Die Nürnberger Prozesse sind ein juristischer Meilenstein. Erstmals mussten sich ab dem 20. November 1945 einige der schlimmsten Nazis wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten, darunter Göring, Heß und Ribbentrop. Die Botschaft war eindeutig: Wer Völkerrecht bricht, wird zur Rechenschaft gezogen. Auch Propagandist Streicher wurde zum Tode verurteilt.
Das Verfahren gilt als Grundlage heutiger Kriegsverbrecher-Prozesse, zum Beispiel gegen zwei syrische Folterknechte in Koblenz ab 2020. Es kann also gute Gründe geben, sich mit den Nürnberger Prozessen zu beschäftigen.
Das finden offenbar auch die Veranstalter einer geplanten Filmvorführung in Koblenz. Im November wird dort der Thriller „Nürnberg“ aus dem Jahr 2023 gezeigt. Finanziert hat den Film zu großen Teilen der russische Staat, mindestens 245 Millionen Rubel (rund 2,3 Millionen Euro) hat Putins Apparat dafür bereitgestellt. Nach Koblenz kommt er mitsamt einer Wandtafel-Ausstellung, kuratiert von einer russischen Stiftung.
Bezüge zur aktuellen Situation
Wer sich mit der Veranstaltung auseinandersetzt, kann allerdings den Eindruck bekommen, dass es bei alldem längst nicht nur um das Auffrischen von Geschichtswissen geht. Sondern auch um einen Kommentar zur Gegenwart. „79 Jahre Nürnberger Prozesse – Was haben wir wirklich gelernt?“, heißt es in der Ankündigung.
„Nürnberg“ ist eine melodramatische Romanverfilmung, die eine Liebesgeschichte um einen sowjetischen Übersetzer mit einem Spionageplot verquickt. Im Gerichtssaal spielen lediglich einzelne Szenen. Zwischendurch explodieren alte Mercedes-Limousinen.
Das Ganze ist professionell hergestellt und doch filmisch überwiegend konventionell: Ungefähr so, als würde im deutschen Fernsehen irgendwas mit Heino Ferch laufen.
Mit dem Wissen um das Sponsoring des Kreml kann man „Nürnberg“ indes auch anders sehen: Der Schriftsteller Igor Saweljew nennt ihn in einer Rezension „hochideologisch“. In einem Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreibt Saweljew, der Film sei Ausdruck des militaristischen Mottos „Russland gegen alle“.
Vorführung in Neuwied scheiterte
Das bleibt auch vor Ort nicht unbemerkt. Die Vorführung, die nun in einer mietbaren Hochzeitslocation in Koblenz stattfinden soll, war zunächst dem Kino in Neuwied angeboten worden.
Die dortige Betreiberin hat sich allerdings letztlich gegen eine Veranstaltung entschieden – auch, nachdem sie sich bei der Stadt nach einer Einschätzung zum Sachverhalt erkundigt hatte, heißt es aus dem Rathaus.
Neuwieds Oberbürgermeister Jan Einig (CDU) teilt mit, er sei an dieser Diskussion zwar nicht beteiligt gewesen. Allerdings sei auch er „alles andere als böse, dass dieser Film, der offensichtlich ein russisches Propagandainstrument ist“, in Neuwied nicht gezeigt werde.
„Nach allem, was über den Film zu erfahren war, ist er massiv mit russischen Staatsgeldern finanziert und verfolgt klare politische Ziele. Hier werden historische Verzerrungen unterstützt und für die aktuelle politische Situation instrumentalisiert“, sagt Einig.
Seit einiger Zeit tingelt „Nürnberg“ dabei nun schon durch Deutschland. Gezeigt wird er hierzulande meist auf Diskussionsveranstaltungen der Kleinstpartei Die Basis, die auch in Koblenz an der Vorführung beteiligt ist.
Hervorgegangen aus dem pandemischen Querdenker-Milieu, spricht sich Die Basis mittlerweile gegen die militärische Unterstützung der Ukraine und für Verhandlungen mit Russland aus. Bei der Europawahl 2024 kam sie auf 0,2 Prozent der Stimmen.
Diskussionen mit „Impfgeschädigten“
„Nürnberg“ zeigte man zuletzt auch in Bielefeld, Bremen und im Raum Wilhelmshaven. In Niederkassel im Rheinland diskutierten bei der anschließenden Podiumsrunde laut Parteiangaben ein Major der Bundeswehr, eine Kinderärztin und eine „Impfgeschädigte“ über den Film. Wer in Koblenz auf der Bühne sitzt, war bislang auch auf Anfrage noch nicht zu erfahren.
Hingegen sind weitere Kooperationspartner bekannt: Auf dem Flyer zur Veranstaltung steht neben der Partei Die Basis auch der Deutsche Freidenker-Verband. Dieser nennt sich selbst eine „Weltanschauungsgemeinschaft“ und versammelt Anti-Imperialisten, Religionskritiker und Friedensaktivisten.
Wie der Verband tickt, ist unschwer aus Vorträgen des Frankfurters Sebastian Bahlo, ihres Vorsitzenden, zu entnehmen. Bahlo bezeichnet den Konflikt in der Ukraine auf YouTube als „Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland.“ Die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 nennt er eine „Annexion der DDR durch die Bundesrepublik.“
Als lokale Partnerin in Koblenz fungiert für Basis und Freidenker dabei die Leutesdorferin Sabiene Jahn. Jahn tritt unter anderem als Sängerin und Moderatorin auf und hat nach eigenen Angaben den Kontakt zu den Kooperationspartnern geknüpft. Im Ticketshop zur Vorführung von „Nürnberg“ wird sie als Veranstalterin genannt.
Der dort aufgerufene Ticketpreis von 5 Euro sei jedoch lediglich als Spende zu verstehen. Russland wollte es so. „Der ausdrückliche Wunsch des russischen Konsulates in Bonn war, den Zugang zur Ausstellung, der aktuellen Spielfilmproduktion und einer Podiumsdiskussion kostenfrei für alle Interessenten zu ermöglichen“, teilt Jahn auf Anfrage unserer Zeitung per E-Mail mit.
Als Gastgeberin einer kontroversen Gesprächsreihe in einem Sektkeller hatte Jahn zuletzt bereits den ehemaligen Deutschland-Chef des Staatssenders RT (Russia Today) nach Koblenz geholt. Anschließend schrieb sie auf Facebook: „Einig war man sich u.a. in dem Punkt, dass die russischen Medien in Deutschland weiterhin ihren Platz haben und das Band russisch-deutscher Freundschaft nie abreißen darf.“