Rechtsgutachten der Verbandsgemeinde St. Goar-Oberwesel zweifelt den Bestandsschutz für die Strecke Koblenz-Mainz an
Strecke zwischen Koblenz und Mainz: Klagt die Region Mittelrhein gegen die Bahn?
Und täglich rauschen die Güterzüge: Nicht nur am Bahnhof in St. Goar prägen teils Hunderte Meter lange Frachtzüge das Bild auf der Mittelrheinstrecke. Ein Rechtsgutachten wirft nun die Frage auf, ob die Menschen im Tal sich dies überhaupt bieten lassen müssen. Foto: Werner Dupuis
Volker Boch

St. Goar-Oberwesel. Betreibt die Deutsche Bahn die linksrheinische Strecke zwischen Koblenz und Mainz illegal? Diese Frage steckt hinter einem Rechtsgutachten, das die Verbandsgemeinde St. Goar-Oberwesel in Auftrag gegeben hat. Am Donnerstag wurde die Einschätzung des Düsseldorfer Verwaltungs- und Vergaberechtlers Clemens Antweiler öffentlich: Er zweifelt den Bestandsschutz für die Trasse erheblich an. Die Verbandsgemeinde berät nun darüber, ob sie gegen die DB Netz AG als Streckenbetreiber klagt. Denn dies könnte ein Druckmittel sein, um im Mittelrheintal für deutlich mehr Lärmschutz zu sorgen.

Bereits vor Monaten wollte VG-Bürgermeister Thomas Bungert von der Bahn wissen, welche Unterlagen zur Genehmigung und zum Bau der Strecke im Jahr 1859 existierten. „Mehrfach habe ich mit der Bahn, der DB Netz AG und dem Eisenbahn-Bundesamt kommuniziert“, betont er. „Irgendwann habe ich dann einen dünnen Zweizeiler erhalten.“ Die für Bahnstrecken zuständige Konzerntochter DB Netz AG teilte der Verbandsgemeinde im Februar knapp mit, dass ihr keine historischen Unterlagen zur Errichtung der Bahnstrecke Mitte des 19. Jahrhunderts vorliegen würden. Die Trasse stelle „Bestandsinfrastruktur“ dar, somit seien keine Planfeststellungsunterlagen oder -beschlüsse notwendig, sondern nur eine Betriebserlaubnis. Diese liege für alle Strecken der Deutsche Bahn AG vor.

Eine Anfrage unserer Zeitung beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA) ergab, dass auch dort keine Unterlagen existieren. „Das EBA wurde erst mit der Bahnreform am 1. Januar 1994 errichtet. Für den davorliegenden Zeitraum liegen dem EBA daher grundsätzliche keine Planrechtsentscheidungen vor“, erklärte eine Sprecherin. Weiter hieß es: „Das bedeutet nicht, dass ältere Eisenbahnstrecken rechtswidrig errichtet wurden. Für das EBA besteht kein Anlass, ihre Rechtmäßigkeit infrage zu stellen.“ Auch wurden bei der Überwachung der drei Tunnel zwischen St. Goar und Oberwesel beziehungsweise deren Instandhaltung „in den vergangenen Jahren keine Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen oder das technische Regelwerk festgestellt“.

Bungert, selbst Jurist, war überrascht, dass die DB Netz AG über keine Unterlagen zum Bau verfügt. Eine Genehmigung hätte von der Preußischen Staatsregierung erteilt werden müssen, die am 3. November 1838 das Königlich-Preußische Eisenbahngesetz verankert hatte. Recherchen unserer Zeitung brachten zumindest Hinweise auf eine mögliche Konzession. Bungert und die VG beschäftigt unterdessen die Frage, ob die Strecke Bestandsschutz hat. Die 13-seitige Einschätzung Antweilers kommt zu dem Schluss, dass die DB Netz AG keinen Nachweis darüber abgegeben hat, ob die linksrheinische Bahnstrecke zwischen Koblenz und Mainz 1859 in Übereinstimmung mit den damals geltenden Vorschriften errichtet wurde.

Die VG könnte laut Antweiler zivil- und verwaltungsrechtlich gegen die DB Netz AG vorgehen – weil der Beleg für eine rechtskonforme Errichtung der Trasse fehlt. Die Anlieger seien nicht zur Duldung eines „Schwarzbaus“ verpflichtet. „Fehlt es bereits an einer Rechtsgrundlage für die Errichtung der Eisenbahninfrastruktur, scheidet Bestandsschutz von vornherein aus“, erklärt er. „Voraussetzung eines eventuellen Bestandsschutzes für eine bestimmte Anlage ist, dass diese im Einklang mit damals geltendem Recht errichtet wurde. Deshalb kommt Bestandsschutz für eine vorhandene Eisenbahninfrastruktur von vornherein nur in dem Umfang in Betracht, in dem diese Eisenbahninfrastruktur ursprünglich genehmigt worden ist.“ Spannend ist daher die Frage, ob die Bahn nicht für viel mehr Lärmschutz auf der Strecke sorgen muss.

„Die 50.000 Menschen im Rheintal interessieren in Berlin niemanden“, sagt Bungert. Ohne Druck bewege sich die Bahn nicht. Er führt jetzt Gespräche im Tal, wer sich an einer möglichen Klage beteiligen würde. Am Donnerstag entscheidet der VG-Rat darüber.

Von unserem Chefreporter Volker Boch

Top-News aus der Region

Weitere regionale Nachrichten