In Russland werden jährlich etwa 30 Millionen Liter Sekt produziert. Ein erheblicher Teil davon dürfte in den nächsten Tagen dafür verwendet werden, die Champagnerlaune der AfD zu befriedigen. Gesorgt haben dafür diejenigen, die in absoluter Charakterlosigkeit persönliche Befindlichkeiten über die Gemeinschaft eines ohnehin schon krisengeschüttelten Landes gestellt haben, dessen Wohl sie eigentlich wieder mehren sollen. Der durch diesen Tiefschlag entstandene Schaden ist groß und wird lange nachwirken.
Von wegen „Koalition der Verantwortung“
Ja, Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen verpflichtet. Aber woraus genau bestand denn die Gewissensentscheidung? Doch nur darin, dem Geist eines durchaus engagiert und kontrovers ausgehandelten Koalitionsvertrages zu entsprechen. Und zwar, indem man demjenigen, der an der Spitze einer durch die Koalition gestützten Regierung stehen soll, die Möglichkeit verschafft, eben jenen gemeinsamen Vertrag ab sofort in praktische Politik zu gießen.
Eine „Koalition der Verantwortung“ hatten Friedrich Merz und Lars Klingbeil zu diesem Zweck ausgerufen. Hat sich aber was mit Verantwortung: Wer sich an Verträge noch nicht einmal so lange halten will, bevor sie überhaupt beginnen können zu wirken, der dokumentiert, dass ihm oder ihr die Reife für ein Mandat fehlt. Die Extremisten müssen gar nichts mehr von sich aus tun. Sie müssen nur zusehen, wie sich die Demokraten selbst zerlegen.
Regieren will gelernt sein
Natürlich wirft der denkwürdige Dienstag auch ein bezeichnendes Licht auf Friedrich Merz und Lars Klingbeil. Auf Ersteren, weil er bereits mehr gespalten hat, als ihm bislang bewusst war. Sein Schlingerkurs bei der Schuldenbremse und seine dümmlichen Beschimpfungen potenzieller künftiger Koalitionspartner haben Spuren hinterlassen. Aber auch bei Klingbeil zeigt sich, dass zwischen fast absolutistischem Anspruch auf dem Papier und dem tatsächlichen Organisieren von Mehrheiten noch größere Lücken klaffen. Regieren will gelernt sein.
Am Ende geht es aber nicht um einzelne Personen, noch nicht einmal um einen Kanzler oder Vizekanzler. Es geht um ein ganzes Land. Ein Land, dessen Bürger und Unternehmen dringend wieder Klarheit und Aufbruch bei sehr vielen Themen brauchen. Ein Land, auf das viele andere, freundlich und unfreundlich gesinnte Staaten schauen: Wie verlässlich ist es, noch oder wieder? Kann man mit ihm Absprachen treffen? Wie stabil steht es?
Die „linken Spinner“ zeigen Verantwortung
Wer vor diesem Hintergrund Friedrich Merz einen Denkzettel verpassen wollte, hat sich am Dienstag entweder den absolut falschen Zeitpunkt ausgesucht oder besitzt sowieso nur die geistige Reife eines elfjährigen Brandstifters. Man muss Klingbeil und noch mehr Merz zweifelsohne eine deutliche Mitverantwortung für das Desaster zuschreiben, aber das Fehlverhalten mancher Abgeordneter wiegt schwerer. Für den Denkzettel wäre noch Zeit gewesen. Auch hätte man sich vor dem Unterzeichnen des Koalitionsvertrages noch einmal freisprechen können.
Die Regierung Merz startet jetzt gezielt geschwächt. Wo aber Demokraten derart entgleisen, übernehmen am Ende garantiert die Autokraten. Wer das Exportvolumen russischen Schaumweins nicht noch weiter erhöhen will, sollte also aufhören, ohne echte Gewissensnot mit dem parlamentarischen Feuer zu spielen. Und Friedrich Merz sollte, will er seinem Amt gerecht werden und nicht nur mit aller Gewalt recht bekommen, für eine Weile nichts anderes tun, als das Wörtchen „Demut“ nach Gehalt und Geist zu verstehen versuchen. Anfangen kann er damit bei Grünen und Linken: Ausgerechnet die „linken Spinner“ haben – zum Teil erneut – den demokratischen Karren aus dem Dreck gezogen. So geht Verantwortung.