Wie lässt sich das Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein (GKM) in eine finanziell gesicherte Zukunft führen und eine Insolvenz abwenden? Diese Frage treibt den Koblenzer Stadtrat wie den Kreistag Mayen-Koblenz nach dem geplatzten Übernahmepoker mit dem Krankenhauskonzern Sana AG ebenso heftig wie hektisch um – auch bei teils vertraulichen Sitzungen in dieser Woche. Geben dabei schon zwei in diesen Tagen erwartete Gutachten, darunter ein Zukunftskonzept von Unternehmensberater Roland Berger, eine wichtige Orientierung – auch für die tief in den roten Zahlen steckenden Standorte in Boppard, Mayen und Nastätten?
Zuletzt haben der Kreis Mayen-Koblenz und die Stadt Koblenz als größte Gesellschafter im Februar äußerst kurzfristig einer Finanzspritze von je 2,5 Millionen Euro zugestimmt. Aber diese Summe kann nach Informationen unserer Zeitung das Klinikum längst nicht kurieren. Nach vorläufigen internen Prognosen droht in diesem Jahr offenbar ein Minus von 8 Millionen Euro. Zudem läuft im März ein Kredit über 10 Millionen Euro aus, wie es heißt. Verhandlungen, ihn zu verlängern, laufen.
Heftige Kritik an den Stiftungen
In dieser Lage ist in den kommunalen Parlamenten heftige Kritik an den beteiligten Stiftungen laut geworden, die zwar immer mitreden, aber kein Geld zuschießen wollten. „Entweder finanzielle Beteiligung oder Ausstieg“, fordern nicht nur die Grünen im Koblenzer Stadtrat. Sie haben wie andere Fraktionen und die Koblenzer Stadtspitze eine kommunale Lösung für das Klinikum im Auge. Denn offenbar hat bisher kein neuer Investor angeklopft.
Dabei sehen aber vor allem Stadtratsmitglieder auch die Nachbarkreise Rhein-Hunsrück und Rhein-Lahn für die Krankenhäuser in Boppard und Nastätten in der Pflicht, die man nicht mit Koblenzer Steuergeld stützen und sanieren will. Dabei haben Entscheidungsträger dieses Szenario vor Augen: In Nastätten wird 2024 nach internen Berechnungen ein Minus von etwa 3 Millionen Euro befürchtet. In Boppard droht offenbar ein Finanzloch von 1,3 Millionen Euro, in Mayen sollen bei derzeitiger Kalkulation und Struktur bis Jahresende 2,5 Millionen Euro bis Jahresende fehlen.
Stiftungen wollen Kommunen keine Steine in den Weg legen
Wirkt der wachsende Druck auf die Stiftungen aus den Kommunen, die immer wieder Millionen aufbringen müssen? Wie die Verwaltungsratsvorsitzende der Koblenzer Stiftung Evangelisches Stift St. Martin, Brigitte Bollinger-Wechsler, unserer Zeitung sagt, ist man bereit, „sich weitestgehend zurückzuziehen“, um einer kommunalen Trägerschaft „keine Steine in den Weg zu legen“. Zudem versichert sie, dass ihre Stiftung bei einem Rückzug dem GKM auch „in keiner Weise finanziell schaden will“.
Weit von sich weist Bollinger-Wechsler kursierende Zahlen, wonach die Stiftungen 7,5 Millionen Euro für ihre Anteile fordern. Diese Summe „ist aus der Luft griffen“, sagt sie. Dem Vernehmen nach hatte die Sana AG diesen Betrag noch im Frühjahr 2021 für die Stiftungen in den Raum gestellt. Aber seitdem schreibt das Klinikum „im dritten Jahr Verluste“, wie Entscheidungsträger im Kreis berichten. Bisher haben die Stiftungen, zuletzt noch im Januar, mit Hinweis auf ihre geringen Anteile und den fehlenden Einfluss auf die Geschäftsführung jede Finanzierungsverantwortung strikt abgelehnt.
Erstes Sondierungsgespräch mit Landrat und OB
Die Linie zum Rückzug der Koblenzer Stiftung, die in Boppard geteilt würde, hat Bollinger-Wechsler nach ihren Worten in einem ersten Sondierungsgespräch mit MYK-Landrat Alexander Saftig (CDU) und dem Koblenzer Oberbürgermeister David Langner (SPD) am vergangenen Donnerstag auch deutlich gemacht. Dabei ist aber auch klar: Anders als die Koblenzer Stiftung plagen die anderen Stiftungen Sorgen um ihre Standorte, die sie „in welcher Form auch immer“ gesichert sehen wollen, wie Bollinger-Wechsler auch berichtet.
Zum Hintergrund der komplizierten Vertrags- und Gemengelage: Stadt und Kreis halten je 33,547 Prozent der Anteile, die Koblenzer Stiftung 18,803 Prozent sowie die Stiftung zum Heiligen Geist (Boppard), Stiftung Seniorenhaus zum Heiligen Geist (Boppard) sowie Paulinenstift (Nastätten) je 4,701 Prozent.
Wie Landrat und Oberbürgermeister das noch frische Angebot von Bollinger-Wechsler in letzter Konsequenz mit seinen öffentlich noch vagen Konditionen bewerten und letztlich ausverhandeln wollen, ist noch offen. Angesichts der derzeit hohen Verluste dürften Kreis und Stadt genau prüfen, wie sich der Verzicht auf die Anteile am Ende tatsächlich rechnet und welche Bedingungen damit verknüpft wären.
Was wird aus den Vetorechten?
Mindestens genauso wichtig ist ihnen bei Entscheidungen für ein Zukunftskonzept aber auch, ob die Stiftungen ihr absolutes Vetorecht verteidigen können und wollen, egal wie hoch der Gesellschafteranteil in Zukunft noch sein wird, heißt es im Kreishaus. „Eine Verringerung der Anteile bei gleichzeitigem Festhalten an den Vetorechten wird das Problem für das GKM nicht lösen“, heißt es bei kommunalen Entscheidungsträgern.
Das Problem, vor dem alle Krankenhäuser stehen: Die finanzielle Lage lasse sich durch höhere Einnahmen kaum verbessern, wird erklärt. Ein Grund: Auf dem regulierten Gesundheitsmarkt kann das GKM nicht wie ein Wirtschaftsunternehmen einfach die Preise erhöhen. Und: Wegen der angespannten Personallage gelten die Kapazitäten für mehr stationäre Aufnahmen derzeit als begrenzt, wie Patienten in Koblenz bei Wartezeiten teils bereits spüren. Also bleibe nur, die Verluste deutlich zu senken, ist zu hören. Angesichts dieser Kassenlage dürfte das GKM also mit seinen Hauptgeldgebern prüfen, ob sich in der jetzigen Struktur alle Standorte in der heutigen Form noch erhalten lassen und ob sich doch noch neue Quellen für mehr Liquidität erschließen lassen – auch für notwendige Investitionen.
In den Nachbarkreisen sieht es für Finanzhilfen wegen der angespannten Haushaltslage bisher eher trist aus. Zudem wollen die Kreise klären, welche rechtlichen Hürden für eine finanzielle Beteiligung am GKM noch bestehen. Wie aber spielen die Stiftungen im derzeitigen Konstrukt mit, um das Klinikum finanziell zu heilen? Können sie sich nicht dazu entschließen, doch noch Geld zu mobilisieren, machen Kommunalpolitiker keinen Hehl daraus, dass sie einen großzügigen Verzicht auf Anteile und den deutlichen Abschied vom absoluten Vetorecht erwarten. Über das erste Angebot der Stiftungen werden die kommunalen Parlamente in dieser Woche informiert. Kreisausschuss und Stadtrat tagen.
Von der Fürsorge zum Klinikum
Welchen Zielen hat sich die Stiftung Evangelisches Stift St. Martin in Koblenz eigentlich verschrieben, die am Gemeinschaftsklinikum beteiligt ist und in diesem Jahr 180 Jahre alt wird? Sie wurde von Johann Friedrich Kehr gegründet, einem protestantischen Inhaber einer Druckerei in der Gymnasialstraße. Wie die Verwaltungsratsvorsitzende Brigitte Bollinger-Wechsler sagt, stand ursprünglich die Fürsorge für Waisen, die Kranken- pflege und die Altenhilfe im Mittelpunkt. „Jetzt ist es die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der Gesundheitspflege, der Altenhilfe und des Wohlfahrtswesens.“
1974 habe die Stiftung den heutigen Bettenbau des Krankenhauses Evangelisches Stift St. Martin errichtet. 2003 kam es zur Fusion der Gesundheits- und Altenpflegeeinrichtungen Evangelischem Stift, der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist (Boppard), der Stiftung Seniorenhaus zum Heiligen Geist (Boppard) und des Paulinenstifts (Nastätten) zum Stiftungsklinikum Mittelrhein. 2014 folgte mit den städtischen Krankenhäusern Kemperhof (Koblenz) und St. Elisabeth (Mayen) die Fusion zum Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein (GKM). Die Stiftung ist einverstanden, dass das alte Bettenhaus des Stifts aufgegeben wird und ein Neubau für beide Koblenzer Krankenhäuser im Stadtteil Moselweiß entsteht. Die Immobilie muss dann neu genutzt werden. Aber dies ist in der jetzigen Finanzlage bisher nur Zukunftsmusik.
Die Stiftung Evangelisches Stift St. Martin hat nach eigenen Angaben neben dem Krankenhaus auch ein Alten- und Pflegeheim mit 47 Plätzen gebaut und betrieben. Beides gehört jetzt zum GKM. 2008 habe sie außerdem 123 Wohnungen für Betreutes Wohnen durch einen Bauträger ermöglicht, dem sie in Erbpacht das Grundstück zur Verfügung gestellt habe. Die Stiftung betreibe seit 2006 selbst ein Hospiz mit zehn Plätzen. Hier arbeite sie eng mit dem Koblenzer Hospizverein zusammen. Zuletzt sei das Hospiz aufwendig renoviert worden, um eine noch bessere Wohnatmosphäre zu schaffen, berichtet Bollinger-Wechsler. Die Stiftung ist momentan mit 18,8 Prozent am GKM beteiligt, die anderen Stiftungen mit je 4,7 Prozent.