Gerade mal ein Jahr ist es her, da hat Jonas Massner noch selbst in einer Klasse gesessen. Jetzt steht der 20-Jährige davor. Von der Hinterbank auf den Präsentierteller. Das ist schon ein einschneidender Perspektivwechsel. „Da sitzen dann plötzlich 23, 24 Schüler vor dir“, erinnert sich der Koblenzer Lehramtsstudent an seine erste Stunde im Orientierungspraktikum an der Realschule plus. Natürlich ist er etwas nervös. Achte Klasse. Berufsbildender Zweig. „Da sind dann ja auch immer ein, zwei schwierige Schüler drunter.“
Zumal pubertierende Jugendliche seine Fächer Geschichte und katholische Religion nicht immer ganz so prickelnd finden. Doch Massner hat sich ein Thema ausgesucht, mit dem er auch historisch eher bildungsresistente Schüler hinter dem Ofen hervorlocken kann. „Ich habe meine Unterrichtsstunde über Gladiatorenkämpfe gehalten“, sagt er. Das ist schon etwas näher am Alltag der Jugendlichen dran als etwa der Investiturstreit im Mittelalter. „Das kam gut an“, betont der 20-Jährige. Geschafft! Die erste Hürde ist genommen.
Dabei kommt Massner natürlich zugute, dass er altersmäßig noch recht nah an den Jungs und Mädchen dran ist. „Man braucht einen Draht zu den Jugendlichen“, hat er festgestellt. Aber das birgt auch Gefahren. „Man sollte schon etwas Abstand halten.“ Der Lehrer wird gesiezt. Das schafft die nötige Distanz. Ein Rollenwechsel, der zu Beginn einer Lehrerkarriere nicht immer ganz leicht fällt. Aber der Job ist eben ein klassischer Erfahrungsberuf.
Noch vor 25 Jahren soll es Lehramtsstudenten fürs Gymnasium gegeben haben, die vor dem Referendariat noch keinen einzigen Schüler zu Gesicht bekommen haben. Das ist an der Universität Koblenz komplett anders. An der rheinland-pfälzischen Lehrerschmiede folgt meist schon direkt nach dem ersten Semester der Sprung ins kalte Wasser. „Im Orientierungspraktikum ist eine Stunde Pflicht“, sagt Massner. Ein Betreuungslehrer gibt den Praktikanten in den drei Wochen Tipps. Die erfahrenen Kollegen helfen bei der Vorbereitung und ziehen nach der Stunde ein Fazit. Was hat gut geklappt? Und woran muss man noch feilen?
Ganz so kalt ist das Wasser für Jonas Massner freilich nicht. „Ich bin Lehrerkind“, sagt er. Ein Klassiker. „Ich habe das also von klein auf mitbekommen.“ Seine Mutter ist somit schon mal eine gute Ratgeberin. Sie hat ihn auch ausdrücklich zum Studium ermutigt. „Der Job ist gut und sicher“, sagt der 20-Jährige. „Und ich hatte schon immer Spaß, mit Kindern zu arbeiten.“ Praktische Erfahrung hat er auch schon gesammelt.
An der Barbarossa-Schule Sinzig unterrichtet er Deutsch als Zweitsprache (DAZ). In seiner Klasse sitzen Kinder im Alter von 10 bis 13 Jahren aus vielen Nationen. Syrer, Iraker, Afghanen, Ukrainer. „Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung“, räumt Massner ein. „Denn das Sprachniveau ist höchst unterschiedlich.“ Man spricht Deutsch. So gut es eben geht. Manchmal muss Massner aber auch improvisieren. „Die können zum Glück alle sehr, sehr gut Englisch“, sagt der 20-Jährige und grinst. „Manchmal sogar besser als ich selbst.“ Und sie machen sehr schnell Fortschritte. „Das finde ich unglaublich beeindruckend.“
Einige Kommilitonen haben ihr Lehramtsstudium schon nach dem ersten Praktikum geschmissen. Manche haben die lukrativen Rahmenbedingungen gelockt. Sicherheit. Gutes Gehalt. Lange Ferien. Aber sie hadern mit dem Kerngeschäft. Den Schülern. Massner hingegen fühlt sich durch die Erfahrung in seinem Berufswunsch weiter bestärkt. „Unterrichten will ich auf jeden Fall.“ Das weiß er schon im zweiten Semester. „Das ist ziemlich sicher.“
Nur noch nicht so ganz wo. Das erste Praktikum an der Realschule plus hat ihm gut gefallen. „Da hätte ich später auch bessere Chancen, eingestellt zu werden“, sagt er. Dennoch will er lieber Gymnasiallehrer werden. Dort wird er auch sein zweites Orientierungspraktikum machen. Wechseln kann er dann immer noch.
Denn an der Universität Koblenz können alle Schulformen studiert werden. Von der Förderschule bis zum Gymnasium. Darauf ist Uni-Vizepräsidentin Constanze Juchem-Grundmann ganz besonders stolz. „Wir sind die einzige Universität in Rheinland-Pfalz, die alles anbietet“, betont die Anglistik-Professorin. Deshalb müssen sich die insgesamt rund 4500 Koblenzer Lehramtsstudenten erst im fünften Semester festlegen. Bis dahin sind die Bildungswissenschaften neben den beiden Fächern schulformübergreifend.
Die beiden Orientierungspraktika bis zum Bachelor müssen sogar verpflichtend an unterschiedlichen Schulformen absolviert werden. Denn zu Beginn des Lehramtsstudiums tendieren die meisten noch eher zu Gymnasium und Grundschule. „Das kennen sie aus eigener Erfahrung“, sagt die Uni-Vizepräsidentin. Deshalb sollen die Studenten auch mal in Förderschule oder Berufsbildende Schulen reinschnuppern können. Das ist meist Neuland. Nicht selten ändern sie ihre Entscheidung dann noch mal. Zumal der Bedarf an Lehrkräften dort besonders groß ist. Das verbessert auch ihre späteren Jobchancen.
Laura Crämer will eigentlich Grundschullehrerin in Deutsch und Englisch werden, als sie sich in Koblenz einschreibt. „Ich habe mir die Arbeit mit Älteren damals nicht zugetraut“, sagt die 23-Jährige. Aber der Umgang mit Menschen liegt ihr. Schon auf dem Gymnasium gibt sie Nachhilfe, macht ein Praktikum an einer Schule.
Ihre erste Station im Orientierungspraktikum ist die Grundschule Adenau. Eine prägende Erfahrung für die angehende Pädagogin. Es ist kurz nach der Ahrflut. „Die Kinder waren teilweise traumatisiert“, erinnert sich Laura Crämer. „Wenn es geregnet hat, war oft an Unterricht nicht mehr zu denken.“ Trotzdem hat sie die drei Wochen in guter Erinnerung behalten. „Die Kinder waren sehr wissbegierig.“ Das motiviert.
Ihre Pflichtstunde hält sie in Deutsch. „Da war ich schon aufgeregt“, blickt sie zurück. Zumal sie etwas mit ihrer Schreibschrift an der Tafel hadert. „Wir haben neue Buchstaben eingeübt“, erklärt sie. Die 23-Jährige denkt kurz nach. „Ich glaube, es war das ch.“ In der anschließenden Reflexion mit dem Betreuungslehrer wird sie gelobt. An der einen oder anderen Stelle müsse sie aber noch etwas strenger sein. „Ein Junge hat sehr unsauber geschrieben“, erinnert sie sich. „Das hätte ich ihm nicht durchgehen lassen dürfen.“
Ein paar Semester später sitzt sie dann im Lehrerzimmer des Bertha-von Suttner-Gymnasium in Andernach. Am Praktikantentisch. Wenn man sie denn überhaupt reinlässt. „Ich bin ja nicht sonderlich groß“, sagt Laura Crämer und lacht. „Ich wurde deshalb schon mehrmals vor der Tür abgewiesen.“ Man hält sie für eine Schülerin. Die junge Frau trägt das Missverständnis mit Humor. Aber ein eigenartiges Gefühl ist es schon. Plötzlich Lehrer. Zumindest fast. „Aber die Kollegen waren alle ziemlich nett.“
Und sie kann viel Praxiserfahrung sammeln. „Unser Betreuungslehrer hat darauf gepocht, dass wir mehrere Stunden halten“, sagt sie. Und es geht nun richtig in die Tiefe. Statt dem kleinen ABC unterrichtet sie in einem Leistungskurs Englisch Literatur. „Die Vorbereitung dauerte deutlich länger als in der Grundschule“, erinnert sie sich. „Das kann man mal nicht so eben aus dem Ärmel schütteln.“ Und von den Schülern der zwölften Stufe trennen sie gerade mal vier, fünf Jahre. „Aber man merkt schon den Unterschied, ob man nun 17 oder 21 ist“, betont sie. Laura Crämer weiß nun: Sie kann auch mit Älteren.
Mittlerweile ist die 23-Jährige im achten Semester. Ihren Bachelor hat sie längst in der Tasche. Jetzt steuert die junge Frau auf den Master zu. Ihr letztes verpflichtendes Praktikum wird sie wieder an einem Gymnasium absolvieren. Dort geht’s dann wohl auch ins Referendariat. Denn sie hat die Schulform gewechselt. Bis es so weit ist, gibt sie Studienberatung für die unteren Semester, bei der sie ihre Erfahrungen weitergeben kann.
Uni-Vize-Präsidentin Constanze Juchem-Grundmann, die vor ihrer Unikarriere selbst in Koblenz Lehramt studiert hat, kann das Angebot und möglichst frühe Praktika nur empfehlen. „So kann man viel früher reflektieren“, betont die Sprachwissenschaftlerin. Und sich verlorene Zeit ersparen. Das drückt auch die Abbrecherquote. Denn einen Numerus clausus gibt es nicht. „Wir dürfen niemanden abweisen,“ erklärt die Uni-Vizepräsidentin.
Koblenz ist die Lehrerschmiede von Rheinland-Pfalz
Die Universität Koblenz ist die jüngste Universität Deutschlands, blickt aber auf eine lange akademische Tradition als Erziehungswissenschaftliche Hochschule zurück. Die Lehrausbildung nimmt auch weiterhin eine zentrale Rolle ein. Insgesamt studieren auf dem Campus im Stadtteil Metternich 9400 junge Menschen, 1600 Absolventen verlassen die Uni jährlich. Der Anteil ausländischer Studenten liegt bei rund 10 Prozent. Koblenz kooperiert dabei mit mehr als 80 Partneruniversitäten in aller Welt. Die Bildungseinrichtung ist 100 Professuren und insgesamt 1100 Mitarbeitern ein bedeutender Arbeitgeber in Koblenz.