Jetzt wählt sie einen der wohl drastischsten Wege, um einen Schlusspunkt unter diese Zeit zu setzen: Sie hat sich und ihre Brüste vom Kölner Fotografen Gerhard Zerbes in einem Aktfotoshooting ablichten lassen. Am 1. Oktober ist ihr Bild neben denen von anderen Brustkrebspatientinnen in der Wanderausstellung „Veränderung“ im Koblenzer Kemperhof zu sehen.
„Mich so zu zeigen, das hat mir sehr geholfen. Trotz dieser Erkrankung, bist du trotzdem wer, habe ich mir gesagt. Und innen drin bin ich ja auch ich geblieben. Das Shooting hat mir auch geholfen, mich wieder normal in der Öffentlichkeit zu zeigen, zum Beispiel im Schwimmbad. Das kann ich jetzt wieder.“ Als der Fotograf im August die ersten Aufnahmen von ihr machen will, fällt es der 45-Jährigen anfangs schwer, sich auszuziehen. „Aber von Stunde zu Stunde wurde es einfacher. Herr Zerbes ist ein ganz toller, einfühlsamer Mann. Seine Frau war auch dabei, obwohl sie hochschwanger war. Das war toll. Und als ich dann die ersten Fotos gesehen habe, dachte ich: Hey, du siehst gut aus trotz dieser Dreckserkrankung.“
Diese schreckliche Erkrankung entdeckt sie im Januar 2015 unter der Dusche. Sie spürt einen Knoten in ihrer rechten Brust. Eigentlich war es kein Knoten mehr, sagt sie heute. 5,5 mal 4,5 Zentimeter. Die Maße des Tumors in ihrer Brust kennt sie genau. „Das war schon ziemlich heftig. Und es war ein sehr schnell wachsender Tumor.“ Davon ahnt Heike Kieback damals noch nichts. Sie hat andere Probleme. In ihrer Ehe kriselt es heftig. 20 Kilo hat sie innerhalb von sechs Wochen abgenommen – aus Frust. So erklärt sie sich heute auch, dass sie den Tumor überhaupt entdecken konnte. „Mir war schon klar, dass etwas mit mir nicht in Ordnung war. Aber mit Brustkrebs habe ich das Ganze nicht in Verbindung gebracht.“
Dabei hat sie Erfahrung mit Wucherungen in ihrem Körper, die dort nicht hingehören. Bereits 1994 wurde bei ihr, als sie noch in Brandenburg lebte, chronische Endometriose diagnostiziert. Das ist eine Unterleibserkrankung, bei der sich Gebärmutterschleimhaut außerhalb des Organs ansiedelt. Diese Zysten sind zwar meist gutartig, aber überaus schmerzhaft. Alle zwei bis drei Jahre werden die Zysten in Heike Kiebacks Unterleib entfernt. Um den Zeitpunkt der nächsten Operation möglichst lang hinauszuzögern, bekommt sie Medikamente. Doch die haben leider auch einige Nebenwirkungen, erfährt die Frau aus Oranienburg: Die Pillen können Osteoporose auslösen – und Brustkrebs.
Kurze Zeit nachdem Heike Kieback den Knoten in ihrer Brust entdeckt hat, geht sie zur Mammografie ins St.-Elisabeth-Krankenhaus nach Mayen. Danach sagt ihr die Schwester: „Bleiben Sie bitte noch hier. Wir müssen noch ein Ultraschall machen.“ Langsam ahnt Kieback, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Eine Ärztin nimmt sich eine Dreiviertelstunde Zeit, um ihr zu erklären, dass sie Brustkrebs haben könnte. Sie mag es noch nicht begreifen: „Ich habe es zwar geahnt, was auf mich zukommen könnte, aber damals habe ich es noch ignoriert.“
Drei Tage später ist das nicht mehr möglich. Nach einer Biopsie eröffnet ihr ein anderer Arzt: „Sie haben Brustkrebs.“ Heike Kieback kann es bis heute nicht fassen, was der Arzt dann getan hat: „Er hat mir das gesagt, und dann war er weg. Wären die Schwestern nicht da gewesen, wüsste ich nicht, was passiert wäre. Ich bin in mich zusammengesackt. Aber die Schwestern haben mich später in den Arm genommen, mich aufgefangen. Die Art und Weise dieses Arztes hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Das war unmöglich.“
Heike Kieback fühlt sich allein. Ihr erwachsener Sohn muss am Tag der Diagnose arbeiten, „mein Mann hat die Flucht ergriffen“. Und so sitzt sie allein im Arztzimmer. „Meine größte Angst war, ob ich das alles überlebe. Man fällt ins Bodenlose in dem Moment. Man fällt. In dem Moment, wenn man das Wort Krebs hört. Das ist wie eine Jalousie, die herunterrast. Schluss. Auf der Jalousie steht ganz groß Krebs. Und Krebs bedeutet Tod. Und was wird dann aus meinem Sohn? Ob ich das überlebe – diese Frage habe ich gestellt, aber keine Antwort bekommen. Ich sollte erst mal Chemo, Bestrahlung und Operation abwarten.“ Doch Heike Kieback geht es nicht um das Medizinische. „Mir hat bei der Diagnose gefehlt, dass jemand nur nach meiner Hand greift und sie hält oder dass mich jemand in den Arm nimmt. Das heißt nicht Mitleid. Einfach nur Festhalten.“
Deshalb wünscht sie sich, dass bei der Diagnose Brustkrebs keine Frau mehr allein ist. Sollte eine Patientin allein kommen, dann muss ihr eine Begleitung angeboten werden, fordert sie – eine Brustschwester, die es an vielen Krankenhäusern gibt, oder ein Psychoonkologe oder jemand wie Heike Kieback. Denn sie engagiert sich seit ihrer Erkrankung in der Frauenselbsthilfe nach Krebs. Mittlerweile leitet sie die Selbsthilfegruppe in Mayen, die sich einmal pro Monat in der Kapelle der Mayener Klinik trifft. „Mir geht es darum, die Mädels aufzufangen, wenn sie die Diagnose bekommen haben. Von Betroffener zu Betroffener redet es sich einfach leichter. Wir sprechen über alles Mögliche, was man erlebt hat. Ab und zu haben wir auch Dozenten da. Dieses Beisammensein hilft einfach. Man spürt, dass man nicht die Einzige ist, der es so ergeht. Allein ist man so überfordert.“ Wie Heike Kieback, als ihr kurze Zeit nach der Diagnose ein Teil der rechten Brust und zwei Lymphknoten entfernt werden. „Der Tumor war schon wieder um einen Zentimeter gewachsen. Er hatte aber nicht gestreut.“
Doch ihre Leidensgeschichte fängt jetzt erst richtig an. Kurz vor der zweiten Chemotherapie fallen ihre Haare aus. Ihr Ehemann verlässt sie, erklärt ihr, dass er sie jetzt erst recht nicht mehr lieben kann. „Ich war allein – in dem Moment, als ich meine Haare verloren habe, was für eine Frau besonders schlimm ist.“ Sie liegt tagelang auf der Couch. Ihrem Sohn hat sie es zu verdanken, dass sie nicht ins Bodenlose fällt. „Er hat sich um mich gekümmert. Er hat sich förmlich überschlagen.“
Es folgt der nächste Schock, als ihre Brust nach überstandener Chemotherapie und Bestrahlung wiederhergestellt werden soll. Bis heute hat sie das Foto von ihrer rechten Brust auf ihrem Handy. Sie sieht aus wie aus einem Horrorfilm. „Ich habe fast ein halbes Jahr mit einer offenen Brust gelebt. Die Brustwarze hat der Arzt irgendwo unten an der Brust angenäht“, sagt sie, „normale Frauenärzte sollten sich nicht anmaßen, eine Brust zu rekonstruieren. Sie sollten die Patientinnen abgeben und zu einem plastischen Chirurgen schicken.“
Den findet Heike Kieback im Jahr 2016 am Evangelischen Stift in Koblenz. Zehnmal wird sie allein 2016 operiert, danach noch weitere Male, ehe sie im März dieses Jahres endlich erlöst ist. Nur die Brustwarze fehlt ihr noch – die könnte folgen. Heike Kieback sieht die vielen Operationen pragmatisch: „Dafür war die OP-Technik ganz toll. Sie haben mir die Brust amputiert und dafür Bauchfett nach oben versetzt.“ Als die 45-Jährige das erzählt, lacht sie laut. Es ist ein befreites Lachen – als ob sie all die Tränen der vergangen drei Jahre aus ihrem Leben vertreiben will.
Heike Kieback darf das Foto, das Anfang Oktober in der Ausstellung zu sehen ist, noch niemandem zeigen. Doch sie hat viele andere Aufnahmen vom Aktshooting in Köln auf ihrem Handy. Sie zeigen eine selbstbewusste Frau. Auf ihrer rechten Brust sind Narben zu sehen. „Aber die sind äußerlich. Innerlich sind auch ein paar geblieben. Aber jetzt beginnt ein neues Leben.“ Christian Kunst