Die Trierer Psychologin Stefanie Stahl spricht über Bindungsangst, die Flaute im Bett und Auswege aus dem Singledasein
So wird man mit dem Partner glücklich: Die Trierer Psychologin Stefanie Stahl gibt Tipps
Diese Beziehung klappt schon mal richtig gut: Die Trierer Autorin Stefanie Stahl posiert mit ihrem Wochenendhund Ripley. Im Interview spricht die Psychotherapeutin darüber, wie Beziehungen zwischen Menschen besser funktionieren können.
Susanne Wysocki

Wenn sie über Beziehungen, Einflüsse aus der Kindheit und Persönlichkeit spricht, hört ihr Deutschland zu: Stefanie Stahl ist Psychologin, Bestsellerautorin mit Millionen an verkauften Büchern, lädt in ihrem Podcast „Stahl aber herzlich“ Promis wie Atze Schröder zur Therapiestunde und lebt in Trier. Im Interview spricht die 57-Jährige über Liebe, Bindungsangst und warum sich Paare beim Sex lockerer machen sollten. Das Gespräch im Wortlaut:

Ob Lockdown oder Homeoffice: In der Pandemie haben Paare viel mehr gemeinsame Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht als gewohnt. War die Corona-Krise Killer oder Anheizer von Beziehungen?

Das kommt völlig darauf an, wie intakt die Beziehung vorher war. Für Paare, die super miteinander klarkommen und unter beruflicher Trennung im Alltag leiden, war die Zeit super. Ein Problem war die Pandemie für Partnerschaften, in denen vorher schon der Wurm drin war. Dort hat Corona Beziehungskrisen eher beschleunigt. Und dann gibt es noch die Paare, in denen mindestens ein Partner an Bindungsangst leidet, ohne es zu wissen.

Wie bitte?

Menschen, die unter Bindungsangst leiden, brauchen viel Freiraum. Verbringen sie viel Zeit mit dem Partner zusammen, verspüren sie schnell den Erwartungsdruck, sich anpassen zu müssen. Sie stecken dann schnell in der Klemme und ziehen sich zurück, während beim Partner Verlustängste wachsen, weil er das Verhalten nicht nachvollziehen kann. Für solche Paare war Corona Gift.

Woran erkenne ich in einer Partnerschaft, dass ich ein bindungsängstlicher Typ bin?

An Mustern, die sich wiederholen. Wenn ich am Anfang von Beziehungen oft wahnsinnig verliebt bin, die Gefühle aber im Laufe der Zeit verloren gehen, ich mich nur noch eingeengt fühle und den Fokus allein auf die Schwächen des Partners richte, steckt dahinter oft Bindungsangst. Bindungsängstliche können oft nur richtig verliebt sein, wenn die Beziehung weit entfernt und noch nicht eingefahren ist. Sobald es verbindlich wird, bekommen sie kalte Füße.

Klingt belastend. In Ihren Büchern schreiben Sie, Bindungsangst gehe stark auf Prägungen der Kindheit zurück. Wie kommen Sie darauf?

Entscheidend sind tatsächlich die ersten beiden Lebensjahre. In der Zeit entwickelt sich eine Beziehung zu den Eltern, die sicher oder unsicher ist und das weitere Leben prägt. Wer eine sichere Bindung zu seinen Eltern hat, hat es im Leben später leichter, eine gute, vertrauensvolle Beziehung zu anderen Menschen zu führen. Fehlt es an einer sicheren Beziehung zu den Eltern, haben die Kinder es auch als Erwachsene schwer, sich zu binden.

Ich habe keine Erinnerung an meine ersten beiden Lebensjahre. Warum entscheidet ausgerechnet diese Zeit darüber, was für ein Beziehungsmensch ich bin?

Wenn wir auf die Welt kommen, ist das Gehirn erst zu 25 Prozent entwickelt. Es gibt nur ganz einfache Regulationen wie Kälte, Durst, Hitze und Sättigung. Unser emotionales Zentrum und der Sitz der Vernunft bilden sich erst später aus. Wie sie sich ausprägen, hängt davon ab, wie wir die Welt erleben. Sind Eltern wenig einfühlend, können ihr Kind nicht lesen und geben ihm nicht das Gefühl, geliebt zu werden, verknüpft sich das Gehirn mit Gefühlen wie: Auf die Welt da draußen kann ich mich nicht richtig verlassen, ich kann keinem vertrauen, werde nicht verstanden und nicht wahrgenommen. Die Prägung des Gehirns ist unbewusst, es ist aber die Brille, durch die wir noch als Erwachsene die Welt sehen. Diese frühen Prägungen, die quasi unsere psychische Software sind, werden in der Psychologie gern als inneres Kind bezeichnet.

Was verstehen Sie darunter?

In meinem Ansatz unterscheide ich zwischen dem Schattenkind, das für die problematischen Prägungen steht, und dem Sonnenkind, das für die positiven Prägungen steht, aber auch für alles, was wir uns als Erwachsene an Einstellungen und Verhaltensweisen neu gestalten können. Das Sonnenkind ist somit der Zielzustand, also das geheilte Schattenkind.

Worauf müssen Eltern in der Erziehung achten, damit ihre Kinder später stabile Beziehungen führen können?

Wichtig ist Einfühlungsvermögen, also die Fähigkeit, sich in das Kind hineinzuversetzen. Vor allem sollen Eltern ihre Kinder aber lieb haben. Dabei geht viel über körperliche Nähe beim Kuscheln, Baden, Windelwechseln und beim Trösten, wenn die Kinder schreien. Gerade in den ersten drei Lebensjahren sind Eltern dafür da, ihren Kindern den Stress abzunehmen, den sie selbst noch gar nicht regulieren können. Der Körper schüttet dann Hormone aus und erfährt ein Gleichgewicht aus Stress und Beruhigung. Lernen Kinder diese Regulation nicht, weil die Eltern ihnen zu wenig Nähe zeigen, geraten sie auch als Erwachsene schneller in Stresszustände. Das zeigen Studien. Daher sollten Eltern – wenn es möglich ist – ihr Kind auch nicht zu früh in die Kita geben.

Warum nicht?

Dort ist für das Kind alles fremd und ungewohnt. Wenn es geht, sollten Eltern ihre Kinder auf keinen Fall vor dem zweiten Lebensjahr in die Kita geben. Ist das nicht möglich, sollten sie den Kindern viel Liebe in der gemeinsamen Zeit geben und sie immer in ihrem Freiraum fördern.

Welche Prägungen aus der Kindheit entdecken Sie in psychotherapeutischen Behandlungen häufig?

Nehmen wir ein Beispiel: Wenn Eltern sich oft streiten und ihr Kind dabei ignorieren, denkt ein Kind nicht: „Mama und Papa sollten eine Paartherapie besuchen“, sondern: „Ich falle zur Last und bin nichts wert.“ Mit dem Gefühl wachsen die Kinder dann auf, es entwickelt sich regelrecht als inneres Programm, das auch im Erwachsenenleben aktiv ist. Wird dann mal ein Kommentar überhört oder ein Geburtstag vergessen, tritt das Schattenkind hervor, das schnell wütend oder traurig reagiert. Das Gegenüber weiß aber gar nicht, warum es diese Reaktionen hervorgerufen hat, weil die ja auf die Kindheit zurückzuführen sind.

Und wie schwäche ich diese Empfindungen ab?

Indem ich mich in der Rolle des Erwachsenen-Ich genau beobachte und dabei ertappe, wenn das Schattenkind aktiviert wird. Tauchen alte Glaubenssätze auf, kann ich sie freundlich in die Zeit meiner Kindheit und an meine Eltern zurückgeben. Sie gehören nicht zu mir. Sich selbst sollte man in diesen Momenten gut zureden. Sätze wie „Ich bin wertvoll“ oder „Ich bin wichtig“ helfen dabei.

Das Kind ist also nicht auf ewig in den Brunnen gefallen, wenn ich als Erwachsener Bindungsprobleme habe?

Nein, ansonsten wäre ich ja arbeitslos. Das Gehirn ist lernfähig. Wir können uns immer wieder neue Einstellungen und Haltungen aneignen. Ob das klappt, hängt aber davon ab, wie motiviert man selbst ist, ernsthaft an der Beziehung und an sich zu arbeiten. Oft hapert es genau daran. Viele Menschen haben eine Höllenangst vor Selbsterkenntnis.

Was ist das Geheimnis einer glücklichen Beziehung?

Die wichtigste Grundlage ist, sich überhaupt für eine Beziehung zu entscheiden und zu binden. Dann geht es um eine gute Balance zwischen Bindung und Autonomie. Einerseits muss ich Einfühlungsvermögen haben, anpassungsfähig sein und Kompromisse für den Partner eingehen. Auf der anderen Seite muss ich aber auch für mich argumentieren, meine Ansichten einbringen und durchsetzen, um in der Beziehung ein Gefühl von Freiheit zu haben. Viele Leute verlieren sich in Beziehungen selbst, weil sie nur damit beschäftigt sind, den Partner glücklich zu machen. Sie empfinden die Partnerschaft dann oft als Falle.

Für Singles war die Corona-Krise eine schwere Zeit. Was empfehlen Sie ihnen nach langer Isolation?

Ich rate ihnen, ihren Selbstwert zu schätzen. Sie sollen sich mögen, schön machen und nicht passiv warten, bis ihnen Mister oder Misses Right über den Weg läuft. Wollen sich Singles wirklich binden, sollen sie aktiv sein – im echten Leben und im Internet über Datingportale, die eine echte Hilfe sein können.

Und wenn die Dates nur Frust bringen?

Viele Alleinstehende geben zu früh auf, wenn sie nach drei gescheiterten Dates genervt sind und vorschnell zu dem Urteil kommen: „Es laufen ja nur Idioten rum.“ Ich sage: Mach 100 Dates, nimm es wie einen Job. Den Richtigen zu treffen, ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit.

Viele Paare in ihrem Podcast beklagen Beziehungsprobleme, weil der Sex zu kurz kommt. Was hilft gegen die Flaute im Bett?

Beim Sex machen sich viele Paare zu großen Druck. Vielleicht, weil zu viele Fehlinformationen und zu große Erwartungshaltung im Umlauf ist. Das Problem ist: Leidenschaft lebt vom Ungewissen. Sicherheit und Leidenschaft passen nicht unter einen Hut. Je länger sich Paare kennen, desto mehr verändert sich also auch das Sexleben. Es kann nach vielen Jahren in der Beziehung immer noch leidenschaftlich sein, aber eben nicht mehr so wie am Anfang. Das funktioniert nur in gestörten Achterbahnbeziehungen, in denen die Sicherheit fehlt.

Was raten Sie Langzeitpaaren, die sich nach mehr Sex sehnen?

Nicht immer auf den Impuls warten, einfach mal anfangen. Der Appetit kommt beim Essen.

Ist der Mensch eher zur ewigen Liebe zu einer Person oder zu mehreren Beziehungen geboren?

Wir sind monogame Lebewesen mit gelegentlichen Seitensprüngen, wobei Letztere eine persönliche Entscheidung jedes Einzelnen sind. So lautet der Stand der Forschung. Es liegt jedenfalls nicht in unseren Genen, polyamourös zu leben. Das hat mehrere Gründe: Kinder wachsen am besten in festen Familienverhältnissen auf, wobei Monogamie der Eltern hilft. Außerdem hat die Natur uns mit der Eifersucht ein wahnsinnig starkes Gefühl mitgegeben, wenn wir verliebt sind. Wir wollen „The One and Only“ sein und uns exklusiv binden. Hinter einer polyamourösen Haltung steckt daher oft eine Angst vor Verlust. Denn wo ich mich auf eine feste Beziehung einlasse, liefere ich mich natürlich ein Stück weit der Ungewissheit aus, ob sie funktioniert.

Sie führen in Podcasts auch Therapiegespräche mit Promis. Welchen bekannten Menschen würden Sie gern mal auf Ihrer Couch sitzen sehen?

Til Schweiger. Ich mag ihn, finde ihn sympathisch, oft ungerecht beurteilt, beobachte aber auch seit Jahren seinen Umgang mit Frauen. Ich glaube, dass er eine Bindungsangst hat, die er selbst gar nicht reflektiert.

Das Gespräch führte Florian Schlecht

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