Auf vielen Intensivstationen arbeiten Ärzte und Pfleger inzwischen am Anschlag - Ein Blick in das Mutterhaus in Trier
Situation auf einer RLP-Intensivstation: „Die Spitze kommt erst noch“
Die Zahl der Patienten mit Covid-19 auf Intensivstationen steigt. Nicht zu wissen, was noch kommt, treibt Mediziner und Pfleger um – auch im Mutterhaus in Trier. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es eng wird, meint dort ein Chefarzt. Foto: dpa
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Wie viele Patienten er an Corona hat sterben sehen, kann er nicht sagen. „Ich zähle nicht, aber es waren schon sehr viele“, sagt Intensivpfleger Leo Wagner. Und immer wieder gebe es Schicksale, die einen besonders tief berührten.

„Ich habe die Tochter einer Frau vor der Tür stehen und schalte dann bei der Mutter die Geräte ab. Das ist bei einer Routine, die man hat, etwas, was einen bewegt.“ Die Tote: 52 Jahre alt. Ungeimpft. Sie stand vorher mitten im Leben.

Der Tod ist Alltag auf der Station 2B im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen in Trier. Es ist die Intensivstation, auf der die Covid-Patienten an Beatmungsmaschinen liegen. Und auf der gerade immer mehr Betten belegt werden. Die Anspannung ist spürbar. „Wir wissen, dass noch mehr kommt. Wir sind im Team ständig am Besprechen, wie wir es machen, wie wir es stemmen“, sagt Chefarzt Oliver Kunitz.

Es ist die vierte Welle der Corona-Pandemie, die die Krankenhäuser in Deutschland gerade mit voller Wucht erfasst. „Bundesweit stehen wir kurz vor dem Zusammenbruch“, sagt Kunitz. Noch gehe es auf der Station 2B, aber es sei „nur eine Frage der Zeit“, bis es auch hier eng werde. „Die Spitze kommt erst noch. Dafür muss man nur ein bisschen rechnen können“, sagt der Leiter der Intensivstation. Im Moment gebe es bundesweit auf Intensivstationen 250 bis 300 Covid-Neuaufnahmen pro Tag – und man sei jetzt schon mit knapp 5000 belegten Betten „an dem Punkt, an dem wir maximal in der dritten Welle waren“, sagt er. Die Patienten lägen dort in der Regel 14 Tage bis vier Wochen.

In Rheinland-Pfalz steigt die Zahl der erwachsenen Covid-19-Kranken auf Intensiv seit Mitte Oktober wieder. Seitdem hat sie sich nach Daten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) mehr als verdreifacht. Hierzulande sind demnach (Stand Mittwoch) 18 Prozent der Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt. Tendenz steigend. Zum Vergleich: In Schleswig-Holstein sind es 8,3 Prozent, in Sachsen sind es fast 41 Prozent, in Hessen 15,8 Prozent. In Rheinland-Pfalz sind aktuell 12,9 Prozent der Intensivbetten noch frei, in Schleswig-Holstein sind es 16 Prozent, in Baden-Württemberg nur 8,2 Prozent, in Hessen 9,9 Prozent.

„Diese Frau hier wird nicht überleben“, sagt die Fachärztin für Anästhesiologie, Katharina Weinmann, in der Schleuse vor einem Patientenzimmer. Ja, die meisten Patienten seien ungeimpft. Die Situation mache sie „wütend und mürbe“, sagt die 39-Jährige, die seit Beginn der Pandemie um das Leben anderer kämpft. „Ich habe seitdem praktisch nichts anderes gemacht als Covid.“ Und: „Ich glaube, ich bin kein sozialverträglicher Mitbürger mehr. Ich mag es nicht mehr eng.“

Sie sei wütend, wenn sie sehe, wie Menschen gegen Corona-Maßnahmen demonstrierten oder das Virus leugneten. „In der letzten Welle, als die Impfungen aufkamen, da haben wir gedacht: Wir reißen das jetzt noch einmal, und in ein paar Wochen ist der Spuk um“, sagt Weinmann. Vier Monate ohne freies Wochenende oder zehn Nachtdienste im Monat plus normale Dienste. Und jetzt wieder die große Belastung. „Und ich muss ehrlich sagen: Weitere sechs Monate und es knirscht.“

Zur Unterstützung der Pfleger und Ärzte hat das Klinikum eine Psychologin auf der intensivmedizinischen Station im Einsatz. Sie redet mit den Angehörigen – und mit dem ganzen Team. „Es ist wirklich eine sehr hohe Arbeitsbelastung hier. Eine sehr schwierige Arbeit in Vollmontur“, sagt Esther Hilterscheid. Schutzkleidung, Masken, Schild – man bekommt schlecht Luft, es ist körperlich anstrengender, und man könne „nicht wirklich in Kontakt treten mit Patienten“. Immer wieder zeige sich, dass Covid eine Erkrankung sei, „die wenig Handlungsspielraum lässt“, sagt Hilterscheid. „Man ist ein bisschen hilflos. Und das macht etwas mit einem, wenn alle hoch motiviert sind und Leben retten wollen.“

Ärztin Weinmann sagt: „Hier gibt es eine Fifty-fifty-Chance. Am Anfang haben wir noch gesagt, der schafft es bestimmt. Und am nächsten Tag war er tot. Hier hat ein Patient erst wirklich überlebt, wenn er durch die Türe nach draußen geht.“ Und jetzt treibt alle die Frage um, was in den nächsten Wochen noch kommt. „Es löst Druck aus, ohne dass man weiß, was man damit tun soll“, sagt Psychologin Hilterscheid. Pflegestationsleiter Wagner fügt hinzu: „Es ist eine permanente Anspannung. Nicht zu wissen, steht der Peak noch aus?“ Gerade wurde ein Zimmer vorbereitet, möglicherweise für eine Schwangere mit Covid. Mit dann acht Covid-Patienten wäre die abgetrennte Covid-Station voll.

Und was passiert dann? Man könne noch auf 15 Betten gehen, sagte Kunitz. „Wir fangen schon an, schrittweise das normale Programm im OP zurückzufahren.“ Er habe kein gutes Gefühl mit Blick auf die nächste Zeit, aber er habe keine Angst. „Das Wort Triage erlebt jetzt einen negativen Hype. Jeder spricht davon. Intensivmediziner sind es seit jeher gewohnt. Es ist das, was wir immer machen: werten und priorisieren.“ Es gebe da klare Regeln und klare Mechanismen.

Auf die jüngste Politik ist der Mediziner nicht gut zu sprechen. Es sei „unverzeihlich“, dass in der Zeit von der Bundestagswahl bis noch vor Kurzem „ein Vakuum“ entstanden sei, was Entscheidungen angehe. „Das darf in einer Pandemie nicht sein“, sagt der 60-Jährige. „Von uns wird immer und gerade jetzt ein Höchstmaß an Professionalität erwartet. Und das erwarte ich von den Politikern auch.“

Auch Weinmann spricht von „Fahrlässigkeit“ in der Politik – und nennt als Beispiele die Schließung der Impfzentren im Sommer, das Hängenlassen der Pfleger beim Bonus und die vor Kurzem noch erlaubten vollen Fußballstadien. „Das sind falsche Signale.“ Fachpfleger Wagner sagt, er habe kein Verständnis für Zweifel bei der Impfpflicht. Und auch nicht dafür, dass Beschlüsse nicht entschiedener gefasst würden. All das führe dazu, dass er sich kaum noch Nachrichten anschaue.

Nach all den Monaten Pandemie, sagt Kunitz, sei für ihn immer wieder schockierend: Es gebe Patienten, die machten die Erkrankung durch und leugneten bis zum Schluss, Covid gehabt zu haben. Nach dem Motto „Das stimmt alles gar nicht, das gibt es ja gar nicht“. Das gehe so weit, dass Angehörige nach dem Tod eines Patienten noch bestreiten, dass er an Covid gestorben ist. „Das ist krass. Bis zum bitteren Ende.“

Die jüngst verschärften Corona-Regeln lösen bei dem Chefarzt wenig Entspannung aus. Selbst wenn sie greifen, dauert es mindestens zwei Wochen, bis die Fallzahlen deutlich zurückgehen. Intensivmediziner interessierten sich aber mehr dafür, wie die Inzidenzen vor zwei bis vier Wochen waren. „Unsere Aufnahmen sind die Patienten, die sich vor mehr als zwei Wochen angesteckt haben.“

Von Birgit Reichert

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