. Dass auf TikTok nicht nur tanzende Teenager zu finden sind, ist mittlerweile auch in der Politik angekommen. Die AfD nutzt die App für ihren Wahlkampf, indem sie ihre politischen Gegner angreift und Ängste und Sorgen in der Bevölkerung schürt. Damit erreicht sie ein Publikum in Millionenhöhe – dem ausgeklügelten Algorithmus sei Dank. Der zahlenmäßige Erfolg der Partei weckt Begehrlichkeiten bei der politischen Konkurrenz, auch in Rheinland-Pfalz.
Nachdem sich die AfD über Jahre hinweg dort ein treues Publikum aufgebaut hat, zieht es langsam aber sicher auch andere Politiker auf die Plattform. Wir haben uns angeschaut, wie es in der rheinland-pfälzischen Parteienlandschaft aussieht. Wer gibt auf TikTok den Ton an, und welche Strategien stecken dahinter?

TikTok nicht den Populisten überlassen
TikTok und die Politik: Das scheint in Deutschland hauptsächlich für die AfD zu funktionieren. Dass sich die anderen Parteien vor der Plattform scheuen, kann im schlimmsten Fall der Demokratie schaden, findet unsere Volontärin Viktoria Schneider.
Zumindest der Blick auf die reinen Zahlen zeigt: Die Politik kann nur schwer Fuß fassen. Nur die Landesverbände der Grünen, der CDU und der Linken sind mit rund 1000 Followern pro Kanal vertreten, etwa genauso viele hat der Kanal der SPD-Landtagsfraktion. Der offizielle SPD-Landesverband hat rund 1200 Follower. Die AfD und die Freien Wähler haben keinen offiziellen Kanal. Der Kanal der FDP befindet sich noch in der Aufbauphase, bestätigt uns ein Sprecher. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bestätigte uns am Montag einen eigenen Kanal. Anders als bei den meisten anderen Parteien hat dieser keinen blauen Haken, der die Überprüfung durch die Plattform nachweist. Die Nachfrage beim Landesverband, ob es einen offiziellen Kanal gibt, war zudem unbeantwortet geblieben.
Bei den Videoaufrufen, die auf TikTok mehr zählen als reine Followerzahlen, können die Parteien ebenfalls nicht punkten. Die meisten Videos haben nur wenige Hundert oder Tausend Aufrufe, einzelne Ausreißer können auch mal fünfstellige Werte generieren.
Wenig Erfolg durch fehlende Professionalität
Etwas besser läuft es, wenn statt bloßen Parteithemen dem Kanal ein Gesicht zuzuordnen ist, zum Beispiel von SPD-Ministerpräsident Alexander Schweitzer. Seine TikTok-Karriere startete, als er im vergangenen Juli den Posten von Malu Dreyer übernahm. Mal mehr, mal weniger professionell klingen die Videos auf seinem Kanal mit mittlerweile rund 1800 Followern an. Der Ministerpräsident gewährt bei einem Rundgang durch sein Büro einen Blick hinter die Kulissen, beantwortet Fragen von seinen Followern oder gibt Tipps gegen die Sommerhitze. Den einen oder anderen Trend hat Schweitzer schon mitgemacht – aber alles in allem bleibt es ruhig auf seinem Kanal.
Von Zeit zu Zeit erhält die Staatskanzlei Unterstützung aus Koblenz bei der Erstellung von Inhalten für TikTok – die Digitalagentur 247GRAD, die seit Jahresbeginn zur Firmengruppe des Mittelrhein-Verlags gehört, ist an der Produktion einzelner Videos in Mainz oder im Agentur-eigenen Studio beteiligt, wie Geschäftsführer Thomas Berg erklärt. „Bei diesen Inhalten ist dann unsere Kollegin Louisa zu sehen – sie gibt aus einer persönlichen und nahbaren Perspektive Einblicke hinter die Kulissen“, erklärt Berg.
Trotz dieser professionellen Herangehensweise: Nur wenige Schweitzer-Videos erreichten fünfstellige Aufrufzahlen, die meisten bleiben drei- oder vierstellig.
Zur Person: Michael Klemm

Michael Klemm, Jahrgang 1968, hat in Trier Germanistik und Politikwissenschaft mit dem Zusatzzertifikat Medienkommunikation studiert. Nach einer Station an der TU Chemnitz kam er nach Koblenz, wo er seit 2006 die Professur für Medienwissenschaft am Institut für Kulturwissenschaft innehat.
Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Medienkommunikation und Medienkulturen, politische Onlinekommunikation (in sozialen Medien) und die international vergleichende Medienforschung. vs
Dass generell Videos aus der Landespolitik überschaubare Zahlen erreichen, wundert Michael Klemm, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Koblenz, überhaupt nicht. „Es fehlt meist noch an Professionalität“, betont er im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Themen, die die Parteien ansprechen – bei der SPD-Landtagsfraktion zum Beispiel überwiegend aus dem Gesundheits-, Bildungs- oder Haushaltsbereich – seien durchaus relevant, aber es fehle ein durchdachtes Konzept.
Die Parteien bräuchten im besten Fall eine Vollzeitkraft, die sich um den Kanal kümmert, wie ihn die Staatskanzlei derzeit übrigens sucht. Außerdem muss der Schnitt passen, der Ton ebenso, und die Videos müssten häufiger kommen. So sehe es manchmal „unfreiwillig komisch“ aus, findet der Medienwissenschaftler.
Den Amateur-Charakter der Videos würden die Follower nicht schätzen. Viele der Kommentare unter den Videos sind negativ. „Nie wieder rot“ oder „Denen kann man echt nicht mehr helfen“ ist zum Beispiel unter den Videos der SPD zu lesen – wenn es überhaupt Kommentare gibt.

Der Algorithmus würde eher Themen bevorzugen, die polarisieren. Perfektioniert hat das die AfD, die große Erfolge auf TikTok verbuchen kann – jedenfalls den nackten Zahlen nach. Die Bundesfraktion hat rund 536.000 Follower auf TikTok, die Kanzlerkandidatin Alice Weidel sogar rund 784.000 Follower. Der rheinland-pfälzische Landesverband besitzt dagegen keinen eigenen Account, bestätigt uns Pressesprecher Robin Classen: „Die auf TikTok vorhandenen Kanäle werden nicht vom AfD-Landesverband, sondern von Dritten betrieben und sind somit nicht offiziell.“
In Rheinland-Pfalz finden vor allem die Kanäle einzelner AfD-Politiker größere Verbreitung, zum Beispiel vom stellvertretenden Landesvorsitzenden Sebastian Münzenmaier, der zugleich Mitglied im Bundestag ist. Mit rund 111.000 Followern dürfte er einer der zahlenmäßig erfolgreichsten Politiker im Bundesland sein. Seine Themen? Migration, Wirtschaft und die vermeintliche Gefahr für „die Deutschen“. Damit spricht er die Ängste und Sorgen vieler Bürger an. Dutzende Videos erreichen mehr als 100.000 Aufrufe.
„Es erinnert mich ein bisschen an die Sprechweise von Joseph Goebbels.“
Michael Klemm, Medienwissenschaftler an der Universität Koblenz, zur Sprache der AfD
Die AfD nutzt eine drastische Sprache mit einfachen, kurzen Sätzen, erklärt Klemm. Der Medienwissenschaftler geht sogar noch einen Schritt weiter: „Es erinnert mich ein bisschen an die Sprechweise von Joseph Goebbels.“ Als Oppositionspartei habe es die AfD natürlich leichter, andere Parteien zu kritisieren – und ohne Regierungsverantwortung auch mehr Zeit, Videos zu produzieren.
Klemm fällt ein Hang zu plakativer Wortwahl aber auch zunehmend bei anderen Parteien auf. Die rheinland-pfälzische CDU zum Beispiel setzt auf ihren TikTok-Star Johannes Steiniger. Der Generalsekretär und Bundestagsabgeordnete hat rund 40.700 Follower auf der Plattform und viele Videos, die mehrere Millionen Aufrufe generieren konnten. Das habe er einem zugespitzten Ton gegenüber der gescheiterten Ampel-Regierung zu verdanken. Der Medienwissenschaftler stellt aber klar: Die CDU verzichte im Gegensatz zur AfD auf Drohungen gegenüber anderen Parteien.
Unterschiede in der Tonalität erkennt auch Thomas Berg: „Grundsätzlich kann eine Oppositionspartei – nicht nur bei TikTok – natürlich ganz anders auftreten als Vertreter einer Landesregierung, die ja auch daran gemessen werden, ob sie das Gesagte denn auch umsetzen“, sagt der Koblenzer Agenturchef. Und ob das Schüren von Angst, das Anfeinden von „denen da oben“, wie es etwa die AfD betreibe, wirklich ein nachahmenswerter „Erfolg“ ist, stellt er infrage. „Auch wenn man natürlich sagen muss, dass die das handwerklich oft gut machen.“
Nicht nur die AfD setzt auf eine emotionale Sprache
Johannes Steinigers Gegenpart im Vorstand, der Fraktions- und Landesvorsitzende Gordon Schnieder, ist ebenfalls seit Kurzem auf TikTok – mit bisher mäßigem Reichweiten-Erfolg. Die beiden teilen sich auf TikTok die Rollen auf, vermutet Klemm. Schnieder als Parteichef und potenzieller Ministerpräsidentenkandidat gehe die Themen eher ruhig und sachlich an, Steiniger pflege als „beißender Hund“ einen aggressiveren Ton. Damit bedient der Generalsekretär „eine gewisse Klientel in der CDU, die sich von der Merkel-CDU abgrenzen will“, sagt der Medienwissenschaftler.
Es zeigt sich also: Auf TikTok ist für die Politik noch viel Luft nach oben. Die plattformspezifischen, teils „hochkomplexen“ Anforderungen müsse man aber erst verstehen, um erfolgreich zu sein, findet Michael Klemm. Der Medienwissenschaftler rät daher entweder dazu, sich mehr mit der Plattform zu beschäftigen – oder lieber auf andere Apps wie Instagram auszuweichen.
Eine weitere Sache betont Klemm ebenfalls: Eine große Reichweite führt nicht automatisch zu einem Erfolg an der Wahlurne. Studien, die diesen Zusammenhang belegen könnten, gebe es bisher nicht. Es gehe nicht darum, bloß zahlenmäßig mit der AfD zu konkurrieren, sondern bei relevanten Themen mitsprechen zu können.