Unser Mainzer Korrespondent Carsten Zillmann hat die Auftritte der Kandidaten in Nieder-Olm beobachtet und mit Besuchern gesprochen. Eine Analyse.
Aber natürlich bezog sich Dreyer auf die schreckliche Nachricht um die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, die sich wegen einer Krebserkrankung als Interimsvorsitzende zurückzieht. Dreyer wird die Partei nur so lange leiten, bis die Mitglieder aus den sieben Bewerberduos und dem Einzelbewerber Karl-Heinz Brunner eine neue Führung gewählt haben. Die Mainzer Regierungschefin war – mit einigem Abstand gefolgt von Generalsekretär Lars Klingbeil – die charismatischste Persönlichkeit, die sich bei der Regionalkonferenz in Nieder-Olm an die rund 700 Genossen wendete. Doch für Katerstimmung gab es trotz des nur kurzen Rausches keinen Grund. Was die 13 Bewerber (Boris Pistorius und Brunner fehlten) den Zuhörern anboten, war keineswegs eine Klamauk-Castingshow, sondern hat das Potenzial, den roten Zwerg wieder wachsen zu lassen.
Das gilt allerdings nicht für den prominentesten Genossen im Saal. Olaf Scholz ist weniger Lösung als personifizierte Problembeschreibung – und vielleicht ist das seine Daseinsberechtigung in der Runde. Der Bundesfinanzminister, über den die „Zeit“ kürzlich geschrieben hat, er stehe nicht für „Weiter so“, sondern für „Weiter soer“, wirkte wie ein programmatisch völlig austauschbarer Politprototyp der Merkel-Ära. Der Hüter der schwarzen Null präsentierte sich auch bei den Inhalten sparsam. Er kam praktisch ohne sie aus. Frage: „Braucht man mehr Steuererleichterungen für Arbeitnehmer?“ Scholz' Antwort: „Es ist wichtig, dass wir ein paar steuerliche Erleichterungen für Arbeitnehmer haben.“ Er höre außerdem immer wieder: „Für uns macht ihr ja keine Politik.“ Seine Lösung: Man müsse wieder Politik für diese Leute machen. Auch wenn seine Duopartnerin Klara Geywitz mit einigen interessanten Anmerkungen auffiel, steht Scholz wie kaum ein anderer dafür, in der Partei als Anhängsel der Union wahrgenommen zu werden. „Das war nix“, urteilte ein Landtagsabgeordneter. Auch der Applaus für Scholz war eher höflich.
Deutlich mehr Begeisterung löste das Duo Michael Roth/Christina Kampmann aus. Viele Genossen sprachen nach der Veranstaltung von ihren neuen Favoriten. In Sachen Dynamik und Auftreten trifft das auf beide zu. Roth schaltete sofort von null auf die Wahlkampfbühne im Ruhrgebiet der 90er-Jahre. Ein Mikrofon? Eigentlich überflüssig. Doch seine Botschaften dürften den Sojalatte schlürfenden Hipstern aus Berlin-Mitte besser gefallen haben als den Malochern aus Duisburg-Marxloh. Kampf gegen Sexismus, ein Ja zu Europa, Kritik an Trump. Das ist inhaltlich nicht neu, sondern die vorherrschende SPD-Meinung.
Warum er für das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“, unter Genossen auch spöttisch „Hau-ab-Gesetz“ genannt, gestimmt habe, wollte ein Juso wissen. Roth gab glaubwürdig den Zerknirschten. „Solidarität und Zuverlässigkeit sind eben wichtig“, sagte er gequält. Auffällig: Zu ökonomischen Themen blieben Roth und Kampmann phrasenhaft unklar. Roth betonte jedoch: „Wir sind ins Gelingen verliebt!“
Der Satz sei stark, sagten viele Genossen. Doch was ist Roth eigentlich in seiner Karriere so gelungen? Als Staatssekretär im Außenministerium ist er auch für das jüdische Leben in Deutschland verantwortlich. Während seiner Amtszeit nannte der damalige Außenminister Sigmar Gabriel, der heute 60 wird, Israel einen Apartheidsstaat. Als hessischer Generalsekretär (2009 bis 2014) verantwortete er zwei Wahlniederlagen der Landespartei (23,7 und 30,7 Prozent).
Der Gegenentwurf zum Duo Roth/Kampmann sind Dierk Hirschel und Hilde Mattheis. Hirschel ist Chefökonom der Gewerkschaft Verdi. Und das merkt man. Mindestlohn, Hartz IV, Industriepolitik, Tarifbindung. Dass junge Gewerkschafter lieber die AfD wählen als die SPD, schmerzt ihn. Chancen auf die Spitzenposition räumen den beiden aber die wenigsten ein. Mattheis, seine Partnerin, ist vielen zu rückwärtsgewandt, arbeitet sich zu sehr an den Schröder-Jahren ab. Hirschel würden sich aber viele der anwesenden rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten zumindest im Vorstand wünschen – vielleicht sogar als eine Art Chefökonom.
Wirklich rheinland-pfälzisch klang auch Petra Köpping aus Sachsen. Sie will „Brücken zwischen Ost und West, zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt“ bauen. „Ich komme wie Boris Pistorius aus der Kommunalpolitik und gehe als Ministerin zu Landräten und Bürgermeistern, um Rat zu suchen“, sagte sie, und klang dabei wie der rheinland-pfälzische Innenminister und Parteichef Roger- Lewentz. Der saß nickend in der ersten Reihe. Was ihre Chancen bei den lokalen Genossen schmälert: Weil Pistorius an diesem Abend fehlte, kann man das Duo nicht abschließend bewerten. Brücken verbinden eben immer zwei Ufer.
Die SPD-Mitglieder, die wirklich auf inhaltliche Erneuerung setzen, dürften bei Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zu Hause sein. Walter-Borjans, prominent wegen seines Ankaufs von Steuer-CDs während seiner Ministerzeit in Nordrhein-Westfalen, verknüpfte die vermeintlich weichen Themen mit harten ökonomischen Fakten. „Was ist Friedenspolitik?“, wollte eine Genossin wissen. „Friedenspolitik ist nicht von Verteilungspolitik zu trennen“, sagte er. „Wir haben Lasten auf andere Völker und in andere Generationen, beim Klima zum Beispiel, verteilt. Jetzt müssen wir die beteiligen, die davon am stärksten profitiert haben.“ Das war seine Friedens-, Klima-, Vermögens- und Steuerpolitik in einer Antwort. Etwas für Berlin-Mitte und für Duisburg-Marxloh.
Inhaltlich irgendwo dazwischen liegen Gesine Schwan und Ralf Stegner. Letzterer räumte immerhin mit seinem miesen Image auf. Er präsentierte sich als starker Redner – und humorvoll: „Kein Wunder: Ich komme aus Bad Dürkheim, und Bad Dürkheimer gehen zum Lachen nicht in den Keller.“