Verstoß vs. Neutralitätsgebot
Schweitzer zieht Reißleine – und nimmt Aussagen zurück
Die empörte CDU Rheinland-Pfalz zog Mitte Februar vor den Verfassungsgerichtshof in Koblenz: Die Oppositionspartei verklagte Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD).
Arne Dedert/dpa

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) stand Mitte Februar wegen seiner Äußerungen rund um Migrationsdebatten im Kreuzfeuer der Kritik. Die CDU verklagte den SPD-Politiker. Der Regierungschef zieht nun die Notbremse.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) zieht in der juristischen Auseinandersetzung mit der Landes-CDU über von ihm getätigte Äußerungen rund um die Migrations- und Brandmauerdebatten im Bundestag von Ende Januar die Reißleine: Am Freitag teilt die Staatskanzlei mit, dass der Ministerpräsident nach einer Bewertung zu dem Schluss komme, „dass seine Aussagen das Neutralitätsgebot verletzt haben“. Der Regierungschef versichert, gleichartige Äußerungen zukünftig nicht mehr zu wiederholen. Das habe er auch der CDU in einem Schreiben mitgeteilt.

Damit gesteht Schweitzer ein, dass er als Ministerpräsident in der Sache zu parteiisch agiert hat. Fachleute meinen, dass der SPD-Politiker den Fehler jetzt einräumt, um ein für ihn negatives Urteil möglicherweise zu verhindern. Die empörte CDU, die vor den rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshof in Koblenz gezogen war, landet damit jedenfalls einen Punktsieg. Für die CDU erklärt der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Marcus Klein, man sei davon überzeugt, dass Schweitzer mit seinen Aussagen gegen die Verfassung verstoßen habe. Mit der Klage wolle die CDU eine Wiederholungsgefahr abwenden und Klarheit für künftiges Handeln der gesamten Landesregierung schaffen. Die CDU werde demnächst über weitere Verfahrensschritte entscheiden, sagt Klein.

Der Verfassungsgerichtshof erläutert auf Anfrage unserer Zeitung, dass dem Gericht noch keine offiziellen Schreiben der Verfahrensbeteiligten vorlägen. Und weiter: „Unabhängig davon ist eine abschließende Entscheidung darüber, ob sich der Rechtsstreit damit u.U. erledigt haben könnte, im gerichtsförmigen Verfahren zu treffen.“ Einen Prozesstermin gibt es noch nicht.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer (SPD) hat in einem Rechtsstreit mit der CDU-Landtagsfraktion einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht eingeräumt.
Sarah Knorr/dpa

Die CDU hatte Schweitzer Mitte Februar vorgeworfen, gegen die Neutralitätspflicht verstoßen zu haben. CDU-Landes- und Fraktionschef Gordon Schnieder hatte die Klage folgendermaßen begründet: „Staatliche Organe haben sich unparteiisch und neutral in Bezug auf politische Themen und gegenüber politischen Parteien zu verhalten.“ Das sähe das Neutralitätsgebot vor.

SPD-Politiker Schweitzer hatte im Endspurt des Bundestagswahlkampfes nach heftigen Debatten zur Migration und dem sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz im deutschen Parlament die Union etwa in einem Newsletter der Staatskanzlei mit den Worten kritisiert: „Umso beunruhigender ist es, wenn eine demokratische Partei sich eine Mehrheit sucht mit der in Teilen rechtsextremen AfD. Sie verlässt damit die demokratische Mitte.“ Der Bundestag hatte das Zustrombegrenzungsgesetz von CDU/CSU Ende Januar mehrheitlich abgelehnt, nachdem ein Entschließungsantrag der Union zwei Tage zuvor eine knappe Mehrheit – erstmals mit AfD-Stimmen – bekommen hatte.

Die Staatskanzlei hatte die umstrittenen Zitate Schweitzers im Internet nach der Klage der größten Oppositionspartei im Land schnell gelöscht und erklärt, „dass sie Klarheit in einem umfassenden Hauptsacheverfahren und keine kursorische Prüfung in einem Eilverfahren“ wolle. Zu einem Eilverfahren kam es nicht, die CDU hielt allerdings an der Klage in der Hauptsache fest.

Der Verfassungsgerichtshof in Koblenz hatte am 2. April wiederum neue Maßstäbe gesetzt: Er hatte in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass die ehemalige Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) vor der Ideologie der AfD warnen durfte. Zwar habe Schweitzers Vorgängerin das Neutralitätsgebot nicht gewahrt. Aber die betont sachlichen Aussagen seien zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerechtfertigt gewesen, so das höchste Gericht des Bundeslandes. Die AfD war damit mit ihrer Klage gegen Dreyer vor dem Verfassungsgerichtshof abgeblitzt.

Gegenstand des Rechtsstreits waren mehrere Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken und Pressemitteilungen der Landesregierung aus dem Januar 2024 im Umfeld der Publikation des Recherchenetzwerks „Correctiv“ über „Deportationspläne“ der AfD gewesen. Diese hatten bundesweite Proteste gegen die Partei ausgelöst. In einem Instagram-Post hatte Dreyer beispielsweise geschrieben: „Die Politik der AfD und ihrer rechtsextremen Netzwerke macht ganz vielen Menschen in Deutschland Angst. Das dulden wir nicht.“

Der Staatsrechtler Joachim Wieland (Speyer) hatte Anfang April gegenüber unserer Zeitung bereits Zweifel geäußert, dass sich Schweitzer auf das Argument, dass er nur die freiheitlich-demokratische Grundordnung vor einer in Teilen rechtsextremistischen Partei schützen wollte, berufen könne.

Der Ministerpräsident sagt am Freitag: Gerade im Lichte des Urteils vom 2. April sei es ihm wichtig, dass alle demokratischen Parteien ihre Kräfte zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bündelten. Die Kollegen der CDU Rheinland-Pfalz wisse er dabei fest an seiner Seite.

Top-News aus der Region

Weitere regionale Nachrichten