Nach Ahrtal-Katastrophe
Was treibt Flutopfer-Anwalt Christian Hecken an?
Flutopfer-Anwalt Christian Hecken spricht 2024 bei einer eigens initiierten Pressekonferenz. Er kämpft für seine Mandanten dafür, dass es zu einer Anklageerhebung gegen Ex-Ahrtal-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) kommt.
Thomas Frey/dpa

Er legt sich in seinem Kampf für eine Anklage gegen den ehemaligen Ahrtal-Landrat gefühlt mit der ganzen Justizszene des Landes an: Flutopfer-Anwalt Christian Hecken. Mit unserer Zeitung hat der 42-Jährige nun darüber gesprochen, was ihn antreibt.

Flutopfer-Anwalt Christian Hecken ist seit der Entscheidung der Koblenzer Staatsanwaltschaft, keine Anklage gegen den damaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), zu erheben, viel in den Medien. Gemeinsam mit seinen Mandanten versucht er, durch eigens initiierte Pressekonferenzen öffentlichen Druck aufzubauen – und scheut dabei auch nicht davor zurück, sich drastisch wirkender Formulierungen zu bedienen. Hecken eckt an. Was treibt ihn an?

Als Herbert Mertin (FDP) noch lebte, nannte Hecken ihn den wohl „schlechtesten Justizminister“, den man je in Rheinland-Pfalz gehabt habe – und mit Blick auf die Verfahrenseinstellung zur Ahrflut sprach Hecken von der „größten Vertuschungskampagne in der Geschichte der Bundesrepublik“. Unsere Zeitung hat sich nun in einem Café unweit des Deutschen Ecks mit dem Anwalt zum Gespräch getroffen, um den Menschen hinter diesen Aussagen kennenzulernen. Das dreistündige Gespräch drehte sich um Heckens Zeit als Austauschschüler bei einem prominenten Milliardär, den neuen Justizminister von Rheinland-Pfalz - und ein Gerichtsverfahren in Arnsberg, das Hecken wohl lieber erspart geblieben wäre.

Der Anwalt ist 42 Jahre alt, stammt aus einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen („Ein normales, liebevolles Elternhaus!“) und arbeitet in der Kanzlei Caspers Mock in Koblenz. Hecken hat in seiner Jugend ein Internat besucht und während der Schulzeit ein Jahr lang als Austauschschüler im Haus des irischen Milliardärs John Magnier gelebt. In Deutschland mag Magnier nicht in aller Munde sein – in Irland und Großbritannien indes dürfte der Name den allermeisten etwas sagen. Denn: „Er gilt als einflussreichste Person in Sachen Pferdezucht weltweit“, sagt Hecken. Und fügt an, dass Magnier zudem ehemaliger Anteilseigner des legendären Fußballklubs Manchester United gewesen sei. Dass Hecken damals ausgerechnet im Haus von Magnier untergekommen war, sei absoluter Zufall gewesen. „Ich hätte auch ganz woanders landen können“, sagt der Anwalt und schmunzelt.

Im Haus eines irischen Milliardärs

Hecken war damals 15 Jahre alt. Im County Cork auf der grünen Insel lernte er ein Jahr lang eine Welt kennen, die er sich zuvor nicht einmal hätte vorstellen können. Doch trotz ihres Reichtums sei die Familie Magnier „absolut bodenständig“. Hecken steht bis heute in Kontakt mit seiner alten Gastfamilie. „Das hat mich sehr geprägt“, sagt er.

Zurück in Deutschland machte Hecken Abitur – Schnitt: 1,7 –, dann ertönte der Startschuss für seinen juristischen Werdegang: von 2004 bis 2010 Jurastudium an der Uni Münster, später ein Masterstudium in Wirtschafts- und Steuerrecht in Bochum, von 2011 bis 2013 Referendariat im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf, von 2014 bis 2015 Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft in Dortmund und Hagen. Nebenher seien wissenschaftliche Tätigkeiten und ein weiterer Master in reinem Wirtschaftsstrafrecht an der Uni Osnabrück gelaufen, erzählt Hecken.

Doch ganz glatt liefen die Dinge nicht für den jungen Juristen: Hecken war während seiner Frühphase als Staatsanwalt in Dortmund und Hagen Gegenstand einer nicht kleinen und für ihn wohl eher unangenehmen medialen Berichterstattung. Heckens Vorgesetzte, eine Oberstaatsanwältin, hatte ihm damals eine desaströse Dienstbeurteilung ausgestellt. „In der Hoffnung, mich auf diese Weise zu mobben“, behauptet Hecken im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das ist natürlich nicht gerade karrierefördernd.“ Also zog Hecken vor das Verwaltungsgericht in Arnsberg – mit Erfolg.

Desaströse Dienstbeurteilung

Die „Westfalenpost“ hatte 2016 über das Verfahren in Arnsberg berichtet. Laut dem Artikel soll der Richter damals geurteilt haben, dass die Dienstbeurteilung offenbar „aus Wut heraus geschrieben“ worden sei: „Das dürfte rechtswidrig sein.“ In den Formulierungen hätten viele Werturteile gesteckt, „die nicht plausibel sind“, soll der Richter laut dem Artikel weiter erklärt haben. Heckens Vorgesetzte soll ihm unter anderem attestiert haben, schon mit der Bewältigung von Alltagssituationen überfordert zu sein. Ihre Quelle für derartige Behauptungen? Gerüchte, wie das Gericht feststellen musste.

Und fachlich sei Hecken nicht schlechter gewesen als andere, so das Urteil am Ende. „Das war die größte Ungerechtigkeit, die ich je in meinem Leben erlebt habe“, sagt Hecken über diese Zeit. „Heute bin ich damit im Reinen. Das war ein sehr lehrreicher Prozess.“

Nun zu Heckens Arbeit als Flutopfer-Anwalt. Es sei nicht erweislich, dass sich Pföhler in der Flutnacht strafbar gemacht habe, hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz vor ziemlich genau einem Jahr bei einer Pressekonferenz verkündet. Die Einstellungsbescheide der Staatsanwaltschaft seien laut Hecken „an Inkompetenz nicht zu überbieten“. 136 Menschen hatten bei der Katastrophe im Juli 2021 in Rheinland-Pfalz ihr Leben verloren, 135 davon im Ahrtal, ein Mensch starb in der Region Trier. Hecken wirft Ex-Landrat Pföhler im Gespräch mit unserer Zeitung vor, keine Einsatz- und Alarmpläne aufgestellt und keinen Verwaltungsstab eingerichtet zu haben. „Er hat sich nicht das notwendige Wissen angeeignet.“ Hecken vertritt unter anderem die Familie Orth, deren Tochter Johanna bei der Flut starb, und Werner Minwegen, der beide Eltern verlor.

Hecken hat die „Flutstaatsanwälte der Koblenzer Staatsanwaltschaft“ wegen des Verdachts der Täuschung des Rechtsausschusses des Landtages angezeigt. Diese Anzeige hat er auch an die Landtagsabgeordneten von Rheinland-Pfalz geschickt. Seine These: „Die mutmaßliche Täuschung könnte belegen, dass die Staatsanwälte nicht mehr in der Lage sind, sich selbst kritisch zu hinterfragen.“ Hecken hält die Staatsanwälte für befangen. Weshalb laut dem Anwalt schon der kürzlich verstorbene, ehemalige Justizminister des Landes, Herbert Mertin, in die Causa hätte eingreifen müssen.

Hecken über Philipp Fernis

Unsere Zeitung hat Mertins Nachfolger, Philipp Fernis (FDP), unlängst interviewt – auch zur Ahrtal-Causa. Der neue Justizminister sagte dazu: „Sie verstehen, dass ich mich zu laufenden Verfahren hier nicht inhaltlich äußern kann. Der Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz gebietet es, sich dazu inhaltlich in keiner Weise zu äußern als Minister der Justiz.“

Mit Blick auf diese Antwort Fernis‘ sagt Hecken, dass Justizminister in Rheinland-Pfalz offenbar ein „pervertiertes Amtsverständnis“ hätten. Ihre Devise sei wohl „Sit and wait“, also „Sitzen und abwarten“, behauptet Hecken. „Das ist Ausdruck von Verantwortungslosigkeit. Seine Sicht auf die Dinge ist ein bisschen provinziell“, sagt der Anwalt über Fernis. „Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen arrogant, aber mich regt das auf. Ich habe ja noch die Hoffnung, dass er sich bei erfahrenen Kollegen, Justizministern aus anderen Bundesländern, informiert.“ Fernis‘ Amtsverständnis sei nämlich „faktisch falsch“. In Nordrhein-Westfalen oder im Saarland sei das Amtsverständnis von Justizministern noch ein anderes. Hecken unterstreicht: „Ich sehe eine internationale Vollblamage, die wir hier gerade erleben. Zulasten des Ansehens der deutschen Justiz in der ganzen Welt.“

Und mit dieser Meinung stehe er nicht allein da. „Strafrichter in ganz Deutschland stehen hinter meinen Einschätzungen“, behauptet Hecken. Fügt aber an: „Das sind natürlich private Einschätzungen.“ Doch es gibt Experten, die Heckens Kampf öffentlich beigesprungen sind. So etwa Hydrologie-Professor Erwin Zehe vom Karlsruher Institut für Technologie. Er sagte im vergangenen Jahr bei einer Pressekonferenz, dass man sich fragen müsse, warum damals keine anständigen Warnungen kommuniziert worden seien. Denn: „Um 14.20 Uhr war klar, da rollt was auf uns zu“, sagte Zehe.

Bei derselben Pressekonferenz – von Hecken initiiert – sprach sich auch die Rechtswissenschaftlerin und emeritierte Professorin für Strafrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Ingeborg Puppe, für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen aus: „In unserem Fall hatten die Opfer ein Recht darauf, eine Warnung zu bekommen“, sagte sie.

Ein weiterer Unterstützer Heckens hat sich nun in die öffentliche Debatte eingeschaltet: Gerd Gräff, der 2019 pensionierte, frühere stellvertretende Leiter der Abteilung Katastrophenschutz im rheinland-pfälzischen Innenministerium. Gräff war auch Gutachter im Flut-Untersuchungsausschuss des Landtags.
Dorothea Gräff/privat

Nun hat sich ein weiterer Unterstützer Heckens in die öffentliche Debatte eingeschaltet: Gerd Gräff, der 2019 pensionierte, frühere stellvertretende Leiter der Abteilung Katastrophenschutz im rheinland-pfälzischen Innenministerium. Gräff war auch Gutachter im Flut-Untersuchungsausschuss des Landtags. Seiner Meinung nach hätte die Staatsanwaltschaft Koblenz die Ermittlungen nicht einstellen dürfen. „In der Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Koblenz zur Einstellung der Ermittlungen wurden Fake News verbreitet“, meint Gräff.

Die Staatsanwaltschaft habe laut Gräff das Hochwasserrisiko für die Menschen im Ahrtal und die Zuständigkeit der Kreisverwaltung dafür außer Acht gelassen. So hätten das Mainzer Umweltministerium und das Landesamt für Umwelt die Kreisverwaltung 2014 bei einem Treffen der Hochwasserpartnerschaft Ahr im Detail auf Hochwassergefahren sowie entsprechende Risikokarten und Überflutungsgebiete aufmerksam gemacht, sagt der Experte. Und diesem Treffen, behauptet Gräff weiter, hätten mindestens vier Mitarbeiter des Kreises beigewohnt.

Gräffs zweiter Hauptkritikpunkt betrifft die Behinderteneinrichtung in Sinzig, in der tragischerweise zwölf Menschen ums Leben gekommen waren. Diese Menschen hätten, so Gräff, allein schon durch das simple Hochbringen in das Obergeschoss gerettet werden können. Und für diesen einfachen Schritt hätte man noch fünf bis sechs Stunden Zeit gehabt.

Heckens stille Kritiker

Doch Hecken hat nicht bloß Unterstützer, sondern wird in der regionalen Justizszene von manch einem kritisch bewertet – jedoch hinter vorgehaltener Hand. Es wird geflüstert, dass der junge Anwalt sein Gesicht womöglich ein bisschen zu gern in den Medien sehe. Hecken weist diese Vorwürfe zurück: „Es geht nicht darum, dass ich da jetzt in der Öffentlichkeit stehe. Und ich habe da persönlich auch nichts von. Es geht einfach um die Sache.“

Sein Leben sei dasselbe wie vor dem Medienrummel. Er sei gezielt an die Öffentlichkeit gegangen, habe sich von dieser Taktik weitere Expertenmeinungen und Tipps und Hinweise aus der Bevölkerung erhofft, um seinen Mandanten helfen zu können. Und dieser Plan sei auch aufgegangen: „Meine Strategie der Kommunikation hat sich absolut bewährt.“

Derzeit läuft bekanntlich ein Beschwerdeverfahren, bei dem die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz die Entscheidung der Koblenzer Staatsanwaltschaft überprüft. „Die Bearbeitung des Beschwerdeverfahrens dauert angesichts des außerordentlichen Umfangs des Verfahrenskomplexes und der Vielzahl der Beschwerden an“, teilt die Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage mit. „Allein die Sachakten umfassen knapp 15.000 Seiten. Hinzukommen etwa 10.000 Seiten Sonderbände, ungefähr 6500 Blatt Fallakten sowie eine Vielzahl von Beweismitteln, nicht zuletzt eine erhebliche Anzahl von Datenträgern.“

Auch Katastrophenschutzexperte Gerd Gräff hat Schreiben zu den Akten gereicht. Er hofft, dass die Generalstaatsanwaltschaft zu dem Ergebnis kommt, dass doch Anklage erhoben werden – zumindest aber nachermittelt werden muss, wie er unserer Zeitung berichtet. „Die Schreiben von Herrn Gräff werden selbstverständlich in die hiesigen Bewertungen einfließen“, teilt die Generalstaatsanwaltschaft mit. Die Sichtung der Unterlagen sei indes noch nicht abgeschlossen. Es sei davon auszugehen, „dass das Durchsehen der Vorgänge nicht vor Mitte des Jahres beendet sein wird“. Und wer bearbeitet diese Mammutaufgabe? „In die laufenden Überprüfungen sind ein Oberstaatsanwalt und eine Oberstaatsanwältin eingebunden“, heißt es seitens der Behörde.

Hecken fordert großes Ermittlungsteam

Zu wenig Personal für eine solch wichtige und drängende Aufgabe, findet Hecken. „Ich würde da ein ganzes Ermittlungsteam für beauftragen. Fünf Staatsanwälte – Ihr schaut euch das jetzt an. Und ich will eine zeitnahe Entscheidung haben!“, sagt der Anwalt.

Hecken hat mit Blick auf das Beschwerdeverfahren aber noch weitere Kritik in petto: Ihn stört, dass beide Behörden im Neuen Justizzentrum in Koblenz angesiedelt sind. So, meint Hecken, würde „Klüngelei“ gefördert. „In meiner Tätigkeit als Staatsanwalt habe ich es selbst erlebt: diese fehlende gebotene Distanz zwischen Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft.“ Früher habe es zumindest eine gewisse räumliche Distanz zwischen den Behörden gegeben, sagt Hecken. Diese Trennung sei hilfreich, denn sie könne „falsch verstandener Kollegialität“ vorbeugen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat im Zuge des Beschwerdeverfahrens die von Katastrophenschutzexperte Gerd Gräff eingereichten Akten auch der Staatsanwaltschaft weitergeleitet, mit der Bitte um Prüfung und Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, wie ein Pressesprecher der Koblenzer Staatsanwaltschaft unserer Zeitung mitteilt. „Die Bewertungen befassen sich mit Aspekten, die für eine strafrechtliche Einordnung des Geschehens grundsätzlich von Relevanz sind und hier vollumfänglich geprüft und gewürdigt worden sind. Sie gaben jedoch im Ergebnis keinen Anlass, die hiesige Einstellungsentscheidung abzuändern und die Ermittlungen wieder aufzunehmen.“

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