Für die Ermittler ist es nach zehn Jahren hingegen ein klarer Fall. Als die Trierer Studentin Tanja Gräff im Juni 2007 nach einer Sommerfete der Hochschule Trier von einer rund 50 Meter hohen Felswand in den Tod stürzte, hatte kein anderer die Hand im Spiel. „Die Ermittlungen haben keine belastbaren Hinweise erbracht, dass Tanja einer Straftat zum Opfer gefallen ist“, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen am Mittwoch. Der Sturz der 21-Jährigen sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ ein Unfall gewesen. Deswegen hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wegen eines möglichen Verbrechens eingestellt.
Doch es bleiben Fragen offen: Eine definitive Sicherheit gibt es nicht. „Der genaue Geschehensablauf an der Unfallstelle konnte letztlich nicht abschließend geklärt werden“, sagt Fritzen. Aber dass der Sturz auf „die Fremdeinwirkung einer Person“ zurückgeht – dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Ebenso nicht für weitere Ermittlungen. „Es ist aus unserer Sicht alles ausermittelt worden.“
Dem widerspricht der Anwalt von Tanja Gräffs Mutter, Detlef Böhm: Die Verfahrenseinstellung sei „bedauerlich und nicht nachvollziehbar“. Es gebe noch Hinweise, denen nicht nachgegangen worden sei. Daher könne ein Tötungsdelikt nicht ausgeschlossen werden. Gräff könnte ja in den Tod gestoßen worden sein. „Ich weiß die Wahrheit nicht, aber ich sage: Es muss offen bleiben. Wenn die Akte jetzt zu ist, ist sie zu.“
Die Lehramtsstudentin war nach dem Sommerfest vor zehn Jahren spurlos verschwunden. Viele Jahre gingen die Ermittler davon aus, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden sei. Trotz Suchaktionen waren ihre sterblichen Überreste erst acht Jahre später zufällig bei Rodungsarbeiten unterhalb des Felsens entdeckt worden. Seitdem sah es immer mehr nach einem tragischen Unfall aus.
Rechtsmediziner fanden an Gräffs Knochen und Kleidung keine „Spuren einer Fremdeinwirkung“. Gürtel, Hose und BH seien „ordnungsgemäß geschlossen“ gewesen – also keine Anhaltspunkte für ein Sexualdelikt.
Am Fundort lagen zehn ausgetrunkene Likörfläschchen, die Gräff wohl in einer Tasche dabeihatte. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Studentin nach der Party alkoholisiert war. Nach einem Gutachten einer Psychologin des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamtes dürfte sich Gräff an jenem Abend in einem „psychisch labilen Zustand“ befunden haben, berichtet Fritzen. Gräff sei von einem Mitstudenten, mit dem sie zusammenkommen wollte, abgewiesen worden. „Allein und angetrunken“ sei sie auf dem Fest zurückgeblieben, sagt Fritzen.
Die Alkoholisierung könne dazu geführt haben, Gefahren zu unterschätzen und über einen Zaun zu steigen, der den Spazierweg von der Klippe trennt. Diese Version ist laut Anwalt Böhm für Tanjas Mutter, die jahrelang in Ungewissheit über das Schicksal ihrer Tochter lebte, schwer akzeptabel: „Die bisherigen nicht geklärten Geschehnisse machen es der Mutter sehr schwer, insbesondere wenn die Staatsanwaltschaft nunmehr unterstellt, dass keine Fremdbeteiligung vorliegt und Tanja aus eigenem Verschulden verunglückt ist.“
Für Polizei und Staatsanwaltschaft ist klar: Sie haben jedenfalls alles versucht, um den spektakulären Vermissten- und Todesfall aufzuklären. Rund 3000 Hinweisen und Spuren wurde nachgegangen, 63 Landschaften, Gewässer und Objekte abgesucht, Tausende Fotos von der Hochschulparty gesichtet. „Wir haben Ermittlungsmaßnahmen in einem bis dahin beispiellosen Umfang in Gang gesetzt“, sagt der Oberstaatsanwalt. Wenn es wegweisende neue Hinweise gibt, könnten die Ermittlungen wieder aufgenommen werden.