Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht 2022 hervor, den Innenminister Michael Ebling (SPD) am Montag in Mainz vorgestellt hat. Kein extremistischer Bereich im Land hat derzeit so viele Anhänger. Die steigende Zahl liege womöglich auch daran, dass der Verfassungsschutz ein stärkeres Augenmerk auf die Gruppe habe, sagte Elmar May, Leiter des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes.
Prozess gegen Mitglieder von „Vereinte Patrioten“
Prominentester Fall im Zusammenhang mit der Szene der sogenannten Reichsbürger ist die mutmaßlich terroristische Gruppierung „Vereinte Patrioten“, die einen Umsturz der Bundesrepublik und die Entführung von Karl Lauterbach geplant haben soll. Gegen fünf Mitglieder der Gruppe läuft derzeit ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz.Generell beobachte der Verfassungsschutz „individuelle wie gruppenbezogene Radikalisierungsprozesse“, sagte Ebling.
Die Gruppen lassen sich allerdings nicht mehr so deutlich wie früher voneinander abgrenzen. Traditionelle Organisationsformen wie Parteien oder Kameradschaften verlieren an Bedeutung. Der Innenminister sprach von „Mischszenen“, die „vielfältiger, dynamischer, virtueller“ seien. Die Vermischung der unterschiedlichen Akteure komme durch virtuelle Vernetzung zustande.
750 Personen zählte der Verfassungsschutz 2022 zum Kreis der Rechtsextremisten – mit etwa 150 Gewaltorientierten. Erst am Samstagabend war die Polizei Koblenz gegen ein Konzert auf einer Grillhütte in Daaden im Landkreis Altenkirchen vorgegangen. Laut Innenministerium hatten daran 77 Teilnehmer aus rechtsextremen Kreisen teilgenommen.
Der Stadtbürgermeister von Daaden gibt sich am Sonntag erschüttert. Rund 190 Polizei-Einsatzkräfte hatten Samstagnacht eine Musikveranstaltung der rechtsextremen Szene in einer Grillhütte im AK-Kreis aufgelöst.Bürgermeister tief betroffen: Polizei löst rechtsextremes Konzert in Daaden auf
Die Auflösung des Konzertes bezeichnet Ebling als wichtiges Signal. „Wir dulden es nicht, dass Verfassungsfeinde ihre Strukturen stärken können.“
Die 190 Polizisten stellten demnach die Identität der Teilnehmer fest und erteilten Platzverweise. Die Personen kamen laut Verfassungsschützer May aus nahezu allen Bundesländern und aus dem Ausland. Teilweise seien sie polizeibekannt. Die Veranstaltung wurde nach bisherigen Erkenntnissen überregional organisiert gehandelt – das Konzert sei nicht aus Rheinland-Pfalz gesteuert worden, so May.
Stärker will der Verfassungsschutz in diesem Jahr auch die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland beobachten. Seitdem das Bundesamt für Verfassungsschutz die Junge Alternative (JA) als gesichert rechtsextrem eingestuft hat, stehe nun der „komplette Instrumentenkasten“ der Beobachtung zur Verfügung, sagte Ebling. In den vergangenen Jahren habe es eine deutliche Radikalisierung mit einem klaren völkischen Weltbild gegeben. Auch im rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzbericht 2022 taucht die JA auf, allerdings ohne neue Erkenntnisse oder die Nennung gefährlicher Personen.
Der Linksextremismus spiele im Land eine untergeordnete Rolle und sei mit dem Rechtsextremismus und Reichsbürgern nicht zu vergleichen, sagte Ebling. Nach dem Urteil gegen Lina E. wegen Gewalttaten vergangene Woche, war es in Sachsen zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen.
Gab es Spionage durch Drohnen in Idar-Oberstein?
Deutlich größere Auswirkungen auf den Verfassungsschutz im vergangenen Jahr hatte laut Ebling der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Innenminister sprach von einer angespannten Sicherheitslage, wovon Rheinland-Pfalz nicht ausgenommen sei. Die Bedrohung durch Spionage, Sabotage und Cyberangriffen sei deutlich gewachsen. Militärische Einrichtungen seien von Ausspähaktionen durch Drohnen betroffen gewesen, so der Innenminister.
Mehr als eine Vermutung ist es allerdings nicht, wie May auf Nachfrage erklärte. „Wir können nicht sicher sagen, dass es Angriffe waren.“ Der Verfassungsschutz habe Drohnen-Aktivitäten im Umfeld von Militäreinrichtungen wie etwa Idar-Oberstein, wo auch ukrainische Soldaten ausgebildet werden, beobachtet. Kein Fall sei aber nachweislich von russischen Gruppen ausgegangen, sagte May. Generell gestalte sich die Identifizierung in solchen Fällen schwierig.