In ihrem Pflegebett liegend, eine Hand am über ihr baumelnden Aufrichter, findet die Seniorin deutliche Worte: „Ich sage, wie es ist: Alte Menschen haben keine Lobby, die wehren sich nicht“, sagt sie mit brüchiger Stimme. Ein wuchtiger Satz. Einer, in dem Lebenserfahrung mitschwingt, eigenes Erleben. So klingt Resignation. Die Worte von Maria Staudt, 94 Jahre alt, hat eine Fernsehkamera festgehalten. Genau wie vieles von dem, was sich 90 Tage lang im Caritas-Altenzentrum St. Nikolaus in Bernkastel-Kues an der Mosel ereignet und wo in dieser Zeit gehörig etwas auf den Kopf gestellt wird: Ein Kamerateam, ein prominenter Fernsehkoch, ein bekannter Schauspieler und vor allem zehn junge Menschen mit Behinderungen sind schließlich nicht alle Tage für etliche Wochen in einem Seniorenheim im Einsatz. Das Ergebnis ist in der Dokureihe „Herbstresidenz“ festgehalten, die ab Mittwoch, 5. März, auf Vox läuft. Außerdem ist sie online auf RTL+ zu sehen.
Die Idee hinter dem Ganzen: Junge, beeinträchtigte Menschen treffen auf alte Menschen, die ihren Lebensabend in einer Pflegeeinrichtung verbringen, in der sie zwar versorgt sind, wo sie ansonsten aber ein eintöniges Leben führen. Jahrzehnte trennen beide Gruppe, nicht aber die Erfahrung, nicht (mehr) vollumfänglich am Leben teilnehmen zu können: weil sie mit einer Behinderung leben – oder das Alter Beeinträchtigungen mit sich bringt, sodass man daheim, allein und ohne Hilfe nicht mehr auskommt. Im Heim sieht der Alltag der Bewohner allerdings so aus: sitzen, essen, Zeit totschlagen. Dem Tag entgegenstarren, darauf warten, dass er vorübergeht – und gar der letzte Atemzug kommen möge. So sagen es mehrere der Heimbewohner in die Kamera: „Ich hoffe, dass ich abends ins Bett gehe und morgens nicht mehr aufwache.“

Den alten Menschen fehlt es an Ansprache, einer Aufgabe, an gesellschaftlichem Miteinander, auch wenn viele von ihnen nebeneinander im selben Raum hocken. Nicht nur sie macht diese schleichende Vereinsamung unglücklich. Auch das Personal und die Leitung des Altenheims an der Mosel betrachten die Situation mit Sorge. Aber, auch das zeigt die Doku: Der Arbeitsalltag ist so eng getaktet mit reinen Pflegeaufgaben, dass für ein paar Minuten extra, ein Schwätzchen mit den Alten, eine Tasse Kaffee mit ihnen, keine Zeit ist. „Das geht einfach nicht“, sagt Pflegerin Carmen unglücklich, während Manfred Kappes, Leiter des Caraitas-Heims, erklärt: „Der Pflegenotstand schlägt voll durch.“ Keine Leute, keine Zeit. Dies gilt längst nicht nur im idyllisch an der Mosel gelegenen Altenzentrum, es ist ein allgemeines Problem der Pflege in Zeiten des Fachkräftemangels.
In dieser Gesamtsituation will die Dokuserie ansetzen, hier beginnt die Mission von Gastronom und Fernsehkoch Tim Mälzer und dem aus Koblenz stammenden Schauspieler André Dietz. Ihn kennt man unter anderem aus TV-Serien wie „Alles was zählt“, er spielte Rollen in diversen weiteren TV-Serien wie „Tatort“ und einigen Kinofilmen.
„Wie können wir verdeutlichen, dass Inklusion nicht nur wichtig für ein gutes Miteinander in unserer Gesellschaft ist, sondern dazu beitragen kann, Lücken zu füllen? Da waren wir dann sehr schnell bei der Pflege.“
André Dietz
Für ihre Doku bringen die beiden Jung und Alt zusammen, viel Zeit für einander inklusive. Sie wollen so die Lebensrealität von Seniorinnen und Senioren im Pflegeheim verbessern. Sie möchten jungen, behinderten Menschen zu einer Aufgabe und der Chance verhelfen, sich und ihre Fähigkeiten beweisen zu können, inklusive einer beruflichen Qualifikation als Alltagshelfer. Und: Mälzer und Dietz möchten einen Impuls dafür geben, wie Pflegepersonal entlastet werden kann, wenn zusätzlich Menschen im Einsatz sind, die in kleinen Aufgaben in der Pflege unterstützen – waschen und anziehen etwa–, die aber auch ein offenes Ohr und Zeit für ein Miteinander haben. Und die Tasse Kaffee. Tim Mälzer beschreibt die Lage im Altenheim so: „Die Pfleger geben Tag für Tag ihr Bestes, das lag vom ersten Moment an auf der Hand. Doch aufgrund des Mangels an Personal bleiben viele Dinge dabei trotzdem auf der Strecke.“
Mälzer und Dietz haben ein ähnliches Format schon einmal gemeinsam gemacht. 2022, damals ging es bei „Zum Schwarzwälder Hirsch – eine besondere Küchencrew““ darum, dass junge Menschen mit Trisomie 21 möglichst eigenständig ein Restaurant führen, von der Küche bis zum Service: ein Positivbeispiel dafür, wie Inklusion gelingen kann. Die Doku mit viel Herz und Empathie wurde ein riesiger Erfolg, gute Kritiken, etliche Preise, eine breite positive Resonanz – und vor allem hätten einige der Teilnehmer durch die Serie eine echte Chance im Leben bekommen, erzählt André Dietz im Gespräch mit unserer Zeitung: „Das ist genau das, was wir mit unserem Experiment damals erreichen wollten.“

Schauspieler André Dietz: Mit einer besonderen Küchencrew vor der Kamera
Es ist ein Experiment, festgehalten in einer einfühlsam erzählten Dokuserie: 13 Menschen mit Down-Syndrom sollen lernen, möglichst eigenständig in Küche und Service eines Restaurants zu arbeiten.
Also lag eine Fortsetzung auf der Hand – wobei Dietz nicht von einer Fortsetzung sprechen möchte, vielmehr von einem neuen Projekt. „Wir haben uns gefragt: Was können wir noch machen, um das Thema Inklusion noch mehr in die Öffentlichkeit zu bringen? Wie können wir verdeutlichen, dass Inklusion nicht nur wichtig für ein gutes Miteinander in unserer Gesellschaft ist, sondern dazu beitragen kann, Lücken zu füllen? Da waren wir dann sehr schnell bei der Pflege“, sagt Dietz. Den 49-Jährigen treibt das Thema Inklusion besonders an, eines seiner vier Kinder lebt mit einer Behinderung. Tochter Mari hat das Angelman-Syndrom, was unter anderem eine körperliche und geistige Entwicklung stark verzögert.
Eine persönliche Komponente bringt auch Tim Mälzer mit in die Doku: In der ersten Folge erzählt er, wie er sich darum sorgt, wie seine verwitwete Mutter in Zukunft versorgt werden kann. Während er eigentlich eine ganz heimelige Vorstellung von einem Lebensabend im Altersheim hat, graust es der Mutter davor, ins Heim zu ziehen. Aus vielen Gründen: das Zuhause verlassen zu müssen, nicht mehr selbstbestimmt zu leben, tatenlos sein zu müssen. All das berichtet Mälzer zu Beginn der Doku – und zieht daraufhin kurzzeitig als Heimbewohner auf Probe ins Altenzentrum an der Mosel. Für ihn ein Wechselbad der Gefühle.
„Das ist eine Generation, in der die meisten nicht viele Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderungen hatten. Da gibt es eine Scheu, denen traut man erst einmal nicht viel zu.“
André Dietz
90 Tage lang haben Dietz, Mälzer und die jungen Teilnehmer im Caritas-Heim gedreht, im Frühling und Sommer des vergangenen Jahres. Es war eine intensive Zeit, erzählt Dietz, zumal sie mit einer gewissen Unsicherheit begann: Kann es klappen, dass die Seniorinnen und Senioren und die jungen Menschen mit Behinderung einen Draht zueinander finden? „Die älteren Herrschaften hatten anfangs schon Vorbehalte“, berichtet Dietz. Das sei verständlich: Die meisten der Bewohner sind weit über 80, gar über 90. „Das ist eine Generation, in der die meisten nicht viele Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderungen hatten. Da gibt es eine Scheu, denen traut man erst einmal nicht viel zu.“
Auf der anderen Seite sind die jungen Teilnehmer, teils unter 20, teils darüber. Auch für sie ist die neue Aufgabe im Pflegeheim herausfordernd – für manche mehr, für andere weniger. Dennoch, findet Dietz, arbeiteten alle Teilnehmer gegen eine allgemeine Haltung in der Gesellschaft an, wonach Menschen mit Behinderung nicht viel zugetraut wird. „Und teils haben auch die Betroffenen nicht gerade viel Selbstvertrauen in sich – teils auch, weil ihr Umfeld sehr behütend mit ihnen umgeht“, sagt er.
Doch wie schon in der Doku „Zum Schwarzwälder Hirsch“ passiert etwas mit den Teilnehmern, meistern sie Herausforderungen, denen sie sich noch nie stellen mussten – sei es, einen Kochtopf in den Händen zu halten, sei es, einem alten Menschen beim Waschen des Körpers zu helfen. „Ich hatte so viele Aha-Momente bei diesem Dreh“, erzählt André Dietz. Nicht nur bezogen auf die Menschen mit Behinderung, sondern auch auf die Heimbewohner: „Wenn sie aktiviert werden, wenn sie mehr Zuwendung und Nähe erhalten und ihre Fähigkeiten abgerufen werden, dann ist es wahnsinnig toll zu sehen, wie sie aufblühen.“ Wie wieder mehr Lebenslust entsteht.

Für Dietz war der Dreh an der Mosel übrigens ein Wiedersehen mit seiner alten Heimatregion: Er ist im Koblenz Stadtteil Güls aufgewachsen, das Viertel liegt an der Mosel. Zudem wohnte er eine Weile in Trier – für den Dreh in Bernkastel-Kues und am Fluss zu sein, das weckte Heimatgefühle. Und Erinnerungen, an die Oma beispielsweise. „Dank ihr verstehe ich Moselfränkisch“, erzählt Dietz. So konnte er im Altenzentrum auch einige Mal übersetzen, wenn Bewohner in Mundart kommunizierten. „Und wir haben auch gemeinsam gesungen – wobei ich hoffe, dass mein Part nicht in der Doku zu sehen ist.“
Ob und wie derweil das Experiment „Menschen mit Behinderung unterstützen in der Pflege“ glücklich verläuft, sei an dieser Stelle noch nicht verraten. Nur so viel: Das Altenzentrum in Bernkastel-Kues trägt seit Kurzem nicht mehr den Namen St. Nikolaus, sondern Caritashaus Herbstresidenz.
So kam es zur Zusammenarbeit mit dem Altenzentrum St. Nikolaus
Wie es zur Zusammenarbeit zwischen dem Altenzentrum St. Nikolaus, Vox und Vitamedia, der Produktionsfirma der Doku, kam, erklärt Tobias Möllney. Er ist Pressesprecher der St. Raphael Caritas Alten- und Behindertenhilfe GmbH, zu der das Pflegeheim gehört. Im Herbst 2023 trat Vitamedia an die GmbH heran, die Projektidee haben man gemeinsam weiterentwickelt, heißt es einem Pressetext. Die Caritas, skizziert Möllney, sah das Ganze als Chance, Alten -und Behindertenhilfe zu verbinden und neue Impulse zu setzen: „Unser Fazit fällt positiv aus.“ Dies bestätigt Manfred Kappes, Leiter des Heims: Das Projekt habe gezeigt, dass Menschen mit Beeinträchtigungen viele Aufgaben in der Pflege übernehmen und dadurch das Personal unterstützen und entlasten könnten.
Eine Auszeichnung gab es bereits: den Pflegepreis Rheinland-Pfalz 2024. Er ging an das Altenzentrum und das Weiterbildungszentrum an der Pflegeschule Daun in der Kategorie „Berufliche Integration schwerbehinderter Menschen in der Pflege“. ame