Weil auf vielen Klinikstationen Besuchsverbote gelten, fehlen Kontakte zur Außenwelt. Auch Senioren und Schwerstkranke, die zu Hause leben, trifft die Pandemie in besonderem Maße. Nicht nur die Familien, sondern auch Ärzte und Pflegepersonal, Seelsorger und Bestatter stellt das vor besondere Herausforderungen.
Einsamkeit, Unsicherheit, Angst, Verzweiflung – all das begegnet Ulrike Windschmitt täglich. Die evangelische Pfarrerin arbeitet als Klinikseelsorgerin in der Unimedizin Mainz. Betroffen seien vor allem Covid-19-Patienten, die isoliert auf der Intensivstation liegen und keinerlei Kontakte zu Angehörigen haben dürfen. Aber auch fast alle anderen Patienten trifft es – vom Krebskranken bis zum Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten, vom Unfallopfer bis hin zum Dialysepatienten.
Nur wenn sich abzeichne, dass jemand stirbt, seien in manchen Fällen die engsten Angehörigen als Besucher erlaubt, sagt Windschmitt. Andere Verwandte – die vertraute Nachbarin, der enge Freund – sie alle hingegen bleiben außen vor. „Überall gibt es zu wenig Kontakt und Kommunikation. Der Leidensdruck der Patienten ist wirklich groß.“ Hilfreich können für Schwerstkranke in dieser Situation kleine Gesten sein – ein tröstlicher Brief, den die Krankenschwester vorliest, ein Telefonat, Bilder, vielleicht ein Videoanruf, wo dies möglich ist – auch wenn dies alles den direkten menschlichen Kontakt nicht ersetzen kann, wie Windschmitt sagt. Auch den Angehörigen, ihren Sorgen und vielleicht auch ihrer Trauer versuchen die Klinikseelsorger Raum zu geben – durch Gespräche, ein gemeinsames Gebet, das Anzünden einer Kerze, ein Fürbittbuch. Kleine Rituale könnten zusätzlichen Halt und Trost spenden, sagt Windschmitt.
Auch das Pflegepersonal leide unter der aktuellen Situation. Die Pfarrerin rechnet damit, dass all das noch viele Nachwirkungen haben wird. Schon jetzt versucht sie deshalb, nicht nur für die Patienten da zu sein, sondern auch das Personal in den Blick zu nehmen. Wie groß auch hier der Bedarf sei, zeige sich daran, wie dankbar Zuwendung angenommen werde.
Besondere Anforderungen stellt die Corona-Pandemie auch an die Bestatter. Sie erleben jetzt häufig, dass Angehörige zu Verstorbenen vor deren Tod seit längerer Zeit keinen oder kaum noch persönlichen Kontakt hatten und sich nicht zu Lebzeiten verabschieden konnten. „Für die Trauerbewältigung kann das katastrophale Auswirkungen haben“, sagt Dominik Kracheletz, Vorsitzender des hessischen Bestatterverbandes.
Besonders wenn Menschen mit oder an Covid-19 verstorben sind, blieben wegen der Vorschriften zum Infektionsschutz Möglichkeiten verwehrt, die Toten aufzubahren oder den Sarg noch ein letztes Mal vor der Bestattung zu öffnen. Gerade jetzt sei es wichtig, Trauernde zu unterstützen, sagt Kracheletz – mit Fotos der Verstorbenen etwa und digitaler Übertragung von Trauerfeiern, um neben dem engsten Familienkreis auch anderen nahestehenden Menschen die Teilnahme an den Zeremonien zu ermöglichen. „Wir haben begriffen, dass Abschiednehmen noch wertvoller geworden ist“, sagt Kracheletz. Manche Familien verweilten ganze Nachmittage am Sarg, um Verstorbenen noch einmal nah zu sein – und viele bedauerten dann, dass sie den Menschen zu Lebzeiten nicht noch einmal in den Arm nehmen, seine Hand streicheln oder persönlich liebevolle Worte an ihn richten konnten.
Mit solchen Gefühlen sollten Angehörige nicht allein bleiben, sagt Werner Gutheil, Diözesanseelsorger im Bistum Fulda. Viele Trauernde fühlten sich in ihrem Leid isoliert und einsam und schafften es nicht, aus ihrem Schneckenhaus herauszukommen. Die Corona-Pandemie verstärke diese Gefühle noch. In einem Trauerzentrum in Hanau begleiten Gutheil und eine Mitarbeiterin monatlich rund 70 Menschen, die Angehörige oder Freunde in ihrem engsten Umfeld verloren haben. Sie bringen sie auch mit anderen zusammen, denen es ähnlich geht. Derzeit funktioniert das nur telefonisch und virtuell, doch sobald die Pandemie es zulässt, will Gutheil wieder Gruppen starten und Menschen auch persönlich begleiten.
„Ziel einer Einzelbegleitung ist immer eine Vernetzung“, sagt Gutheil. Zugleich will er Menschen Mut machen, die wegen der Kontaktbeschränkungen oder aus anderen Gründen vor dem Tod eines Angehörigen keine persönlichen Kontakte mit dem Verstorbenen hatten. „Ich bin überzeugt davon, man kann manches nachholen“, sagt Gutheil. Auch posthum könne es heilsam sein, Briefe an einen Menschen, der einem zu Lebzeiten wichtig war, zu schreiben oder sich mit seiner Biografie auseinanderzusetzen. Das will er auch einem seiner Klienten raten, den er zurzeit begleitet. Wer etwa die Geschichte eines Verstorbenen für Kinder oder Enkel aufschreibe, könne damit in der eigenen Trauerbewältigung einen wichtigen Schritt vorangehen.