Herr Stich, am vergangenen Samstag gab es eine überparteiliche Mahnwache vor der Mainzer Staatskanzler. Es ging um den Fall Susanna F.. Sie waren nicht da. Hat es etwas damit zu tun, dass der Anmelder Uwe Junge hieß?
Mich berührt der Fall Susanna als Vater extrem, zumal ich hier in Mainz auch Leute kenne, die die Familie kennen. Da hat man einen persönlichen Bezug dazu. Das lässt mich nicht kalt. Was mich aber auch nicht kalt lässt, sogar eher empört, ist, dass dieser tragische Mord jetzt politisch instrumentalisiert wird von der Opposition im Land. Wie kommt die AfD dazu, eine Mahnwache vor der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei anzumelden? Das suggeriert etwas. Aber auch von der CDU habe ich diese Woche mehre Dinge gelesen und gehört, die ich sehr bedenklich finde.
Die CDU hat den Fall politisch instrumentalisiert? Inwiefern?
Die Diskussion um den Fall Susanna wurde mit der Diskussion um Ankerzentren verbunden. Das ist eine Sache, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Vor allem sehe ich da keine Verbindung zur rheinland-pfälzischen Landesregierung. Wenn die CDU Rheinland-Pfalz unbedingt nach Verantwortlichen suchen will, würde ich ihr erst einmal raten, sich mit den CDU-Kolleginnen und Kollegen in Hessen auszutauschen. Dort lief das Asylverfahren des Täters.
Sie geben das Stichwort: Ankerzentren. Herr Stich, Sie haben nun die Chance, einen schwierig nachvollziehbaren Widerspruch aufzulösen. Warum hat die SPD im Koalitionsvertrag auf Bundesebene Ankerzentren vereinbart, lehnt sie jetzt – wie fast alle Bundesländer – aber ab?
Es ist richtig, dass der Begriff im Koalitionsvertrag steht. Das war einer der Punkte, die wir damals sehr strittig diskutiert haben. Aber: Es war Auftrag des Bundesinnenministers, diesen Begriff mit Leben zu füllen, zu konkretisieren. Und bis zum heutigen Tag ist der Innenminister ein schlüssiges Konzept schuldig geblieben, was genau er mit Ankerzentren meint und wo die Verbesserungen zum aktuellen Stand sind.
Und der ist?
In Rheinland-Pfalz machen wir vieles wirklich sehr, sehr vorbildlich. Wir arbeiten in den Erstaufnahmeeinrichtungen schon Behörden übergreifend zusammen. Wir haben die schnellsten Verfahren an den Verwaltungsgerichten in Bezug auf Klagen von abgelehnten Asylbescheiden. Wir haben im Ländervergleich seine sehr gute Position, was Abschiebung und freiwillige Rückkehr anbelangt. Vieles von dem, was CDU und CSU gern verbessern würden, läuft hier schon sehr gut. Deshalb warten wir ab, was der Bundesinnenminister plant. Denn auch CDU-geführte Länder wie Hessen sagen, wir sehen keinen Bedarf. Der Ball liegt bei Horst Seehofer, und er spielt ihn nicht. Stattdessen bricht er einen großen Streit vom Zaun, für den keiner Verständnis hat. Ich kann nicht akzeptieren, dass Deutschland in Geiselhaft genommen wird für den Landtagswahlkampf in Bayern.
Lassen Sie uns über den strittigen Punkt sprechen. Asylbewerber an der Grenze abweisen, bedeutet Grenzkontrollen. Gehen an der Grenze zu Frankreich demnächst die Schlagbäume nach unten? Ist Schengen am Ende?
Es ist so, dass im Koalitionsvertrag eigentlich die europäische Lösung klar drinsteht.
Die aber nicht zu erreichen ist ...
Der Koalitionsvertrag gilt. Die europäische Lösung halte ich auch bei aller Schwierigkeit für das Richtige. Dafür braucht es Geduld, und dafür muss die Kanzlerin sich auch einsetzen. Dafür hat sie ein Mandat von der Koalition. Wenn wir hier der CSU klein beigeben und den Schengenraum über Bord gehen lassen, dann legen wir die Axt an der Grundidee der Europäischen Union. Und das ist für eine Europapartei wie die SPD keine Option.
Schauen wir ins Land. Sie präsentieren als Generalsekretär konkrete Konzepte zum Thema „SPD erneuern“. Ist ein Quartierbüro wie in Ludwigshafen nicht ein wenig zurück in die Zukunft? Die SPD als Kümmerer für die kleinen Leute?
Erneuerung heißt ja nicht, alles, was mal war, über Bord zu schmeißen. Erneuerung heißt: Von der Analyse – was lief falsch – zu neuen Konzepten zu kommen. Wir müssen überlegen, was brauchen wir um eine erfolgreiche Zukunft zu gestalten. Deshalb war auch unsere Studie zum Mitgliederentscheid so wichtig. Dabei geht es natürlich um Kommunikationsstrategien und Wege, Menschen zu erreichen. Von daher hat Altbewährtes seinen Platz, radikal Neues hat seinen Platz und die Wiederentdeckung dessen, was wir früher schon einmal hatten. Neu heißt auch, sich auf seine Wurzeln zurückzubesinnen, und sie mit neuem Leben zu füllen.
In Speyer durften Sie grade mit der neuen Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler einen Wahlerfolg feiern. In den Städten läuft es. Gleichzeitig sind SPD-Landräte inzwischen ein Fall für den Artenschutz. Es gibt nur noch zwei.
Der Fall Speyer zeigt, dass die SPD Wahlkämpfe nach wie vor gewinnen kann. Der Wahlkampf von Steffi Seiler war in Absprache mit uns vorbildlich: früh angefangen, eine sehr genaue Analyse, daraufhin ein konkretes Angebot gemacht, eine frische Kampagne und eine Haustür- und Mobilisierungskampagne gestartet. Die Wechselstimmung haben wir uns erarbeitet. Nach der negativen Kette bei Landratswahlen haben wir analysiert. Es waren immer offene Rennen, aber wir mussten die Positionierung der Kandidaten und unsere Zusammenarbeit verbessern. Und das gehen wir mit Blick auf die Kommunalwahl nächstes Jahr auch an.
Das Gespräch führte Carsten Zillmann