der sie sehen, dass etwas vorangeht. So möchte ich in die Sommerferien kommen.

Aber ist nicht genau das Friedrich Merz? Sie sagen, in einer von Ihnen geführten Regierung wird nicht gestritten, weil Sie genau sagen, wo es lang geht.

Nein, schauen Sie bitte, wie ich die CDU und die Fraktion seit Jahren führe.

Vielleicht sind Sie zu Ihren eigenen Leuten einfach netter als zu den Sozialdemokraten.

Das kann sein. Aber im Ernst: Wir wären doch als Union nicht da, wo wir stehen, wenn ich nur mit Hauruck führen würde.

Ja, aber als potenzielle Koalitionspartner wären wir trotzdem ein wenig besorgt, wenn jemand sagt: „Es ist mir egal, wer zustimmt.“ Das könnten anstrengende Verhandlungen werden.

Ich säße nicht hier, wenn ich nicht bereit wäre, auch Kompromisse zu machen. Aber wir müssen doch auch ein paar Dinge entscheiden, um voranzukommen. Das ist nicht zu viel verlangt.

Letzte Frage: Wer Aufbruchstimmung erzeugen will, der schafft das besser, wenn er sich selbst Leichtigkeit und Optimismus erhält. Wie gelingt Ihnen das?

Indem ich vermittele, dass ich Spaß habe an dem, was ich tue. Ich mache das gerne. Es macht Spaß, für dieses Land zu arbeiten.

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