Milliardenlöcher in Haushalten
Was Kommunen in RLP von der neuen Regierung erwarten
Die Finanzlage vieler Kommunen in Rheinland-Pfalz ist kritisch. Von der neuen Bundesregierung fordern die kommunalen Spitzenverbände daher unter anderem, dass sie nicht noch weitere Gesetze auflegt, die Städte, Kreise und Gemeinden belasten.
Karl-Josef Hildenbrand. picture alliance/dpa

Kommunen in Rheinland-Pfalz fordern von der nächsten Bundesregierung eine bessere Finanzierung, den Verzicht auf teure Gesetze und die Abkehr von hohen Standards.

Aktualisiert am 14. Februar 2025 14:09 Uhr

Die Bundestagswahl hat viel mit Dörfern und Städten zu tun. Für immer neue Gesetze der Berliner Regierungen fehlt das Geld. Tübingens Stadtchef Boris Palmer formuliert scharf: „Staatliche Zechprellerei drückt die kommunalen Haushalte unter Wasser.“ Dass ihnen das Wasser mindestens bis zum Hals steht, dies bestätigen Vertreter der kommunalen Spitzenverbände auch in Rheinland-Pfalz. Was sie von der nächsten Bundesregierung erwarten: Auf jeden Fall keine neuen Gesetze, die die Städte und Gemeinden noch weiter belasten. Und dann sollte sie sich die Finanzierung der Kommunen vornehmen, sie vom Kopf auf die Füße stellen.

Die Zahlen sind erschreckend: In diesem Jahr stecken die meisten der 20 größten Städte in unserem Bundesland dick im Minus, haben keine ausgeglichenen Haushalte. Allein im Jugend- und Sozialbereich, so rechnet Michael Mätzig, geschäftsführender Direktor des rheinland-pfälzischen Städtetages, vor, beträgt das Nettodefizit dieser Städte rund 1,1 Milliarden Euro. Bundesweit sieht es nicht anders aus: In den Städten, Gemeinden und Landkreisen der 13 deutschen Flächenländer ist laut Statistischem Bundesamt bis zum 30. September 2024 ein Finanzierungsdefizit von 24,9 Milliarden Euro aufgelaufen. Neben Inflation, gestiegenen Zinsen und höheren Kosten etwa für den ÖPNV sind es zahlreiche Gesetze von Bundesregierungen, die den Kostendruck erhöhen.

„Bisher haben wir vom Städtetag immer gesagt: Wir bekommen das hin. Jetzt sind wir aber an dem Punkt angekommen, dass wir deutlich sagen: Wir können das nicht mehr schaffen.“
Michael Mätzig, geschäftsführender Direktor des rheinland-pfälzischen Städtetages

Bundesweit haben sich die Sozialausgaben, auch im Kinder- und Jugendbereich, für die Städte und Kreise in nur 15 Jahren verdoppelt, sagt Michael Mätzig. Gleichzeitig schieben die Kommunen laut KfW-Bank 186 Milliarden an Investitionsrückstau für Schulen, Straßen, Krankenhäuser und mehr vor sich her. „Bisher haben wir vom Städtetag immer gesagt: Wir bekommen das hin“, erklärt Mätzig, „jetzt sind wir aber an dem Punkt angekommen, dass wir deutlich sagen: Wir können das nicht mehr schaffen. Uns fehlt das Geld, wir ersticken in Bürokratie und haben zu wenig Personal.“ So werden wichtige Zukunftsprojekte, Reparaturen und Sanierungen vertagt. Sogenannte freiwillige Leistungen vom Vereinszuschuss bis zum Freibad stehen zur Disposition, vielerorts können Einnahmen nur noch über die Erhöhung der Gewerbe- und Grundsteuer oder der Hundesteuer verbessert werden. Bürger und Unternehmen werden zur Kasse gebeten.

Die Kommunen haben laut Städtetag ein Viertel aller staatlichen Aufgaben zu schultern, erhalten aber nur 14 Prozent der Steuereinnahmen. Das daraus resultierende Ungleichgewicht wird nach Ansicht Michael Mätzigs immer deutlicher. „Das Finanzgefüge muss sich grundsätzlich ändern“, fordert er in Richtung der neuen Bundesregierung. Neben mehr Geld für kommunale Aufgaben müsse sich die Politik aber auch die grundsätzliche Frage stellen, was wir uns in diesem Land angesichts einer grassierenden staatlichen Finanzkrise noch leisten können und wollen. Und wie lange geht die kommunale Mangelverwaltung noch gut?

Michael Mätzig, geschäftsführender Direktor Städtetag Rheinland-Pfalz
Andreas Arnold. picture alliance/dpa

Auf jeden Fall, erklärt Mätzig in Richtung der Wahlkampf führenden Parteien, dürfe es keine weiteren gesetzlichen Aufgaben und Wohltaten mehr geben, die die Städte und Gemeinden am Ende zu einem guten Teil bezahlen sollen. Es müsse endlich das Konnexitätsprinzip gelten: Wer bestellt, der bezahlt auch. Hier sei dann auch die rheinland-pfälzische Landesregierung gefragt, die solchen Gesetzen im Bundesrat eine Absage erteilen müsste, um den Kommunen zu helfen.

Mätzig nennt Beispiele aus jüngster Zeit: Für die umfänglichen Anforderungen des Cannabis-Gesetzes, etwa zusätzliche Kontrollen zum Schutz der Jugend, hätten die Städte schlicht kein Personal. Bei der Integration von Flüchtlingen müsse man sich ehrlich machen: „Wir bringen die Menschen zwar unter, aber eine Integration findet nur sehr eingeschränkt statt“. Was die Digitalisierung der Schulen angeht, bedürfe es einer besseren Aufgabenverteilung mit dem Land.

Pragmatische Lösungen gefordert

Auch bei Kindertagesstätten müsse es „deutlich flexibler“ zugehen. Beispiel: Als die Stadt Lahnstein jüngst statt eines teuren Kita-Neubaus eine Immobilie anmieten wollte, wurden die Fördergelder dafür abgelehnt. „So etwas muss doch möglich sein“, fordert Mätzig, „wir erwarten pragmatische Lösungen.“ Runter von zu hohen und teuren Standards, die nicht mehr zu finanzieren sind. Mehr Kinder, weniger Personal – wie sieht es zum Beispiel bei der Fachkräftequote aus? „Das ist simple Mathematik“, so der Geschäftsführer des Städtetags, „wir werden über die notwendigen Stellschrauben nachdenken müssen.

Außerdem wäre es sinnvoll, die Hunderte verschiedene Förderprogramme drastisch zu reduzieren, die wir gar nicht abrufen können, weil kein Mensch in den Verwaltungen mehr durchblickt. Da kann viel Geld nicht genutzt werden. Gebt es lieber direkt den Kommunen, die wissen schon, was damit zu tun ist.“

Moritz Petry, geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz
Karl Höffler/Fotostudio Höffler

Moritz Petry, geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz, erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Bundes- und Landespolitiker haben teils verlernt zu fragen, mit welchen personellen und finanziellen Ressourcen die Kommunen immer neue Gesetze umsetzen sollen. Was uns kolossal nervt, ist, dass mit uns nicht vorher geredet und gefragt wird, ob Wünsche und Vorstellungen überhaupt machbar sind.“ Nicht nur, aber auch wegen solcherart Gesetzgebung sei die Unzufriedenheit der Bürger groß und wachse noch, in den Städten mehr als im ländlichen Raum.

Was uns kolossal nervt, ist, dass mit uns nicht vorher geredet und gefragt wird, ob Wünsche und Vorstellungen überhaupt machbar sind.“
Moritz Petry, geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz

Beispielhaft nennt Moritz Petry den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen, der ab August kommenden Jahres auf die Kommunen zukommen wird: „Zur Planung und Umsetzung dieses Anspruchs sollte erst einmal gefragt werden, ob und wie die Eltern das überhaupt wollen. Dann stellt sich die Frage nach den Platzkapazitäten – müssen neue Räume angebaut werden?“ Insgesamt wird seitens des Landes und des Bundes mit Kosten in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrags gerechnet. Schließlich stellt sich auch noch die Personalfrage. „Es wird im Sommer 2026 eine deutliche Mehrheit an Verbandsgemeinden geben, die diesen Anspruch nicht schaffen“, so Petry. Nicht zu vergessen die Mittagsverpflegung: Sicherlich werde nicht überall frischgekocht werden können, also liefern Caterer das Essen an. Das alles zusammen werde zu Unmut bei den Eltern führen. Ein solches Gesetz ist also gut gedacht, aber nicht gut gemacht.

Der Deutsche Landkreistag rechnet ebenfalls vor, dass das kommunale Defizit bundesweit in den ersten drei Quartalen 2024 24,9 Milliarden Euro betragen hat. Auf Anfrage unserer Zeitung erklärt der Landkreistag Rheinland-Pfalz, dies seien 11,7 Milliarden mehr als erwartet. In Reaktion darauf erwartet der Deutsche Landkreistag vom Bund eine Verdreifachung des kommunalen Umsatzsteueranteils auf 6 Prozent, was etwa 11,5 Milliarden und für Rheinland-Pfalz knapp 500 Millionen Euro entspräche.

Alles eine Frage des Geldes

Bund und Länder, so die Forderung, sollen geeignete Wege finden, die Kostensteigerungen in der Eingliederungshilfe, in der Hilfe zur Pflege, in der Kinder- und Jugendhilfe sowie beim Ausbau der Ganztagsbetreuung zu begrenzen und die daraus erwachsenden Mehrbelastungen der Kommunen zu kompensieren. „Ohne Diskussion über die Absenkung von Standards im Sozialleistungsbereich wird es nicht gehen“, heißt es. Der Deutsche Landkreistag spricht beim Bürgergeld unter anderem die Freistellung größerer Vermögen sowie jedweder Häuser und Wohnungen im ersten Jahr des Leistungsbezugs an.

Nun werben etliche Parteien im Bundestagswahlkampf mit zum Teil massiven Steuersenkungen. Bis zu 89 Milliarden Euro, so schützt das Institut der deutschen Wirtschaft, könnte das den Staat insgesamt kosten. Da die Städte und Gemeinden einen Anteil von 15 Prozent des Aufkommens an Lohnsteuer und an veranlagter Einkommensteuer sowie 12 Prozent des Aufkommens an Kapitalertragsteuer erhalten, würden sie damit automatisch weniger in der Kasse haben. Noch weniger für die gleichen Aufgaben. „Man hat damit den Wähler im Blick, nicht die Kommunen“, sagt Michael Mätzig vom Städtetag. Dies mache nur dann Sinn, wenn man eine intelligente Steuerreform angehen würde, bei der klar ist, wie die Ausfälle kompensiert werden. Und es brauche eine Unternehmenssteuerreform, die die Wirtschaft wieder boomen lässt, damit die Einnahmen sprudeln.

Jetzt schon rechnet Moritz Petry vom Gemeinde- und Städtebund, dass eine Vielzahl der rheinland-pfälzischen Kommunen in diesem Jahr keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen kann. Wenn Steuererleichterungen kommen sollten, um die Wirtschaft anzukurbeln, dann müsse das kompensiert werden. „Wir fordern statt bisher rund 2 zukünftig 5 Prozent kommunalen Anteil an der Umsatzsteuer“, erklärt Petry. „Und wir erwarten, dass Bund und Land bei sich sparen, um die Gemeinden und Städte mehr zu unterstützen.“

Gleichzeitig müsse über Standards gesprochen werden, etwa bei den Kitas und Schulen. Da sei mehr Flexibilität notwendig. „Der Brandschutz ist wichtig, aber über die Anforderungen an einen Kitaneubau muss man diskutieren können“, sagt Petry. Nicht zuletzt gelte es, den Bürokratismus abzubauen. „Es steht häufig Geld zur Verfügung, das wir nicht abrufen können, weil die Prozesse zu lange dauern“, so Moritz Petry. „Beim Schulbau etwa gehen die Pläne von der ADD zur Prüfung bei der SGD und wieder zurück, was nicht selten allein schon ein Jahr dauert. So braucht es drei bis fünf Jahre, bis die Schule steht. Man könnte das auch viel schneller machen.“

Was ist mit der Schuldenbremse?

Beim Städtetag auf Bundesebene werden Forderungen nach einer moderaten Reform der Schuldenbremse laut. Sehen das rheinland-pfälzische Vertreter ebenso? „Ich denke schon“, antwortet der geschäftsführende Direktor Michael Mätzig auf die Frage. „Neben gewaltigen Aufgaben wie die Verteidigungsausgaben oder die Folgen des Klimawandels benötigen Bund, Länder und Kommunen Geld für dringende Zukunftsaufgaben, überall gibt es Riesendefizite bei den Investitionen in die Infrastruktur. Dafür müssten die durch eine Reform der Schuldenbremse frei werdenden Finanzen eingesetzt werden, nicht aber für konsumtive Zwecke.“

Tarifverhandlungen laufen

Die Gewerkschaft Verdi und der Beamtenbund verlangen in der aktuellen Tarifrunde 8 Prozent mehr Geld für die etwa 2,6 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen, außerdem drei zusätzliche freie Tage. Die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände hat ausgerechnet, dass die Entgeltforderung und die freien Tage die Kommunen bundesweit mit 14,9 Millionen Euro zusätzlich belasten würden.

Die Gewerkschaften argumentieren, dass immer mehr Aufgaben auf die Beschäftigten zukommen, außerdem wird auf den Fachkräftemangel hingewiesen – gutes Personal müsse halt gut bezahlt werden. Michael Mätzig vom Städtetag Rheinland-Pfalz räumt ein, dass keine Kommune Geld für diese Mehrausgaben habe. Gleichwohl stimme es natürlich: Fachkräfte müssten gut bezahlt werden, denn längst gebe es zwischen den Bundesländern einen erhöhten Wettbewerb ums Personal. ms

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