Wegen Terrorverdachts sitzt seit Mitte November ein 18-jähriger Schüler eines Westerwälder Gymnasiums in Untersuchungshaft. Wie wurde aus dem Gymnasiasten, der aus der Gemeinde Waldbrunn (Kreis Limburg-Weilburg) stammt, ein Jugendlicher mit „verfestigter gewaltbereiter, antisemitischer sowie rechtsextremistischer Grundeinstellung“, der laut Staatsanwaltschaft Menschen töten wollte? Wir gehen auf Spurensuche in Mittelhessen – aus welchem Umfeld stammt T., wer hat zu seiner Radikalisierung beigetragen, was sagen Ermittler und Behörden, wie geht es nun weiter?
Der Zugriff: Im Westerwald liegt der Ortsteil der Gemeinde Waldbrunn, in dem der 18-jährige T. wohnt. 1200 Einwohner, jeder kennt jeden. Am 15. November zerplatzt die Idylle mit einem Knall: Beamte stemmen die Tür des Wohnhauses aus, in dem der Jugendliche lebt. Nachbarn berichten von einem explosionsartigen Geräusch. Ermittler durchsuchen das Kinderzimmer von T., finden Waffen, Munition. In Internetforen habe er Gewalttaten angedroht, auch Mord. Rechtsextrem, gewaltbereit, antisemitisch sei er, so die Polizei. Ermittler stellen Telefone sicher und Datenspeicher. Beamte des Landeskriminalamts, der Polizeipräsidien Frankfurt, Südhessen und Westhessen sowie des hessischen Polizeipräsidiums sind im Einsatz, darunter ein Spezialkommando. Seitdem sitzt der Jugendliche in Untersuchungshaft.
Der Vorwurf: Gegen den 18-Jährigen besteht der Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und des Verstoßes gegen das Waffengesetz. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ist hessenweit für Staatsschutzdelikte verantwortlich, sie leitet die Ermittlungen. Erste Auswertungen der Durchsuchung erhärten den Tatverdacht. Die weitere Auswertung sowie die waffenrechtliche Untersuchung dauerten an. Das Verbrechen, das T. vorgeworfen wird, wird mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Haft bestraft, sollte er verurteilt werden – nach Erwachsenenstrafrecht. Allerdings ist T. erst 18 Jahre, er könnte nach Jugendstrafrecht behandelt werden.
Der Verfahrensstand: Derzeit sind keine weiteren Beschuldigten benannt, sagt die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage. Ob sich der Beschuldigte eingelassen hat, teilt die Staatsanwaltschaft ebenso nicht mit, die Ermittlungen dauerten noch an. Als Haftgründe nennt die Anklagebehörde in Frankfurt Verdunklungs- sowie Fluchtgefahr. Ein Antrag auf Haftprüfung sei derzeit noch nicht gestellt, heißt es weiter. Das heißt, dass T. zunächst weiter im Gefängnis bleibt.
Der Jugendliche T. im Netz: Der 18-Jährige trägt eine Feuerwehruniform mit Krawatte und Mütze, blickt verschmitzt in die Kamera. Unter dem runden Profilbild steht sein Spruch: „Mir fällt grad nichts ein für den Steckbrief“. 58 Follower hat T. im Sozialen Netzwerk Instagram aktuell, darunter einen mit dem Namen „Flaggen unserer Väter“. Ein Account in Reichsfarben, dem er auch folgt und der Bilder postet mit Sprüchen wie „Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein“, auch „Getrennt marschieren, vereint schlagen“. Ein Freund schreibt unter den einzigen derzeit sichtbaren Post von T. – „free T.“ (befreit T.)
Das Dorf: Wer sich im 1200-Seelen-Dorf umhört, erfährt Einiges über den Hintergrund der Familie von T. Der Großvater soll eine stramm rechte Gesinnung gehabt haben, munkelt man. So was gibt es eigentlich in dem Waldbrunner Ortsteil nicht. Die CDU ist traditionell stärkste Kraft, wenngleich die AfD dort weit über dem Landestrend liegt. Historisch ist die Gemeinde schwarz, nicht braun: Bei den letzten Freien Reichstagswahlen 1933 dominiert das Zentrum, die Kommunisten erhalten fast doppelt so viele Stimmen wie die Nazis. Kulturell wächst T. so im konservativ geprägten Ort auf, manche nennen den Jungen „komisch“, „Einzelgänger“, andere einen netten Kerl. Jemand aus dem Nachbarort sagt, T. sei wohl in der Grundschule oft gehänselt worden. In der Corona-Zeit gibt es im familiären Umfeld Verbindungen ins Verschwörungsgläubige- und Querdenker-Milieu – bis hinein in die Kreis-Führungsebene der Partei „die Basis“.
Die Corona-Zeit: Ein milder Hochsommertag, mitten in der Corona-Pandemie: Die Querdenkerpartei „die Basis“ hat eine Demo durch Limburg organisiert. Trillerpfeifen schrillen, „wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit raubt“ rufen die Demonstrierenden. Vielleicht 100 laufen durch die Innenstadt, sie wollen sich gegen vermeintliche „Experimente an Kindern“ mit der Corona-Impfung wehren. Der Kreis-Chef der Kleinstpartei, Jens Meyer, führt den Zug mit Megafon in der einen und Zetteln in der anderen Hand an. Direkt hinter ihm läuft der damals 16-jährige Jugendliche mit Schirm in der Hand. Schwarze Hose, ockerfarbenes kariertes Hemd mit einer militärischen Tarnfleckjacke darüber. Der damalige Querdenken-Chef im Kreis, Manfred Hübner, hält eine Rede, der Gymnasiast steht direkt neben ihm – mit schmalem, grimmigen Gesicht und halblangen Haaren hat er ein Schild umgehängt, auf dem es um „Kinderimpfungen“ geht.
Die Querdenker: Hübner wird mehrfach darauf hingewiesen, dass auch Rechtsextreme an der von seiner Querdenker-Bewegung „Limburg steht auf“ veranstalteten Demos teilnehmen. Dies weist er auch dann noch zurück, als die Nazi-Partei „Der Dritte Weg“ sich an seinen Märschen beteiligt. Der Querdenken-Chef fühlt sich „als unbescholtener Bürger so politisch in eine bestimmte Ecke gestellt, nur um eine Meinung kaputtzumachen, wo man nicht hingehört“. Während hier noch neben ihm der spätere Terrorverdächtige aus Waldbrunn steht, sagt er wenig später bei einer Demo einem Kameramann: „Das sind ganz normale Leute, die kann man doch nicht in eine Nazi- oder rechte Ecke stellen.“ Querdenkern wie Hübner wird nach dem Tankstellen-Mord in Idar-Oberstein vorgeworfen, mit Worten den Boden für Taten bereitet zu haben. Für T. ist die Querdenken-Szene wohl ein Radikalisierungsort.
Die Rechtsextremen: Der nun 18-Jährige soll schon längere Zeit aufgefallen sein, auch an seiner Schule, dem Konrad-Adenauer-Gymnasium in Westerburg (Westerwaldkreis). „Du Zecke gehörst nach Auschwitz“, soll er so einem Mitschüler gesagt haben, mit einer Glasflasche auf einen Schüler eingehauen haben. Die Eltern des mutmaßlichen Opfers beklagten, dass die Sache „nicht ernst genug genommen wurde“, weder von der Schule, noch der Justiz. Auch an der Schule sei T. mit Militärtarnklamotten rumgelaufen, mit Springerstiefeln. Von den Vorwürfen ist man im Umfeld wenig überrascht. Nach Recherchen der ARD-Sendung „Report Mainz“ war T. zudem in der Neonazi-Szene über Mittelhessen hinaus aktiv. So soll er in Thüringen und Sachsen an Demonstrationen der „Freiheitlich-Sozial-Nationalen-Aktionsgruppe“ teilgenommen haben. Den Behörden sei er bereits aufgefallen. Ein Verfahren gegen ihn wegen Zeigen des Hitlergrußes sei 2020 eingestellt worden.
Die Schule: Wenn Extremismus oder Gewalt an Schulen auffällt, wird dies von der Schulleitung auch ans Schulamt gemeldet, erklärt der Sprecher des Staatlichen Schulamts in Weilburg, Dirk Fredl. Zu Einzelfällen darf die Behörde keine Auskunft geben. Doch grundsätzlich gebe es eine große Bandbreite an pädagogischen Maßnahmen, zu denen gegriffen werden könnte. In Hessen gebe es zudem die Zusammenarbeit mit Extremismus-Experten, etwa beim Landkreis Limburg-Weilburg. Der Verfassungsschutz biete regelmäßig Schulungen für Lehrer an, wie extremistische Haltungen erkannt werden und wie zu verfahren ist.
Die Zukunft: Wie es weitergeht, bleibt offen. Die Beweislast, so deuten die Behörden es an, ist erdrückend. In seiner Heimatgemeinde verstört der Vorfall. Ob T. ein Einzelfall ist, bleibt fraglich. Es gibt Waffen unter Extremisten in ganz Deutschland. Rund 1000 Rechtsextreme in Deutschland dürfen legal eine Waffe besitzen, hat kürzlich eine Auswertung von “Correctiv„ ergeben; für Rheinland-Pfalz wurde die Zahl “mindestens 93" genannt. Fraglich nur, ob die radikalisierten Extremen diese irgendwann einsetzen. Ihre Ziele stehen schon jetzt fest, wie sie regelmäßig verkünden: Juden, Ausländer, Frauen, Politiker, Journalisten.