Hinter Kriminalhauptkommissar Jörn Mengen liegen drei anstrengende Wochen. 16-Stunden-Tage sind für den stellvertretenden Leiter der Koblenzer Mordkommission zum Dreifachmord in Weitefeld und seine Kollegen keine Seltenheit. „Man kommt eigentlich nur nach Hause, um zu schlafen“, sagt der 47-Jährige im Interview mit unserer Zeitung. Dazu haben wir ihn im K11 des Koblenzer Polizeipräsidiums besucht, in dem alle Kapitaldelikte im nördlichen Rheinland-Pfalz behandelt werden. Auch während unseres Gesprächs klingelt immer wieder das Telefon.
Die Informationsflut ist enorm. Rund 1700 Hinweise sind bisher in der Koblenzer Mordkommission eingegangen. Zehn Aktenordner sind in den Ermittlungen schon zusammengekommen. Penibel aneinandergereiht stehen sie in Mengens Büro. „Und dann kommt sicher noch der eine oder andere Sonderband dazu“, sagt der Kripo-Beamte. „Das ist schon sehr umfangreich.“ Hinzu kommen die vielen Medienanfragen. Die Pressestelle hat ständig Journalisten in der Leitung. „Das sind jeden Tag immer noch zehn bis 15“, sagt Mengen.
Der Druck auf die Ermittler ist enorm. Wie geht er damit um? „Wir sind so auf den Fall fokussiert, dass wir versuchen, unsere Energie darein zu investieren“, betont der 47-Jährige. „Wir wollen den Täter unbedingt finden.“ Die Suche nach dem Hauptverdächtigen ist dabei wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Gegenüber unserer Zeitung gibt der Kriminalhauptkommissar einen Einblick in den Ermittleralltag und er erklärt, was den Fall Weitefeld aus Polizeisicht so schwierig macht.

Herr Mengen, Sie sind gerade nicht zu beneiden. Auf Ihnen und der Koblenzer Mordkommission lastet seit Wochen ein enormer öffentlicher Druck, einen mutmaßlichen Dreifachmörder zu finden. Auch medial. Wie gehen Sie als stellvertretender Soko-Chef damit um?
Das ist natürlich schwierig. Mit dem Druck muss man halt zurechtkommen. Das geht ja nicht anders. Aber mit der Zeit kommt eine gewisse Erfahrung dazu. Wir sind so auf den Fall fokussiert, dass wir versuchen, unsere Energie darein zu investieren. Wir wollen den Flüchtigen unbedingt finden. Das ist unsere große Motivation. Der Tatverdächtige ist ja potenziell gefährlich. Er steht im Verdacht, drei Menschen getötet zu haben. Das ist ein großer Antrieb für uns. Deshalb empfinden wir das auch nicht unbedingt als negativ. Das Problem, an dem wir eher zu knabbern haben, ist eher die enorme Informationsflut, die über uns hereinbricht. Gerade zu Beginn. Die ist wirklich immens. Das haben wir schon als enormen Druck empfunden.
Sie sind ja dann relativ schnell zu „Aktenzeichen XY“ im ZDF gegangen. Welchen Aufwand bedeutet das für die Mordkommission konkret?
In diesem Fall war es so, dass Aktenzeichen sich angeboten hat, den Fall aufzugreifen und ein großes Publikum anzusprechen. Deshalb war der Aufwand eher organisatorischer Natur. Da gehen dann so viele Hinweise ein, dass wir sie nicht mit vier Leuten entgegennehmen und bearbeiten können. Wir haben deshalb einen viel höheren Personalansatz gewählt. Und dann hatten wir auch noch eine zweite Ebene, um möglichst schnell reagieren zu können, wenn es einen konkreten Hinweis zur Ergreifung des Täters gegeben hätte. Das waren Kollegen, die so tief in dem Fall drin sind, dass sie ad hoc entscheiden können, welchem Hinweis sie sofort nachgehen müssen. So haben wir die Informationsflut gemeistert. Technisch ist es dann natürlich auch so, dass bestimmte Telefone geschaltet sein müssen.

Rudi Cerne über Meisner: „Er ist brandgefährlich“
Wer weiß, wo sich Alexander Meisner befindet, soll sich sofort bei der Polizei melden – nötigenfalls anonym. Doch entgegenstellen solle man sich dem Verdächtigen von Weitefeld nicht, warnte Rudi Cerne in „Aktenzeichen XY“.
Wie viele Hinweise sind denn konkret bei Ihnen eingegangen? Und wie arbeitet man diese Masse ab?
Rund 1700 Hinweise sind eingegangen. Aber zum Glück nicht alle auf einmal. Dazu haben wir Kräfte, die die Hinweise stetig sichten. Auch abseits von „Aktenzeichen XY“. Am Anfang haben wir vor allem Hinweise von Menschen aus Weitefeld, Elkenroth und Umgebung erhalten, die die Region und die betroffenen Menschen sehr gut kennen. Wir haben dazu mit einer Software gearbeitet, die es uns ermöglicht, alle Hinweise zentral in einem Programm zusammenzuführen. Die Daten haben wir dann aus zwei Perspektiven bewertet: die zur Ergreifung des Gesuchten und die, die das Ermittlungsverfahren betreffen. So konnten wir eigentlich immer relativ gut auf Augenhöhe bleiben. Und man muss natürlich auch bedenken, dass viele Hinweise eingehen, die wir schon aus unseren eigenen Ermittlungen kennen. Andere betreffen Personen, die der Person ähnlich gesehen haben könnten. Aus dem Norden, Süden und Osten der Republik. Das konnte er ja nicht alles gewesen sein. Wir mussten also immer sehr genau filtern.

Ist denn eine ganz heiße Spur zum Gesuchten dabei?
Das ist leider nicht der Fall. Wir haben im Moment keine heiße Spur. Das ganz große Puzzlestück zum Lösen des Falles fehlt uns noch.
Wie viele Polizisten sind denn insgesamt mit den Ermittlungen betraut? Sie müssen ja auch massiv Personal aus anderen Dienststellen abziehen, um die Arbeit bewältigen zu können?
Das variiert. In einem so herausragenden Fall gibt es bei uns eine besondere Aufbaustruktur, die unter Führung des höheren Dienstes steht. Zudem stimmen wir uns auch sehr eng mit der Staatsanwaltschaft ab. Da sind wir als Ermittler nur ein Teil. Der Mord hat sich ja an einem Wochenende in der Nacht von Samstag auf Sonntag ereignet. Da war es erst mal schwer, Kräfte zu erreichen. Da muss ich mich als K11ler bei der Gelegenheit noch mal bei all den Kollegen bedanken, die spontan in den Dienst gekommen sind, obwohl sie eigentlich frei und oft noch nicht mal Bereitschaft hatten. So standen uns schon in den ersten Tagen rund 100 Einsatzkräfte zur Verfügung. Ermittler, Fahnder und Entscheidungsträger. So konnten wir etwa relativ schnell bestimmte Daten auswerten. Irgendwann kommt man dann in eine Phase, wo man weniger Ermittlungskräfte draußen hat und dafür mehr drin, die die Daten auswerten, um wieder einen Schritt nach vorn zu gehen.
Wie muss man sich denn Ihren Arbeitsalltag und den Ihrer Kollegen derzeit vorstellen?
Die Tage sind lang. Man kommt eigentlich nur nach Hause, um zu schlafen. Da kommen dann oft 15, 16, 17 Stunden zusammen. Da kommt man schnell an den Punkt, an dem dem man das in den Knochen spürt. Deshalb haben wir uns ein bisschen aufgeteilt. So, dass jeder mal zumindest einen Tag für sich hatte, um mal über Ostern die Familie zu besuchen oder einfach nur auszuschlafen.

Was macht diesen Fall aus Sicht eines Kriminalisten so schwierig?
Problematisch macht es die Ungewissheit. Wir haben natürlich Hypothesen. Die eine ist wahrscheinlicher als die andere. Aber wir können keine ausschließen. Wir wissen nicht, wo der Flüchtige ist und in welchem Zustand er ist. Es kann auch sein, dass er tot ist. Das macht es so schwierig für uns. Hinzu kommt, dass es keine belastbaren Erkenntnisse zu einer Vorbeziehung zwischen Täter und Opfer gibt. Es gibt nur Gerüchte. Das bedeutet, dass von dem Gesuchten immer noch eine Gefahr ausgehen könnte.
In Fernsehkrimis sind die Fälle ja alle spätestens nach 90 Minuten gelöst. Das ist natürlich weit von der Realität entfernt. Ist es nicht manchmal frustrierend, wochenlang die Nadel im Heuhaufen zu suchen?
Ja, aber gerade in der ersten Phase hatten wir eigentlich auch jeden Tag Erfolge. Wir kamen da immer ein bisschen weiter. Was die eigentliche Tat betrifft, haben wir schon eine ziemlich gute Vorstellung. Mehr können wir dazu aber im Moment leider nicht sagen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Das haben wir vor allem unserer Kriminaltechnik und unseren Ermittlern zu verdanken. Wenn man jeden Tag das Puzzle weiter zusammenfügen kann, ist das sehr motivierend. Wenn man dann aber parallel bei der Ergreifung nicht weiter kommt, ist das natürlich schon sehr frustrierend. Vor allem wenn man bedenkt, dass wir zum Teil mit 1000 Kräften im Einsatz gewesen sind. Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen bezieht sich hier also wortwörtlich auf die Person.

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Wie viele Aktenordner füllt der Fall Weitefeld denn bisher schon?
Zehn kriegen wir schon ganz locker voll. Und dann kommt sicher noch der eine oder andere Sonderband dazu. Das ist schon sehr umfangreich.
Kommen wir mal zu dem medialen Druck, unter dem Sie stehen. Der Fall hat ja bundesweit für Aufsehen und Schlagzeilen gesorgt. Wie viele Presseanfragen kommen denn da so jeden Tag rein?
Immer noch jeden Tag 10 bis 15. Gerade in den Anfangstagen war das schon sehr intensiv. Das habe ich bisher jetzt auch noch nicht so erlebt. Leider recherchieren dann auch einige Medien in Weitefeld und Umgebung auf eigene Faust. Manchmal bewegen sie sich da aus meiner Sicht durchaus auch am Rande der Legalität. Das beschäftigt uns schon sehr. Wir haben auch beobachtet, dass die Berichterstattung so nach einer Woche kritischer geworden ist. So nach dem Motto: Wenn es keine neuen Informationen gibt, suchen wir eben mal eine Panne. Da muss doch bei den Ermittlungen oder der Fahndung was schiefgelaufen sein. Das ist schon echt anstrengend. Das habe ich so auch noch nicht erlebt.

Wie präsent ist die Polizei denn momentan rund um den Tatort?
Wir haben Kräfte, die sich ständig in dem Raum aufhalten. Das hat selbstverständlich einen bestimmten Grund. Zum einen, um schnell auf Probleme reagieren zu können. Etwa wenn der Tatverdächtige noch mal auftauchen sollte. Gleichzeitig haben wir aber auch Kräfte dort oben, um weitere Informationen einzuholen. Wir suchen da wirklich alles ab. Wer nichts hat, muss viel machen. Wir haben nicht den Luxus, uns nur eine Hypothese anschauen zu können. Wir schauen uns wirklich alles an. Das ist ja ein riesiges Gebiet mit viel Wald. Da gibt es Stollen, da gibt es Steinbrüche, Schutz- und Jagdhütten. Also viele Möglichkeiten, um sich verborgen zu halten. Das könnte man alles selbst mit 5000 Kräften nicht alles an einem Tag abarbeiten.
Was steht denn in den nächsten Tagen noch an?
Wir haben auch jetzt schon wieder Pläne. Vielleicht muss ich hier noch einmal klar zwischen dem eigentlichen Komplex der „Ermittlungen“ und der „Fahndung“ unterscheiden. Die Fahndungskräfte, die sich mit der Suche und der Ergreifung des Flüchtigen beschäftigen, arbeiten ebenfalls rund um die Uhr und gehen allen Hinweisen nach. Wenn es erforderlich ist auch unmittelbar. Zudem ist auch die Betreuung der Menschen vor Ort eine wichtige polizeiliche Aufgabe. Sie sehen also, dass hier im Grunde das Polizeipräsidium und die unterstützenden Behörden insgesamt stark gefordert sind. Es wäre aus meiner Sicht unangebracht, hier nur einen Blick auf unsere Mordkommission zu richten.
Wie ist denn die Resonanz aus der Bevölkerung, die Sie erhalten? Die Menschen leben ja auch in Angst.
Wir waren da mehrfach mit zum Teil mehr als 20 Kolleginnen und Kollegen vor Ort und haben die Menschen befragt. Ich glaube, die waren froh, die Polizei zu sehen und mit ihr darüber zu sprechen. Unser Eindruck ist, dass die das als sehr positiv empfunden haben. Ein Kollege hat etwa ein Bild von einem vierjährigen Kind geschickt bekommen. Natürlich haben die Leute auch ein großes Informationsbedürfnis. Das ist in Teilen auch sehr berechtigt. Aber manche Dinge kann das K11 eben nicht nach außen tragen, weil es sich wie bereits gesagt um Täterwissen handelt.

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Und dann grätschen Ihnen auch immer Falschnachrichten in die Ermittlungen rein.
Ja, deshalb haben wir auch gewarnt, sich nur nach zuverlässigen Quellen zu richten. Das sind wir und die Staatsanwaltschaft. Aber das haben wir ja bei jedem Fall. Das macht uns viel Arbeit und bindet Ermittler. Da könnte man die Zeit sinnvoller nutzen.
Wie sieht es denn in Ihrem privaten Umfeld aus? Werden Sie da auch immer mal wieder nach dem Fall gefragt? Oder blocken Sie das ab?
Klar wird da die eine oder andere Frage gestellt. Aber man muss immer genau aufpassen, was man rausgibt. Man kann das einfach nicht kontrollieren. Das kann sich alles ganz schnell rumsprechen. Über die Jahre hat man aber auch mit der Familie so ein Agreement gefunden, dass ich zu Hause eher private Dinge in den Vordergrund stelle. Und darauf nehmen sie dann immer auch Rücksicht.
Kommen wir zum Abschluss noch mal zu dem Gesuchten. Über dessen Aufenthaltsort wird ja viel spekuliert. Könnten Sie sich vorstellen, dass er sich tatsächlich im Ausland aufhalten könnte?
Der Gesuchte ist im Moment möglicherweise auf der Flucht. Alles ist in einem gewissen Rahmen möglich. Auch die Möglichkeit, dass er im Ausland ist, können wir nicht außer Acht lassen.
Stehen Sie denn mit der Polizei im Ausland in Kontakt?
Ja, Sie können sich sicher vorstellen, dass ein solches Verfahren, bei dem nach einer Person mit internationalem Haftbefehl gesucht wird und das gegebenenfalls auch die internationale Zusammenarbeit betrifft, auf ein gutes Fundament gestellt wird. Diese Prozesse werden in einem solchen Fall dann auch in Gang gesetzt.
Das Gespräch führte Dirk Eberz
Fahndung nach Alexander Meisner: 10.000 Euro Belohnung
Seit Montag, 7. April, wird per Öffentlichkeitsfahndung nach Alexander Meisner gesucht. Der Mann mit kasachischem Hintergrund lebte zuletzt in Elkenroth, wenige Kilometer von Weitefeld (beides Kreis Altenkirchen) entfernt. Der 61-Jährige gilt als gewalttätig, hat eine einschlägige Vorgeschichte, saß auch schon jahrelang im Gefängnis. Laut Fahndungsaufruf ist er 1,74 Meter groß, wiegt 74 Kilogramm, hat braune Haare und blau-graue Augen. Besondere Merkmale sind Narben am rechten Oberarm, am linken Unterarm sowie an der Augenbraue. Auf dem linken Handrücken trägt er ein Tattoo, das „Katja“ in russischer Schreibweise zeigt. Die Staatsanwaltschaft hat für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, eine Belohnung in Höhe von 10.000 Euro ausgesetzt. Hinweise an die Polizei unter Telefon 0261/10350399. red