Wie der Remagener Priester Stephan Wahl die Angriffe auf Israel von Ostjerusalem aus verfolgt hat
Priester aus Remagen durchlebt iranischen Angriff in Jerusalem: „Das Erleben dieser Nacht hat mich sehr angefasst“
Er lebt und arbeitet seit 2018 in Jerusalem: der katholische Priester Stephan Wahl aus Remagen-Kripp. In seiner Wohnung wurde er nach der Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober 2022 zum zweiten Mal Zeuge eines Angriffs auf Israel
Wahl

Seit 2018 lebt und arbeitet Stephan Wahl als katholischer Priester in Israel. In seiner Wohnung in Ostjerusalem wurde er nach der Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober 2023 zum zweiten Mal Zeuge eines Angriffs auf Israel – diesmal kam die Attacke aus dem Iran. Am Morgen nach dem Angriff berichtete Wahl unserer Zeitung von seinen persönlichen Eindrücken und seiner Hoffnung, dass dieser Konflikt nicht zum Flächenbrand wird.

Gegen 23.30 Uhr deutscher Zeit schreibt Stephan Wahl, katholischer Priester aus Remagen-Kripp (Kreis Ahrweiler), auf seiner Facebook-Seite: „Vor einer Stunde hat der iranische Angriff begonnen. In circa 1,5 Stunden werden anscheinend Hunderte Drohnen plus Missiles das Land erreichen. Aus dem Jemen sind auch Missiles unterwegs, und an der Nordgrenze gibt es wieder Alarm (Hisbollah). Ich denke, hier in Ostjerusalem bin ich sicher, schlafen werde ich aber sicher nicht. Dieser verdammte Krieg eskaliert!“

Stephan Wahl konnte nicht schlafen. Am Morgen nach dem iranischen Angriff auf Israel antwortet der Geistliche auf die Interviewanfrage unserer Zeitung: „Ich muss mich noch ein bisschen berappeln und vielleicht etwas Schlaf nachholen.“ Wenig später erzählt der 63-Jährige, der seit 2018 in Ostjerusalem lebt und den 7. Oktober dort miterlebt hat, von den Angriffen der Nacht und den Folgen.

Wahl war nach 2018 zunächst drei Jahre Leiter des Paulus-Hauses, dem Gästehaus des Deutschen Vereins vom Heiligen Land, um sich danach im Auftrag von Bischof Stephan Ackermann um deutsche Pilger zu kümmern, auch um als gelernter Journalist und Poet zu schreiben. Das sind seine Eindrücke der Nacht:

Wie haben Sie die Nacht erlebt?

Es gab eine Vorwarnung der deutschen Botschaft, nach der mit einem baldigen Angriff der Iraner zu rechnen sei. Als dann am späten Abend die Bestätigung kam, dass tatsächlich Hunderte Drohnen und Missiles im Iran gestartet wurden, war es mit der Nachtruhe vorbei. Ich bin aufgeblieben und habe den Liveticker der israelischen Zeitung „Haaretz“ verfolgt. Angespannte Unruhe, auch wenn mir bewusst war, dass ich in Shu’afat, dem palästinensischen Stadtteil von Ostjerusalem, sicher war, der sicherlich nicht angegriffen würde.

Gefährliches Lichterspiel am Nachthimmel: Das Bild von Stephan Wahl aus der Nacht des iranischen Angriffs auf Israel zeigt, wie die Drohnen und Raketen aus dem Iran über Israel abgefangen wurden.
Stephan Wahl

Was haben Sie gesehen?

Als dann die Sirenen aufheulten und ich auch von meiner Wohnung aus den Angriff auf den Westteil der Stadt und die Abfangszenen beobachten konnte, war ich doch überrascht, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass Jerusalem angegriffen würde. Das so harmlos aussehende aber so brandgefährliche „Lichtspektakel“ am Himmel über der Stadt kam mir fast unwirklich vor. Ich ahnte, dass Freunde und Bekannte in Westjerusalem jetzt wohl in die Safetyrooms rennen würden. Hier in Ostjerusalem gibt es keine solchen Schutzräume. Ich bin einfach in meiner Wohnung geblieben und habe abgewartet.

Wie haben Ihre Nachbarn reagiert?

In der Nacht habe ich mit keinem Nachbarn gesprochen, sah aber, dass einige Leute auf die Straße liefen oder auf ihre Dächer, um das Geschehen zu beobachten. Wie gesagt, hier in Ostjerusalem fühlte man sich sicher.

Ein halbes Jahr nach der Hamas-Terrorattacke ist Israel wieder angegriffen worden. Wie reagieren die Menschen darauf?

Das kann man sich wohl denken, auch wenn die Menschen hier vieles gewöhnt sind. Selbst wenn damit ja zu rechnen war, ist es auf der einen Seite entlastend, dass im Vergleich zum 7. Oktober keine Todesopfer zu beklagen sind. Auf der anderen Seite belastet die Tatsache, dass der Iran zum ersten Mal Israel direkt angegriffen hat.

Auch wenn mir das als Dauergast vielleicht nicht zusteht, das zu sagen, aber: Das Land ist in völlig falschen Händen.

Stephan Wahl, katholischer Priester aus Remagen-Kripp, über die Regierung Netanjahu

Was macht das mit dem Land?

Das kann ich so kurz danach schlecht einschätzen. Die Reaktion bei den Palästinensern wird anders sein als bei den Israelis. Es gab und gibt aber auch deutliche Stimmen in Israel, die den Auslöser dieses Angriffs, die Liquidierung der iranischen Generäle in Damaskus, für eine völlig falsche und in dieser prekären Kriegssituation unnötig verheerende Entscheidung halten.

99 Prozent aller aus dem Iran abgeschossenen Raketen und ausgesendeten Drohnen konnten über Israel zerstört werden. Es gab keine Todesopfer.
Stephan Wahl

Ich kann auch nicht begreifen, dass die Entscheider sich dieser Gefahr nicht bewusst waren, und ich möchte nicht annehmen, dass Netanjahu und Co. dies alles in Kauf genommen, wenn nicht sogar provoziert haben. Ich hoffe, dass der innenpolitische Druck auf die Israel massiv schadende Regierung mit ihrem vornehmlich nur am persönlichen Machterhalt interessierten Regierungschef wächst. Auch wenn mir das als Dauergast vielleicht nicht zusteht, das zu sagen, aber: Das Land ist in völlig falschen Händen.

Wie haben Sie den erneuten Angriff persönlich verarbeitet? Wollen Sie wie nach dem Terrorangriff am 7. Oktober wieder einen Psalm über das Erlebte schreiben?

Das Erleben dieser Nacht hat mich schon sehr angefasst, und ich werde wohl wie viele erst mal etwas Schlaf nachholen. Ich werde sicher schreiben, so wie ich versuche, alles, was mich bewegt, in Worte zu fassen – oder es zumindest probieren. Ob ein neuer Psalm ansteht wie am 7. Oktober, weiß ich noch nicht. Diese letzte Nacht hat das Gefühl der Hilflosigkeit natürlich noch einmal verstärkt.

Aber auch so ist für mich die tägliche Gewissheit, dass ich hier in Ostjerusalem weitgehend sicher und ungestört lebe und einen fast normalen Alltag habe. Doch nur 90 Kilometer Luftlinie entfernt wird seit Monaten gelitten und gestorben. Das ist schrecklich und zerreißend. Ich war vor drei Wochen im Grenzgebiet zu Gaza. Die ganze schreckliche Dramatik des Konfliktes ist mir in die Knochen gefahren, als ich Orte des Massakers vom 7. Oktober besuchte – wie das Festivalgelände Re’im – und an anderen betroffenen Orten israelische Überlebende vom Grauen erzählten.

Gleichzeitig bekam ich Qualmwolken über Gaza und das Gedröhne der Panzergranaten mit. Und weiterhin gibt es Hisbollah-Raketen an der libanesischen Grenze – auch heute Morgen –, und die Lage in der Westbank ist alles andere als entspannt.

Deutschland bleibt natürlich meine Heimat, aber zu Hause bin ich immer da, wo ich gerade bin. Und das ist jetzt dieses Unheilig-Heilige Land, in dem ich immer noch gern morgens aufwache. Trotz allem. Trotz allem.

Stephan Wahl, katholischer Priester aus Remagen-Kripp, will auch nach dem iranischen Angriff auf Israel in Ostjerusalem bleiben.

Womit rechnen Sie jetzt? Was bedeutet diese weitere Eskalation des Nahostkonfliktes für Israel?

Ich hoffe erst einmal, dass sich die Antwort des israelischen Militärs in Grenzen hält und diese Nacht nicht der Beginn eines noch schlimmeren Kapitels wird. Davon wird viel abhängen. Ich hoffe, dass sich die Besonneneren gegen die Revanchefalken durchsetzen. Aber die Situation ist weiterhin unklar und höchst gefährlich. Bemerkenswert ist, dass Jordanien sich trotz der deutlichen Warnung der iranischen Despoten, am Abfangen der Drohnen und Missiles beteiligt hat und damit für die anderen arabischen „Nachbarn“ ein Zeichen gesetzt hat.

Werden Sie in Israel bleiben?

Natürlich. Ich kann nicht in guten Tagen hier munter leben und, wenn’s schwierig wird, mich nach Deutschland zurückziehen. Da hat sich seit dem 7. Oktober bei mir nichts geändert. Deutschland bleibt natürlich meine Heimat, aber zu Hause bin ich immer da, wo ich gerade bin. Und das ist jetzt dieses Unheilig-Heilige Land, in dem ich immer noch gern morgens aufwache. Trotz allem. Trotz allem.

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