Zwar kann mit der Fertigstellung der Gesamtmaßnahme in Oestrich, Lorch, Bacharach, Oberwesel und St. Goar nicht vor 2033 gerechnet werden, doch die Öffentlichkeit wurde schon früh von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes mit dem Vorhaben konfrontiert und eingebunden. So auch der BUND-Landesverband Rheinland-Pfalz mit den Kreisgruppen Mainz-Bingen sowie Rhein-Hunsrück.
Verband: Lieber in Schiffe investieren, die mit neuen Bedingungen klarkommen
Die Position des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland lautet: „Der Rhein ist eine wichtige Schifffahrtsstraße, die dazu beiträgt, dass nicht noch mehr Güter mit Lkw transportiert werden. Wir haben aber große Zweifel, dass die geplanten Maßnahmen den gewünschten Nutzen haben werden. Sie würden zwar die Zeit, in der Schiffe voll beladen fahren können, etwas verlängern, wir müssen aber davon ausgehen, dass die aktuellen Niedrigwasserstände in Zukunft immer häufiger auftreten werden und die Probleme für die Schifffahrt damit bestehen bleiben. Die Industrie muss sich darauf einstellen, dass der Rhein im Sommer zeitweise nicht oder schlechter geeignet ist, um Güter zu transportieren.“
Besser wäre es, die eingeplanten Millionen Euro in Projekte zur Entwicklung von Schiffen mit geringerem Tiefgang und für die entsprechende Modernisierung der Schiffsflotte zu investieren. Moderne Schiffsantriebe wären zudem ein deutlicher Gewinn für den Klimaschutz.
GNOR: Wesentliche Parameter für die Bauwerke sind längst überholt
Ähnlich sieht es der Naturschutzbund Deutschland (NABU) in seiner Stellungnahme zu dem Vorhaben. Man bekenne sich ausdrücklich zur Wasserstraße Rhein als Teil einer nachhaltigen Verkehrswende, heißt es darin. Der Rhein sei aber nicht nur „die wichtigste Wasserstraße Europas“, sondern auch „bedeutendster Fluss- und Auenkorridor von den Alpen bis zur Nordsee“. Beide Funktionen müssten aufeinander abgestimmt weiterentwickelt und eine zukunftssichere Wasserstraße Rhein eingebettet werden „in ein umfassendes Gesamtkonzept zur Erreichung des guten ökologischen Potenzials des Rheins“.
Bei Niedrigwasser haben Frachter am Mittelrhein erhebliche Probleme, 2018 und 2022 saß die Industrie wochenlang auf dem Trockenen. Das soll in Zukunft verhindert, zumindest abgemildert werden. Im Raum steht ein gigantisches Bauvorhaben, die Vertiefung der Fahrrinne.Niedrigwasser behindert Frachtverkehr am Rhein: Wie und warum die Fahrrinne an der Loreley tiefer werden soll
Die aktuellen Pläne zur neuerlichen Vergrößerung der Fahrrinne gehen laut NABU aber auf Kosten des verbleibenden ökologischen Potenzials und weisen vor diesem Hintergrund gravierende Mängel auf.
Anstatt dass die Bundesregierung „Steuergelder in unzeitgemäße Ausbauvorhaben steckt“, solle man besser Schiffe fördern, die flexibler mit sich ändernden Abflussbedingungen des Rheins zurechtkommen und darüber hinaus zum Beispiel die Informationslogistik für Schiffsführer über Engstellen und dynamische Situationen der Fahrrinne im Sinne höherer Flexibilität ausbauen und verbessern.
“Nachhaltigkeit ist das wichtigste Zukunftskriterium des Wirtschaftens"
Auch der Arbeitskreis „Rheinhessen“ der GNOR (Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie) zieht die Sinnhaftigkeit und Angemessenheit des Gesamtprojektes „Rheinvertiefung/Abladeoptimierung“ in Zweifel. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigten, „dass die Klimaveränderungen schneller eintreffen als noch vor ein paar Jahren prognostiziert. Sie zeigen auch auf, dass das bisherige, auf Mengenwachstum gerichtete Wirtschaften nicht mehr zukunftsfähig ist. Ein immer schneller, höher, weiter geht nicht mehr. Nachhaltigkeit ist das wichtigste Zukunftskriterium des Wirtschaftens. Zudem weisen wissenschaftliche Studien immer eindringlicher auf die engen Zusammenhänge zwischen Wachstum, Naturbeanspruchung, Artenrückgang und ökologischem Gleichgewicht hin.“
„Abladeoptimierung der Fahrrinnen am Mittelrhein“: Hinter dem sperrigen Wortungetüm verbirgt sich ein gigantisches Projekt, das verbunden ist mit gewissen Befürchtungen. Doch die Rheinvertiefung wird auch sehnlichst herbeigesehnt - von der Wirtschaft.Niedrigwasser ist Gift für die Wirtschaft: Warum IHK und Unternehmen Druck in Sachen Rheinvertiefung machen
Außerdem seien die für die geplanten Bauwerke wesentlichen Parameter nach Auffassung der GNOR überholt. So sei beispielsweise der „durchschnittliche Mittelwasser-Pegelstand“ ein Durchschnittswert der vergangenen hundert Jahre. Dieser Wert aber sei Grundlage der Bauwerke und soll bis Ende des Jahrhunderts konstant bleiben. GNOR dazu: „Jeder einigermaßen informierte Mensch weiß, dass dieser Wert wegen der Klimaveränderungen nicht mehr zutreffend sein kann. Wir werden häufigere und längere Niedrigwasserphasen haben, zum Beispiel weil es häufigere Dürreperioden geben wird und in wenigen Jahren in den Alpen keine Gletscher mehr vorhanden sind. Eine sogenannte ,Klimawirkungsanalyse‘, die eigentlich am Anfang des Planungsprozesses stehen müsste, soll aber erst am Ende erstellt werden.“
Verband will Umweltprüfungen abwarten
Das Großprojekt muss in Art und Umfang gründlich überdacht werden, so die Umweltschützer. Nicht immer mehr Ausbau, sondern Reduktion auf das Notwendige und Naturverträgliche sei das Gebot der Stunde. Für den Güterverkehr auf Wasserstraßen bedeute das kleinere und flachwassergeeignete Schiffe statt immer größerer, für die Wirtschaft den Wegfall der „Just in time-Produktion“, wie sie immer noch üblich sei.
Grundsätzliche Aussagen zum Projekt „Fahrrinnenvertiefung im Rhein” will die GNOR erst treffen, wenn die erforderlichen Umweltprüfungen stattgefunden haben. Gleichwohl befürchtet man, dass mit der Tieferlegung der Gewässersohle der Wasserspiegel um den gleichen Betrag sinkt und zusätzlich das Wasser durch die Bauwerke vom ufernahen Bereich in die Flussmitte verschoben wird, was ja auch Sinn und Zweck dieser Bauten ist. Damit aber sinke der Wasserspiegel in den ufernahen Flachwässern umso stärker, sodass als sicher anzunehmen ist, dass diese deutlich stärker austrocknen und es auch insgesamt weniger Flachwasserzonen gibt. Gerade bei sehr niedrigem Wasserspiegel könne es so zu „ökologisch äußerst brisanten Situationen“ kommen – bis hin zu stehendem Wasser, Fäulnisprozessen und „Umkippen“ mancher Flachwasserbereiche.
Insofern seien die Auswirkungen der geplanten Maßnahmen „auf die Einmündungen der Flüsse und Bäche und die Ufervegetation bedeutend, zudem im Zuge des Klimawandels bekanntlich (...) eine ausgeprägte Sommertrockenheit prognostiziert wird, die ihrerseits und unabhängig von den Baumaßnahmen zu Wasserstandsabsenkungen mit negativer Veränderung von Wasserchemismus und Temperatur führen wird“. Mit dem Projekt Tieferlegung werde sich laut GNOR „die gesamte Flussmorphologie und natürliche Flussdynamik nicht nur verändern, sondern ökologisch nachteilig verschlechtern“. Es drohe eine Verödung und Austrocknung, Baumbestände werden unter den Veränderungen stark leiden, so die GNOR, Brut- und Aufzuchtgebiete der Fischfauna vernichtet und die natürliche Flussdynamik erheblich gestört.
NABU: Wird das Projekt umgesetzt, geht die Vielfalt im Rhein verloren
Ähnlich argumentiert der NABU: Ein weiter zunehmender Anteil des Abflusses werde mit den Maßnahmen in der Fahrrinne gebunden, auf Kosten der Lebensraumfunktion des Stroms. Insbesondere bei Niedrigwasserabflüssen würde das Leben im Rhein noch stärker auf die Fahrrinne beschränkt, Flachwasserbereiche und Nebengerinne, also die flussgebundenen Lebensräume, verstärkt abgekoppelt oder gehen ganz verloren. Die für die Lebensgemeinschaft des Rheins entscheidende Vielfalt nehme weiter ab, weil Laichplätze, Aufwuchshabitate sowie Nahrungs- und Ruhebereiche der Fische verloren gehen. Insofern weisen die aktuellen Pläne zur Vergrößerung der Fahrrinne „auf Kosten des verbleibenden ökologischen Potenzials des Stroms (...) gravierende Mängel auf“.
Um die Schifffahrt auch bei extremen Niedrigwassern auf den 50 Rheinkilometern zwischen Oestrich-Winkel und St. Goar/St. Goarshausen zu gewährleisten, soll der Rhein voraussichtlich bis 2033 an mehreren Stellen ausgebaggert und aufgestaut werden, um die Fahrrinne zu vertiefen.Geplante Rheinvertiefung bei St. Goarshausen: Steigt nun das Hochwasser am Mittelrhein?
Für den BUND sind die geplanten Eingriffe „keinesfalls so gering und schonend wie suggeriert wird“. Wenn Längsbuhnen das Wasser vom Uferrand in die Rheinmitte lenken, könnten die Flachwasserzonen in den Uferbereichen dadurch austrocknen. Sie sind aber wichtige Lebensräume zum Beispiel für die Jungfischentwicklung, Muscheln, Libellen et cetera Es handele sich also um Eingriffe in „wertvolle Lebensräume“. Die Änderung der Fließdynamik an der einen Stelle könne „zu Auswirkungen an ganz anderen Stellen führen. Niemand kann genau vorhersagen, wie sich eine Veränderung des Rheinprofils tatsächlich auf die Gewässerdynamik auswirkt. Betroffen sind dabei FFH-, Vogelschutz- und andere Schutzgebiete, ökologisch wertvolle Kiesflächen, Langdistanzwanderfische und vieles mehr.“
Der BUND erwartet, dass eine detaillierte Beurteilung der Auswirkungen der Baumaßnahmen auf die Fluss- und Auendynamik von kompetenten Büros beziehungsweise Gutachtern mit Expertise in Gewässerökologie und Ortskenntnissen erfolge. Es sei zwingend, dass das Thema „Absinken des Wasserspiegels in den Flachwasserbereichen” und seine Folgen auch unter Berücksichtigung des Klimawandels näher untersucht wird.
BUND: Frage nach dem Bedarf an Ausgleichsmaßnahmen
Im Blick hat der BUND auch die Auswirkungen auf Nebengewässer: Der Zugang zu allen Bächen und kleineren Flüssen müsse zwingend durchgängig gestaltet sein. Bei der Wispermündung etwa seien diesbezüglich zum jetzigen Zeitpunkt Zweifel angebracht. Und bei der sogenannten Nahegrundmodellierung handele es sich „um einen erheblichen Eingriff im Flussdelta der Nahemündung, einem wertvollen Lebensraum für Fische, Amphibien, Muscheln und andere Arten. (...) Das Auffüllen am Nahegrund beeinträchtigt potenziell auch die Lebensraumfunktion der Uferbereiche für rastende und brütende Vogelarten. Wenn Uferbereiche trockenfallen, locke dies zudem Naherholungssuchende an, was mit Störungen für die Vogelwelt in dem Gebiet einherginge.
Wenn die Strömung im Rhein durch Felsabtrag und Bauwerke verändert werden, dann könne dies Auswirkungen auf Lebensräume im Fluss haben und zu „einer massiven Verarmung der Diversität“ führen. Dauerhaft könne dies zu Problemen für heimische Fischhabitate samt Jungfischen, Langdistanzwanderfische wie Lachs, Maifisch, Meerforelle und Meerneunauge sowie Muschelbänke führen. Die Auswirkungen auf die Diversität seien genau zu untersuchen und langfristig zu beobachten, der Bedarf an Ausgleichsmaßnahmen müsse bewertet werden.