Warum die Bundeswehr die Sicherheit im All in den Fokus nimmt - und welche Rolle Koblenz dabei spielt
Wächter des Weltraums: Warum die Bundeswehr die Sicherheit im All in den Fokus nimmt – und welche Rolle Koblenz dabei spielt
dpa

In der Morgensonne schimmert der Generalsstern golden auf der Schulterklappe von Burkhard Potorzky. Aber mehr Glanz geht von der silbernen Schwinge auf seiner Brust aus. Sie ist für Bundeswehr-Verhältnisse ungewöhnlich, erinnert in ihrer Form an die Uniform des legendären Fernsehhelden Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise. In der Tat orientiert sich der Brigadegeneral in Richtung All. Er ist General Weltraumoperationen.

„GSSAC“ steht auf dem silbernen Emblem. Wie fast alles hier am Nato-Standort in Uedem, einer kleinen Gemeinde im Nordwesten von Nordrhein-Westfalen, ist es eine englische Abkürzung. Sein German Space Situational Awarness Centre ist so etwas wie das deutsche Weltraumüberwachungszentrum. Das macht Pototzky zum Gastgeber für Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie ist an diesem Montag an den Niederrhein gereist, um von nun an „zusammen zu denken und zusammen zu organisieren, was zusammengehört“, wie sie vor blinkenden Leuchtpunkten auf riesigen Deutschland- und Europa-Karten erläutert. Sie ist hier, um das Asoc in Dienst zu stellen – das Air and Space Operation Centre. Es ist die Operationszentrale für Luft- und Raumfahrt, von hier aus wird alles überwacht, was über Deutschland fliegt. Bis hinauf ins Weltall.

„Wir haben eine zunehmende Verbindung, und das ist etwas, was man nicht mehr trennen kann zwischen Weltraum und Luftraum und den Systemen am Boden. Telekom und Navigation – das alles hängt von Satelliten ab“, sagt Kramp-Karrenbauer. Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, betont: „Es geht hier nicht um Weltraumwaffen, sondern es geht darum, das zu schützen, was wir im Weltraum haben.“ Inzwischen hängen weite Teile der modernen Technik – Telekommunikation, Internet und Navigation – von Satelliten ab.

Im deutschen Luftraum sind an diesem Morgen 450 Flugzeuge über Deutschland in der Luft. Jedes einzelne wird auf Monitoren angezeigt. Das ist wenig. Gewöhnlich sind um diese Uhrzeit auch schon mal 3000 Jets gleichzeitig unterwegs. Corona lässt grüßen. Während des Lockdown waren es auch schon mal nur 15 Maschinen, die Fracht ein- oder ausflogen.

Die Maschinen werden auch von der zivilen Flugsicherung überwacht, verliert sie den Kontakt zu einem Flieger, oder ein Passagierjet zeigt andere Auffälligkeiten, informiert sie die Militärs. Wenn dann Eurofighter in Alarmstarts aufsteigen, um beispielsweise einen Angriff mit Zivilflugzeugen wie den vom 11. September 2001 zu verhindern, haben sie ihren Befehl aus Uedem erhalten. Am 18. August gab es zuletzt einen solchen Alarmstart. Ein Kleinflugzeug war aus Polen in Richtung Rotterdam unterwegs, der Kontakt zum Piloten brach ab. Im Münsterland hatten die Kampfjets die kleine Maschine erreicht, sofort erkannte der Pilot seinen Fehler. Der Vorfall ging glimpflich aus.

Verglichen mit dem Geschehen in den ersten zehn Kilometern über Deutschland war es noch vor einigen Jahren in den Höhen darüber relativ ruhig. Ab und zu tauchte mal ein Tank einer Weltraumrakete oder ein ausrangierter Satellit wieder in die Atmosphäre ein. Doch im All über Deutschland wird es inzwischen enger und enger.

Vergangenes Jahr zählte die Welt gut 1800 Satelliten, jetzt sind es schon 2500. Und es werden Woche für Woche mehr. Manche sind auch zu Testzwecken zerstört worden und haben sich in Tausende Teile Weltraumschrott verwandelt. Sie bedrohen nun eine kritische Infrastruktur, die für das Leben auch in Deutschland unverzichtbar geworden ist.

Wer im Konfliktfall Deutschlands Satelliten zerstört, legt nicht nur die Navigation und Kommunikation weitgehend lahm. Auch die Finanzmärkte brechen in so einem Fall zusammen. Jede einzelne Überweisung braucht ihre Bestätigung durch ein Zeitsignal aus dem All. Die Luftfahrt selbst ist ebenfalls satellitengestützt. Vor diesem Hintergrund verweist Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer nicht nur auf den Weltraumschrott als mögliche Gefährdung, sondern auch auf „gezielte Attacken“. Dazu gehöre etwa die Bedrohung durch Laser oder gefährliche Annäherungen.

Gerade verfolgt das Asoc einen abstürzenden Satelliten. Vor eineinhalb Wochen ist er wieder eingetreten, hat mehrfach Deutschland überquert, weswegen auch das Katastrophenschutzamt aufmerksam wurde. In Uedem rechnen sie jetzt damit, dass er über dem Atlantik verglüht. Es könnte aber auch anders kommen. Wenn etwa alte sowjetische Großsatelliten mit Atomreaktor an Bord wieder eintreten. Da bleiben auch schon mal mehrere Meter große Reste über.

Sie gehören zu jenen 19.372 Objekten im All, die in Uedem erfasst sind. Wie sie sich bewegen, kann von nächstem Monat an mit dem brandneuen Gestra-Radarsystem von der Schmidtenhöhe bei Koblenz noch besser verfolgt werden. „Wir werden dann auch kleinteiligeren Weltraumschrott identifizieren können“, sagt Kramp-Karrenbauer mit hörbarer Vorfreude in der Stimme. Interessiert sich die Operationszentrale in Uedem oder auch ein Partnerland für ein einzelnes spezielles Objekt, greift das Militär auf das Tira-Radar in Wachtberg bei Bonn zurück. Es kann sogar die Drehrichtung von Kleinstsatelliten aufklären.

In Uedem wird massiv investiert. Bis 2028 fließen knapp 200 Millionen Euro in 42 Bauvorhaben. Dann wird auch die neue Weltraumoperationszentrale nicht mehr in einer kleinen weißen Baracke untergebracht sein, sondern mit deutlich mehr Mitarbeitern in ein angemessenes Gebäude wechseln. In Kalkar und Uedem werden dann allein 1600 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr stationiert sein. Hinzu kommen die Kameraden aus Partnerstaaten sowie viele Zivilbeschäftigte. Denn unter dem Dach der Operationszentrale arbeiten neben Bundeswehr und Bundespolizei auch Vertreter des Innen- und des Verteidigungsministeriums sowie weitere Spezialisten etwa für den Bevölkerungsschutz.

Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz stellt sich denn auch darauf ein, dass seine Position einen neuen Namen erhält und die Raumfahrt dazukommt. Doch selbst hinauf ins All, jedenfalls bemannt, will die Luftwaffe (noch) nicht. 16 militärische Satelliten sind jedoch zu schützen. Und gut 200 weitere von deutschen Unternehmen und Forschungsstellen. Sie bewegen sich in 200 bis 40.000 Kilometern Höhe über der Erde. Und alle sind gefährdet durch die vielen Schrottteile, die bei einem Tempo von acht Kilometern in der Sekunde ein erhebliches Zerstörungspotenzial entwickeln – selbst wenn sie nur die Größe von einem Zentimeter Durchmesser haben. Wird es eng, warnen die Allüberwacher die Betreiber, damit die durch Verändern der Umlaufbahn eine Kollision verhindern können. Allerdings verringern sie mit jedem solchen Manöver die Betriebsdauer. Schwere Entscheidungen sind das.

Manche Rakete bringt inzwischen schon 60 Satelliten auf einmal ins All. Das bedeutet, dass immer mehr am Ende ihrer Lebensdauer zur Erde stürzen werden. In Uedem dürften die überwachenden Damen und Herren 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche viel zu tun haben.

Top-News aus der Region

Weitere regionale Nachrichten