Infopoints und Bürgerversammlungen sollen die Menschen im Ahrtal beim Wiederaufbau unterstützen - Doch vielen fehlen Kraft und Nerven
Vielen fehlen Kraft und Nerven: Flutbetroffene aus dem Ahrtal kämpfen mit dem Antragsdschungel
Achim Gasper (Mitte), hier mit seinem Vater Bernd und seinem Bruder Oliver, wartet seit Wochen auf einen zweiten Baugutachter, der ihm die Schäden an seinem Haus in Altenburg bestätigt. Foto: Boris Roessler/dpa
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Ahrtal. Achim Gasper ist entsetzt über das von seiner Elementarversicherung nach der Flutkatastrophe beauftragte Gutachten. „Das hat mit dem Haus meines Erachtens nichts zu tun“, sagt der Berufssoldat aus dem Ahrtal. Die Zahl der Fenster und Quadratmeter stimme nicht, die Summe von 170.000 Euro sei viel zu niedrig für den Wiederaufbau seines schwer beschädigten Einfamilienhauses.

Jetzt wartet er gut 200 Kilometer entfernt in seiner vorübergehenden Unterkunft seit Wochen auf den Termin für einen zweiten Gutachter. „Die sind alle ausgebucht.“ Auch ein Vierteljahr nach der katastrophalen Flut weiß der 37-Jährige nicht, wie es mit seinem Haus in Altenburg, einem Ortsteil der Gemeinde Altenahr, weitergeht.

Unsicherheiten und Fragen

Wie Gasper geht es vielen Betroffenen im Ahrtal: Rund drei Viertel der Anrufe bei der eigens für die Menschen aus dem Katastrophengebiet eingerichteten Telefonhotline der Verbraucherzentrale drehen sich um Versicherungsfragen. Dabei geht es häufig auch um unterschiedliche Einschätzungen von Gutachtern: Der eine sieht nur noch den Abriss, der andere hält eine Sanierung für möglich, wie die Sprecherin der Verbraucherzentrale Lore Herrmann-Karch berichtet. Hinzu kommt: Für mehr als zwei halbe Tage Beratung der Flutopfer pro Woche zu Versicherungsfragen fehlt der Verbraucherzentrale das Personal.

Dabei wären Ansprechpartner so wichtig. Denn nicht nur Versicherungsfragen, auch unklare Zuständigkeiten und Bürokratie, die Anträge auf Wiederaufbauhilfe sowie viele, viele kleine und große Unsicherheiten und Fragen belasten die Menschen im Ahrtal vor dem nahenden Winter. Zwar gibt es zahlreiche Hilfen, aber längst nicht alle Menschen schaffen es zu einem der rund 20 Infopoints und den Bürgerversammlungen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. „Die schweren Fälle melden sich nicht“, heißt es in der Verwaltung eines Ahrdorfs. Und: „Viele sind trotz vieler Hilfen überfordert.“

Ein Grund sind die Traumata und psychischen Belastungen nach der Katastrophennacht mit 134 Toten und 766 Verletzten. Viele haben in Todesangst überlebt und alles verloren. Andere sind – zumindest erst mal – weggezogen, müssen wieder arbeiten und versuchen mit ihrer Familie, in einer neuen Umgebung Fuß zu fassen. Manchen fehlt nach dem monatelangen kräftezehrenden Aus- und Aufräumen ihrer Häuser auch einfach die Kraft.

Der Vor-Ort-Beauftragte der Landesregierung, Günter Kern, hat im Oktober an 17 Abenden in verschiedenen Orten entlang der Ahr Bürgerversammlungen organisiert. Es geht dabei um das Hochwasservorsorgekonzept, Überflutungsgebiete und den Wiederaufbau – inklusive Hilfen. Nach rund einer Stunde mit Informationen von der Landesregierung und der Investitions- und Strukturbank (ISB), bei der die Anträge auf Wiederaufbauhilfe gestellt werden müssen, können die Bürger alle ihre Fragen stellen, manchmal geht so ein Abend mehr als vier Stunden. An den rund 20 Infopoints im Ahrtal fänden die Menschen neben allerlei Informationen auch Architekten, die im hochwasserangepassten Bauen geschult seien. Wer mit seinem Antrag auf Wiederaufbauhilfe Probleme hat, dem werde dort beim Ausfüllen geholfen, sagt Kern. Viele Ahrtalbewohner finden die Onlineanträge zumindest teilweise kompliziert, haben keinen Internetzugang, keinen Computer, keine Erfahrung mit solchen Anträgen, oder diese gehen einfach nicht durch.

Nach den Erfahrungen bei der Corona-Hilfe hat sich die ISB gegen Papieranträge entschieden, wie Vorstandssprecher Ulrich Dexheimer sagt. So gehe es schneller.

Dass mancher am Anfang technische Probleme beim Absenden seines Antrags hatte, sei bei einem so eilig programmierten Antragsverfahren nicht zu verhindern. Dexheimer rät bei den Bürgertreffen, erst mal einen Antrag auf die Hausratspauschale zu stellen, die für einen Einpersonenhaushalt 13.000 Euro beträgt. Dafür sei weder ein Gutachten noch ein Beleg notwendig. Für die Schäden an den Gebäuden könne später noch ein zweiter Antrag gestellt werden.

Wer erreicht die schweren Fälle?

Eine wichtige Rolle als Ansprechpartner spielen auch die Ortsbürgermeister. „Die Ortsbürgermeister sind sehr nah an den Leuten dran“, sagt Bernhard Jüngling von der Verbandsgemeinde Adenau. Gerade auf die älteren Menschen gingen auch Seelsorger und Lotsen gezielt zu. Schwierig sei es aber, die Weggezogenen zu erreichen. Die Ortsbürgermeister arbeiten ehrenamtlich. „Sie sind am Anschlag“, sagt Jüngling. Sie würden jedoch meist von anderen Gemeindemitgliedern unterstützt.

„Das ist auch ein lernendes System für diejenigen, die helfen“, sagt Kern. Und so gibt es auch immer neue Angebote wie eben die vom Arbeits- und Sozialministerium ins Leben gerufenen Lotsen, die seit gut einer Woche bei der Beschaffung weggeschwemmter Ausweisdokumente, der Suche nach einer neuen Wohnung, der Erstellung von Bewerbungsunterlagen und der Arbeitsuche helfen sollen. Seit rund einem Monat ist bereits ein Beratungsbus im Ahrtal unterwegs.

Und der Opferbeauftragte der Landesregierung, Detlef Placzek, hat eine Sozialpädagogin eingestellt, die zur festen Ansprechpartnerin in Bad Neuenahr-Ahrweiler werden soll. Um einen persönlichen Kontakt mit den Menschen aufzunehmen, geht sie im Ahrtal auch von Haus zu Haus. Ob sie die Menschen erreicht, denen die Kraft fehlt, sich Hilfe zu suchen, bleibt abzuwarten.

Von Ira Schaible

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