"Viele Verfahren erledigten sich ohne Urteil, weil die Senate in der mündlichen Verhandlung den Behörden deutliche Hinweise geben konnten, dass eine Genehmigung erteilt werden muss“, stellt der höchste Richter des Landes fest. Um nicht dazu verurteilt zu werden, lenkten Beamte ein. Also: In 2022 wurde kein einziges Windkraftprojekt durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren verzögert. Und die Nachbarklage war ein Eilverfahren und ebenfalls nicht erfolgreich, so Prof. Brocker.
Kompetenzen bündeln
Um Genehmigungen zu beschleunigen, „muss der Korken bei den Behörden gezogen werden“, folgert Prof. Brocker. Deshalb sei es gut, dass Klimaschutzministerin Katrin Eder (Grüne) die Prozesse bei den Struktur- und Genehmigungsdirektionen konzentrieren will. Die Justiz habe beste Erfahrungen damit gemacht, Asylverfahren am Verwaltungsgericht Trier zu konzentrieren, um Kompetenz zu bündeln.
Während ein Windpark in drei bis sechs Monaten entstehen kann, dauert die Phase von der Planung bis zur Genehmigung durchschnittlich vier bis fünf Jahre, teilt das Mainzer Umweltministerium mit und beruft sich dabei auf Angaben des Bundesverbands Windenergie. Dass der Ausbau von erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben muss, ist inzwischen nicht nur gesellschaftlicher Konsens, „sondern auch ein verfassungsrechtlicher Auftrag, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat“, betont Brocker.
Denn Karlsruhe habe nach der aufrüttelnden Entscheidung vom April 2021 noch einmal in einem im September 2022 gefassten Beschluss klargestellt: Ausbau und Nutzung der Windkraft leiste „einen faktisch unverzichtbaren Betrag zur verfassungsrechtlich gebotenen Begrenzung des Klimawandels und sichert zugleich die Energieversorgung“. Damit kippte das Bundesverfassungsgericht das Thüringer Waldgesetz, das Windräder im Forst generell und überall verbieten wollte – „auch dort, wo nach Stürmen keine Bäume mehr stehen“, so der OVG-Präsident.
Nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben müssten also die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, betont Brocker. Das sei „keine politische Beliebigkeit“. Allerdings wehrt sich der Koblenzer OVG-Präsident gegen bundespolitische Forderungen, bei den Oberverwaltungsgerichten (bereits Erstinstanz für Windräder ab einer Höhe von 50 Metern) spezielle Infrastruktursenate wie in Baden-Württemberg einzurichten. Denn dies stelle mittelgroße OVGs wie Koblenz (25 Richter) vor personelle Probleme. Zusätzliches Personal (ein Senat mit drei Richtern) sei dann erforderlich. Aus der Sicht von Prof. Brocker aber ohne Not. Denn für die beiden Koblenzer Planungssenate „haben Infrastrukturprojekte wegen ihrer Bedeutung für das Gemeinwesen immer Priorität“.
Die Verfahren würden in Rheinland-Pfalz auch deutlich kürzer erledigt als in anderen Bundesländern. „Jedes dieser erstinstanzlichen Verfahren, das länger als zehn Monate dauert, gilt als alt.“ In der Regel werde diese Vorgabe eingehalten. Im Durchschnitt sei man sogar immer noch deutlich schneller. Dabei lehnt Prof. Brocker es aber ab, bei zeitlichen Prioritäten „zwischen guter und böser Infrastruktur“ zu unterscheiden. Damit erteilt er politischen Forderungen eine klare Absage, über Energieprojekte schnell zu verhandeln und Straßenprojekte dabei eher liegen zu lassen. Dieser politischen Vorgaben für Gerichte bedürfe es nicht.
Pro Widerspruchsverfahren
Noch eine Entwicklung sieht er kritisch: In Baden-Württemberg will die grün-schwarze Koalition das Recht auf Widerspruch bei der Genehmigung von Windrädern größtenteils abschaffen, um den Rückstand beim Ausbau der Windkraft aufzuholen. Davor kann der OVG-Präsident „nur dringend warnen“. Denn Behörden könnten in Genehmigungsverfahren noch nachsteuern und einen Konsens schaffen. Gerichte hätten aber keinen Ermessensspielraum, sondern „müssen allein die Rechtmäßigkeit kontrollieren“.
Ohne Widerspruchsverfahren könnten Genehmigungen eher länger dauern. Deshalb hält es Prof. Brocker nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für elementar wichtig, die Spielräume bei Genehmigungsprozessen zu nutzen, damit der Ausbau der Windkraft beschleunigt wird. Klimaschutz und Energieversorgung könnten angesichts der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung von den Behörden jedenfalls noch stärker als bisher „pro Windkraft“ in die Abwägung eingestellt werden, betont der höchste Richter des Landes in Koblenz.
Zahlen und Fakten zu erneuerbarer Energie im Land
Beim Ausbau der Windkraft herrscht auch in Rheinland-Pfalz ziemliche Flaute, wie Zahlen aus dem Mainzer Klima- und Umweltministerium zeigen: Im ersten Halbjahr 2022 gingen elf Windkraftanlagen mit einer Leistung von 42 Megawatt (MW) neu ans Netz. Fürs zweite Halbjahr 2022 kann das Ministerium, das sich auf die Fachagentur Windenergie beruft, nur eine Prognose nennen: Der mögliche Zubau beträgt demnach 15 bis 20 Anlagen mit einer Leistung von 60 bis 80 MW. Im ganzen Jahr 2021 gingen 16 Anlagen (68,6 MW) ans Netz. Mit 1 MW könnte man um die 1000 Mittagessen für vier Personen auf dem Elektroherd kochen, so das Ministerium.
Der Anteil der Windkraft beim Bruttostromverbrauch im Land lag 2020 bei 7,605 Milliarden kWh (Kilowattstunden) oder 26,7 Prozent. Der gesamte Anteil der Erneuerbaren Energien lag bei 11,756 Milliarden kWh oder 41,3 Prozent. Neuere Zahlen als von 2020 kann das Ministerium nicht nennen.
Geplant seien derzeit 65 Windkraftprojekte (264,6 MW). Beantragt, aber noch nicht genehmigt sind demnach 231 Anlagen (1042,8 MW). Genehmigt, offenbar aber noch nicht am Netz sind 99 Anlagen (374,8 MW).
Zu den Faktoren, die den Zubau verlangsamen, zählen – so Ministeriumssprecher Dietmar Brück – die Dauer des Planungsprozesses, Akzeptanzprobleme, schwierige Standortsuche, Finanzierungsfragen, Lieferkettenprobleme, Material- und Fachkräftemangel, aber auch Artenschutzgründe. „Klima- und Artenkrise müssen gemeinsam bewältigt werden“, betont er. Im neuen Kompetenzzentrum Staatliche Vogelschutzwarte und Artenvielfalt in der Energiewende (KSVAE) werde daher Fachkompetenz für „Energiewende“ und „Artenschutz“ organisatorisch zusammengeführt. In dem beim Landesamt für Umwelt angesiedelten Zentrum sollen auf Fachebene im Vorfeld mögliche Konfliktfelder identifiziert, analysiert und Lösungen aufgezeigt werden, wie er berichtet. Das könne zum beschleunigten Ausbau bei Wahrung des Artenschutzes führen.
Bei der Solarenergie wurden 2021 wurden 13 633 Anlagen neu installiert (Leistung: 266 MW), so das Ministerium. Im ersten Halbjahr 2022 kamen 8847 PV-Anlagen (171 MW) hinzu. Daher werde mit „deutlichen Zuwachs“ gerechnet. Zudem werden Fotovoltaik Anlagen 2023 für alle gewerblichen Neubauten und gewerbezugehörige Parkplätze (ab 50 Stellplätze) Pflicht.
Der Verband für Wirtschaft und Umwelt und der Verband der Solarenergie machen eine andere Rechnung auf: „Rund 20 000 Solaranlagen mit einer Leistung von etwa 300 Megawatt wurden nach der Statistik der Bundesnetzagentur im Marktstammdatenregister in Rheinland-Pfalz im Jahr 2022 (Stand 22. Dezember 2022) zugebaut. Zu wenig“, um bis 2040 eine klimaneutrale Energieversorgung in Rheinland-Pfalz zu erreichen, heißt es in der Kritik. Selbst das zu geringe Ziel der Landesregierung mit jährlichen Zubauraten von 500 Megawatt Solarleistung sei ähnlich wie 2021 verfehlt worden.
Biogas: Ende 2021 waren in Rheinland-Pfalz etwa 216 Biogasanlagen in am Netz, 185 Anlagen im Bereich der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord und 31 Anlagen im Bereich der SGD Süd. Einbezogen sind Anlagen, die auch Abfall verwerten. Für 2022 liegen dem Mainzer Ministerium noch keine Daten vor. Der Bundesverband Biogas gehe in seiner Prognose für 2022 bundesweit von einem leichten Anstieg der Zahl der Anlagen von 9979 in 2021 auf 9875 aus. us