Solche Unfälle entfachen regelmäßig hitzige Diskussionen: Sollen Autofahrer ab einem gewissen Alter testen lassen, wie fit sie noch sind? Politiker halten sich mit solchen Forderungen zurück – die meisten Deutschen nicht: Nach einer Umfrage der „BamS“ waren zuletzt 70 Prozent der Bundesbürger dafür, die Fahrtüchtigkeit von Senioren regelmäßig zu prüfen.
Was sagen Experten dazu? Immerhin stuft auch die rheinland-pfälzische Polizei Senioren inzwischen in der Verkehrsunfallbilanz als eine Risikogruppe ein.
Häufen sich schwere Unfälle in den nächsten Jahren noch?
Nachrichten von schweren Unfällen, die Senioren verursachen, könnten sich in den nächsten Jahren häufen, befürchtet Siegfried Brockmann, Unfallforscher beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. „Autofahrer ab 75 Jahren sind bei drei Viertel der Unfälle, an denen sie beteiligt sind, auch die Hauptverursacher. Damit stellen sie eine noch größere Risikogruppe dar als die 18 bis 21 Jahre alten Jugendlichen, bei denen dieser Wert bei 71 Prozent liegt“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Auch die der rheinland-pfälzischen Bilanz für 2017 stellt fest: Sind Ältere an einem Unfall beteiligt, „sind sie in drei von vier Fällen auch die Verursacher“, heißt es im Mainzer Innenministerium.
Obwohl Senioren 21 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, verursachen sie weit weniger Unfälle (15 Prozent), stellt aber der ADAC fest, der Zwangstests ablehnt. Aber: Nach der Prognose von Unfallforscher Brockmann „wird sich in den nächsten zehn Jahren das Straßenbild völlig verändern und sich die Zahl der Senioren am Steuer verdoppeln“. Denn in zehn Jahren kommt die Generation der Babyboomer in die Jahre und ins neue Risikoalter. Und nahezu alle Babyboomer fahren Auto. Ältere Menschen sehen und hören schlechter als jüngere, Reflexe lassen nach. Vielen fällt der Blick über die Schulter beim Abbiegen schwer.
Haben sich Prüfungen in anderen Ländern bewährt?
Tests für Senioren sind in einigen Ländern daher längst Pflicht: Spanier müssen ab 65 Jahren ihren Führerschein alle fünf Jahre erneuern und sich medizinisch untersuchen lassen. In Großbritannien wird ab 70 der Führerschein nur noch für drei Jahre verlängert. In der Schweiz wird ab 70 Jahren alle zwei Jahre die „vertrauensärztliche Kontrolluntersuchung“ fällig. Sollte Deutschland folgen? Unfallforscher Brockmann hält „davon gar nix“ – und fühlt sich dabei von wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt, wie er sagt.
Grund: Alle Tests beschränken sich auf medizinische Faktoren. Doch die seien nach der Unfallforschung meist nicht entscheidend für die Fahrsicherheit. Viel wichtiger ist, dass man am Steuer komplexe Situationen noch richtig einschätzen kann – etwa auf einer Kreuzung, wo Autos und Radler unterwegs sind, Fußgänger auch noch bei roter Ampel. Da kommt es darauf an, im sicheren Wechsel zwischen Gas und Bremse die Lücken beim Abbiegen zu erwischen. Gibt es da Defizite, lassen die sich, so der Forscher, kaum durch spezielle Tests vorher feststellen.
Was schlägt der Unfallforscher denn vor?
Aber was wäre die Alternative zu den Tests, deren Nutzen für mehr Sicherheit Brockmann nicht bewiesen sieht? Er schlägt, wie der Verkehrsgerichtstag 2017, eine sogenannte begleitete Rückmeldefahrt vor: Senioren sollen – freiwillig von einem bestimmten Alter an – eine Fahrt mit professionellem Begleiter machen. Nach der Tour müssen sie sich dann anhören, wie es um ihren Fahrstil steht. Wirkt jemand unsicher, könne der Fahrlehrer etwa sagen, dass man im gewohnten Umfeld getrost weiter zum Einkaufen oder Friseur fahren kann, aber für längere Routen oder die Fahrt in die Stadt doch lieber Bus, Zug oder Taxi nutzen sollte. Dies könne eine neutrale Person viel besser ans Herz legen als die Familie. „Diese Gespräche enden häufig nur im Konflikt. Denn: Je älter ein Autofahrer wird, desto mehr schätzt er sich als bester Fahrer ein“, weiß der Experte nur zu gut.
Um sichere Mobilität so lange wie möglich zu erhalten, sei es besser, sich „unter vier Augen freiwillig die Wahrheit anzuhören“ – ohne die Nervosität bei einer amtlichen Prüfung. Denn niemand müsse fürchten, dass er nach der Fahrt den Führerschein verliert, ohne den sie sich viele Menschen „amputiert fühlen“.
Helfen denn allein Ratschläge vom Fahrlehrer?
„Wenn nur die Hälfte das befolgt, was ihnen geraten wird, dann wäre schon viel gewonnen“, meinen Experten. Brockmanns Institut sowie das der Bundesanstalt für Straßenwesen erarbeiten Konzepte für solche Fahrten, damit es greift, wenn die Babyboomer von einst über 70 sind. „Diese Zeit haben wir“, meint Brockmann.
Wie häufig werden Senioren selbst aktiv?
Aber kluge Senioren von heute müssen nicht bis dahin warten. Denn es gibt schon Trainingsangebote – bei Verkehrswachten wie Autoklubs. Beim ADAC Mittelrhein setzt Herbert Fuss, Leiter der Abteilung Verkehr und Technik, auch auf die Eigenverantwortung, zumal rigide Zwangstests verfassungsrechtlich umstritten sind. Für den Fahrfitnesscheck und das Generation-plus-Training gegen eine Kursgebühr habe man so 30 bis 40 Anfragen im Jahr. Der Großteil der Senioren bestehe das Training gut. „Generell fahren ältere Menschen eher vorausschauender und gehen früher vom Gas“, sagt Fuss, der Senioren durch die Stadt, aufs Land oder auf Wunsch auch auf die Autobahn begleitet. Danach folgt das Gespräch mit Tipps. Experte Fuss rät Senioren auch zu Fahrerassistenzsystemen, die beim Einparken helfen oder den Spurwechsel kontrollieren. Aber dies muss sich jeder gut erklären lassen. Ansonsten könnten piepende Töne der Systeme nur verwirren. Fuss meint, dass allein das Alter nichts darüber aussagt, wie sicher jemand am Steuer ist. Dies zeigen ihm nicht nur „Holzkreuze am Straßenrand mit viel jüngeren Geburtsdaten“.
Entstehen auch neue Initiativen, weil die Nachfrage wächst?
Der Fahrlehrerverband Rheinland, in dem insgesamt rund 600 Mitglieder im nördlichen Rheinland-Pfalz organisiert sind, sieht beispielsweise Bedarf und will eine eigene Initiative starten, wie Vorsitzender Joachim Einig in Koblenz sagt. Er plant, über Verbandsgemeinden und Vereine freiwillige Kurse gegen eine kleine Gebühr anzubieten, damit sich Senioren selbst besser und vor allem ehrlicher einschätzen können. Der erste Anstoß kam aus einer Kolpingsfamilie im Eifeldorf Gappenach bei Münstermaifeld, wo der Weg zum nächsten Geschäft weit ist. Der Verein rechnete mit zehn Teilnehmern. Aber es kamen gut 30. Und Einig war beeindruckt, wie fit und sicher auch über 80-Jährige am Steuer waren.
Bleibt es auf Dauer bei freiwilligen Tests?
Unfallforscher Brockmann wagt noch eine Prognose, obwohl die Abwehrreflexe in der Politik wie bei den vielen Wählern unter den Senioren groß ist, das Recht auf Mobilität einzuschränken. Wenn sich aber durch viele Unfälle ein Druck aufbaue und die freiwillige Teilnahme an Begleitfahrten nicht ausreicht, dann arbeite die Zeit wohl für eine gesetzliche Regelung, glaubt der Experte.