Der Pfleger, der sich wegen heimtückischen Mordes an einer ALS-Patientin vor der 14. Strafkammer des Koblenzer Landgerichts verantworten muss, hat bereits 14 Vorstrafen auf dem Kerbholz. Die lange Liste von Einträgen im Bundeszentralregister ist am jüngsten Prozesstag von Richter Rupert Stehlin verlesen worden. Die meisten Vorstrafen des 45-jährigen Pflegers gehen demnach auf den Besitz und den Verkauf von Drogen zurück. Zudem gibt es Vorstrafen wegen Diebstahls, Betruges durch Unterlassen sowie gefährlicher Körperverletzung.
Die Vorwürfe im Koblenzer Mordprozess
Der Angeklagte soll in der Nacht vom 19. auf den 20. Oktober 2022 eine ALS-Patientin in ihrem Haus in einem kleinen Ort im Landkreis Mayen-Koblenz entgegen der ihm zuvor erteilten Anweisungen und ohne Hilfe einer zweiten Pflegekraft vom Rollstuhl in eine für ihren Gesundheitszustand lebensgefährliche waagerechte Position ins Bett gelegt haben (wir berichteten). Darüber hinaus soll er nachts insgesamt 21-mal den Beatmungsschlauch der Frau abgetrennt haben, einmal für neun, später für über 17 Minuten.
Beim Prozessauftakt hatte der Mann die Abtrennungen durch pflegerische Arbeiten sowie Gerätewechsel erklärt. „Aus meiner Sicht habe ich die Frau lebend übergeben“, sagte er. Er meinte damit die Übergabe an die Tagespflege. Die Verstorbene war am Morgen des 20. Oktobers 2022 von einer 55-jährigen Pflegerin ohne fühlbaren Puls im Bett liegend aufgefunden worden. Der Angeklagte behauptet im Prozess, nachts während seines Dienstes Amphetamin genommen zu haben – und dann eingeschlafen zu sein.
Im Blut des 45-Jährigen konnten etwa zehneinhalb Stunden nach Bekanntwerden des Todesfalls Rückstände von Amphetamin und Cannabis festgestellt werden. Nach Aussagen einer forensischen Toxikologin aus Mainz sprächen die detektierten Mengen eher dafür, dass der Mann das Amphetamin nach seiner Nachtschicht – also am Morgen des 20. Oktobers 2022 – genommen hatte. Exakt so hatte der 45-Jährige es am allerersten Verhandlungstag auch selbst noch dargestellt. Die forensische Expertin gab ferner an, dass das Amphetamin, das der Angeklagte nun doch schon in der Nacht genommen haben will, aufputschend und nicht einschläfernd hätte wirken müssen.
Wer den Angeklagten als Pfleger vorgeschlagen hatte
Dem 45-Jährigen war in der Oktobernacht eine Frau als zusätzliche Pflegerin zur Seite gestellt worden. Wie am jüngsten Verhandlungstag deutlich wurde, war der Angeklagte mit dieser Frau einst liiert. Sie war es auch, die der Verstorbenen den Angeklagten damals als potenzielle Pflegekraft vorgestellt hatte. Wie einige Zeugen während des Prozesses bereits berichtet haben, sei es sehr schwer gewesen, geeignetes Personal für die private Pflege der ALS-Patientin zu finden.
Laut Anklageschrift hätte besagte Pflegerin in der Oktobernacht bei Pflegehandlungen mit hinzugerufen werden müssen. Sie schlief eine Etage über dem Pflegebereich, war auch offiziell nicht im Dienst. Der Angeklagte hatte sie einmal zwecks einer Abhust-Maßnahme der Patientin hinzugerufen, laut Anklage später dann aber nicht mehr.
Pflegerin hat sich Vorwürfe gemacht
Ein Ermittler hatte diese Pflegerin vernommen. Gegen sie gebe es verschiedene Verfahren, die Rede war von „Straftaten zum Nachteil ihres damaligen Arbeitgebers“. Genaueres wurde nicht gesagt. Laut Aussagen des Ermittlers habe sich die Frau Vorwürfe gemacht, weil sie den Angeklagten damals als potenziellen Pfleger für die Verstorbene ins Spiel gebracht hatte. Die Frau soll auch angegeben haben, dass sie sich in einer depressiven Phase befinde. Der Aufenthaltsort der Pflegerin ist heute unbekannt – sie ist nicht greifbar für das Gericht.
ALS-Patientin rechnete wohl mit einem zeitnahen Tod
Auch der Laptop der Verstorbenen war von Ermittlern unter die Lupe genommen worden. Die Frau konnte sich 2022 krankheitsbedingt nicht mehr bewegen, sondern nur über eine Vorrichtung mittels ihrer Augen kommunizieren und so auch Texte auf ihrem Laptop erstellen.
In einer von der Polizei ausgewerteten Textdatei soll die Verstorbene über ihren allgemeinen Gesundheitszustand geschrieben haben, dass sie das Gefühl habe, dass sie bald sterben werde. Auch im Umfeld der Frau sei man laut dem Ermittler davon ausgegangen, dass die Patientin wohl nicht mehr lange zu leben habe. Die Verstorbene war sehr beliebt bei ihren Pflegerinnen, hatte ein tiefes Verhältnis zu ihnen aufgebaut. Dementsprechend erschüttert waren die Frauen, als sie vom Tod der Patientin hörten.
Drogen, Drogen, Drogen
Auch die Vita des Angeklagten war am jüngsten Verhandlungstag Thema im Landgericht. Der 45-Jährige hat eine Tochter, zu der er aber keinen Kontakt mehr hat. Da eine seiner Ex-Freundinnen ihn wegen seiner Drogengeschichten einst rausgeworfen hatte, war der Angeklagte auch mal eine Zeit lang obdachlos. Seine neue Freundin leistet ihm durch ihre Anwesenheit im Gerichtssaal während des Koblenzer Prozesses mentalen Beistand; am jüngsten Prozesstag saß der Bruder des 45-Jährigen im Zuschauerraum.
Nach eigenen Angaben stammt der Angeklagte aus einem „grundsoliden Elternhaus“. Doch ab Mitte 20 will der Mann täglich Amphetamin genommen und gekifft haben. Kokain, Ecstasy, sogar Heroin seien auch mal Thema gewesen, Alkohol weniger. Die Berufserlaubnis sei ihm inzwischen entzogen worden, hieß es im Gericht.
Der Angeklagte ist bereits wegen Diebstahls von Weinflaschen sowie von Geld der Verstorbenen in einem separaten Verfahren verurteilt worden. Am kommenden Verhandlungstag soll ein Psychiater, der den Angeklagten begutachtet hatte, im Landgericht als Sachverständiger gehört werden.