Mainz
Naturschutz-Experte: Die Energiewende läuft aus dem Ruder

Harry Neumann

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Mainz - In einer einmaligen Protestaktion haben sich alle zehn anerkannten Naturschutzverbände im Land zu einer gemeinsamen Erklärung gegen die Energiepolitik der Landesregierung bekannt. Harry Neumann vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erläutert die Hintergründe im Interview mit der Rhein-Zeitung.

Mainz – In einer einmaligen Protestaktion haben sich alle zehn anerkannten Naturschutzverbände im Land zu einer gemeinsamen Erklärung gegen die Energiepolitik der Landesregierung bekannt. Harry Neumann vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erläutert die Hintergründe im Interview mit der Rhein-Zeitung.

Herr Neumann, schießt die Landesregierung mit ihrer Energiepolitik übers Ziel hinaus?

Sie schießt deutlich über das Ziel hinaus, weil sie mehr als 90 Prozent der Landesfläche für die Windkraft freigibt. Wir brauchen nur 2 Prozent der Landesfläche, um die Energiewende zu schaffen. Rot-Grün gibt die ökologischen Juwelen des Landes preis, beispielsweise die höchst schützenswerten Natura-2000-Gebiete, die europaweit als Schutzgebiet festgelegt sind. Diese müssen aus Gründen des Natur- und Artenschutzes freigehalten werden, das machen übrigens auch andere Bundesländer wie Brandenburg, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein.

Was sind Beispiele für diese Kronjuwelen?

Der Pfälzer Wald beispielsweise ist das größte zusammenhängende Waldgebiet in Deutschland, der Giebelwald im Altenkirchener Land ist ein altes, kostbares und vielfältiges Waldgebiet. Weitere Beispiele sind der Stegskopf als besondere Schutzzone im Westerwald oder auch die Montabaurer Höhe. Auch die ans Moseltal angrenzenden dichten Waldgebiete gehören für mich zur Schutzzone.

Es scheint, als wolle die Landesregierung lediglich die touristischen Zonen wie das Ahrtal, die Mosel sowie das durch den Unesco-Vertrag explizit geschützte Mittelrheintal ausklammern.

Nennen wir die Gründe dafür einmal opportun. Es hat auf jeden Fall nichts mit Naturschutz zu tun, dass diese Räume windkraftfrei bleiben. In zehn Jahren wird es in Rheinland-Pfalz keine Möglichkeit mehr geben, in die Weite zu schauen. Das hat auch etwas mit Kulturverlust zu tun, wenn diese Möglichkeit genommen wird, in die Weite zu blicken. Eine Energiewende, die das zerstört, was sie schützen will, nämlich die Natur, ist keine Energiewende.

Der Fraktionschef der Grünen im Landtag, Daniel Köbler, unterstellt den Umweltverbänden, dass sie auf der „falschen Fährte“ sind.

Wir sind ganz sicher, dass sich Herr Köbler mit seiner Fraktion verrannt hat. Er sollte mit seiner Fraktion nach naturverträglichen Wegen suchen und auf die Naturschutzverbände zugehen. Wir sind zu LEP IV nicht befragt worden, ich denke, es wäre dringend Zeit, auf die Umweltverbände zuzugehen. Die Grünen sollten vielleicht auch einmal darüber nachdenken, dass ihr Wählerpotenzial aus den Naturschutzverbänden kommt.

Mainz macht die falsche Politik?

Mainz macht in diesem Bereich gar keine Politik. Politik setzt in diesem Fall ein gesteuertes und planvolles Handeln voraus. Das findet aber nicht statt, ganz im Gegenteil. Man überlässt alles den Kommunen, die verständlicherweise ihre Haushalte im Blick haben. Das hat mit Goldgräberstimmung zu tun, aber nichts mit Energiewende. Die Grünen scheinen nicht mehr zu wissen, dass die Welt insgesamt schützenswert ist. Es geht dabei nicht nur um das Klima, sondern vor allem auch um den Arten- und den Naturschutz. Wir sind keine wilden Romantiker, aber es ist klar erkennbar, dass bei der Energiewende alles aus dem Ruder läuft. Was in Rheinland-Pfalz zurzeit passiert, ist ein einmaliger Vorgang, der mit Bürgernähe nichts zu tun hat und mit Umweltschutz schon gar nichts. Kein Mensch spricht bei der Energiewende zum Beispiel über das größte Energiepotenzial – nämlich über die Energie, die eingespart werden kann. Es geht nur um Wachstum ohne Grenzen. Grün ist daran gar nichts.

Die Kommunen können die Energiewende allein nicht stemmen?

Nein, die Energiewende wird für die kommunale Autonomie zu einer viel zu großen Herausforderung. Da muss eine übergeordnete Planung her.

Erstmals seit vielen Jahren scheinen sich die Umweltverbände im Land in dieser Frage einig zu sein.

Die Eingriffe in die Natur und Landschaft sind so gewaltig durch die rot-grüne Landesregierung, dass wir hier große Übereinstimmung in allen Verbänden haben, dass etwas unternommen werden muss. Die FDP ist in diesem Zusammenhang im Moment die einzige Partei im Land, die sich zum Naturschützer aufschwingt. Sie wirkt allerdings wie ein Wendehals, denn sie hat ja die Atompolitik am längsten unterstützt.

Welche Schutzräume sehen Sie im Moment noch für die Natur?

Bei dieser Politik haben wir so gut wie keine mehr. Die Naturschutzgebiete machen nicht einmal 2 Prozent der Landesfläche aus, dazu käme zwar noch der Nationalpark, der ist aber noch nicht da. Darüber hinaus bleiben nur noch sehr wenige Rückzugsmöglichkeiten. Das ist ein Lebensraumverlust, der dem Naturschutzgesetz ganz eindeutig widerspricht.

Diskutiert wird immer um den Vogelschutz – wie bewerten Sie dieses Thema?

Allein zur Fledermaus könnten wir einen Abend lang diskutieren. Es fängt dabei an, dass von Abschalt-Algorithmen die Rede ist an den Windrädern, sobald sich Fledermäuse nähern. Dabei ist weithin bekannt, dass die Messgeräte für Fledermäuse an den Gondeln der Windräder nur eine Reichweite von 45 Metern haben. Die Rotoren sind aber bis zu 80 Meter lang. Bis die Messgeräte anschlagen, sind die Fledermäuse längst getötet. Außerdem platzen durch den entstehenden Unterdruck die Lungenbläschen der Fledermäuse. Pro Jahr werden in Deutschland 220 000 Fledermäuse durch Windräder getötet, davon etwa 12 000 in Rheinland-Pfalz. Das Tötungsrisiko für Rotmilan und Schwarzstorch ist extrem hoch, zudem wird immer häufiger beobachtet, wie sich das Zugverhalten beispielsweise von Kranichen verändert. Für viele Vögel geht der Lebensraum verloren. Deshalb sind für uns die Waldgebiete auch absolut tabu.

Trotzdem gibt es Windräder im Soonwald, der einmal Nationalpark werden sollte.

Das ist absolut absurd. Ich würde mir von Umweltministerin Ulrike Höfken hier eine stärkere Betonung des Natur- und Artenschutzes wünschen. Wir haben außerhalb der Wälder genügend Flächen für Windkraftanlagen.

Das Gespräch führte Volker Boch

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