Hinterbliebene der Ahrtal-Katastrophe machen nach der Einstellung des Verfahrens durch die Koblenzer Staatsanwaltschaft weiter öffentlich Druck, um irgendwie doch noch einen Prozess gegen Ex-Ahrtal-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) erzwingen zu können. Die Rede ist dabei besonders von Ralph und Inka Orth, deren Tochter Johanna (22) der Flut zum Opfer gefallen war sowie von Werner Michael Minwegen, der seine Eltern verloren hatte. Rechtlich vertreten werden die drei Hinterbliebenen von Rechtsanwalt Christian Hecken. Und der Koblenzer Verteidiger war am Montag (3. Juni) bei einer dritten von ihm und seinen Mandanten ausgerichteten Pressekonferenz einmal mehr nicht um harte Worte für die Staatsanwaltschaft verlegen. Zudem erklärte Hecken, dass seine Mandaten inzwischen auch am Verwaltungsgericht Mainz Klage gegen Justizminister Herbert Mertin (FDP) erhoben haben.
Was Hecken und seine Mandanten fordern
Vorab ein kurzer Rückblick: In den Augen von Hecken und seinen Mandanten waren die ermittelnden Koblenzer Staatsanwälte befangen. Das Verhalten und Vorgehen der Staatsanwaltschaft nannte Hecken am Montag ein „Paradebeispiel für Befangenheit“. Er prangerte diesbezüglich unter anderem an, dass ihm und den Hinterbliebenen 3500 Seiten Akten „bewusst vorenthalten“ worden seien. Der Anwalt sagte in Folge mehrfach, dass die „größte Vertuschungskampagne in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ zu befürchten sei.
Justizminister Mertin hätte laut dem Koblenzer Verteidiger die ermittelnden Staatsanwälte aus vielerlei Gründen austauschen müssen. Der rheinland-pfälzische Justiz-Chef, behauptet Hecken, habe sich indes aus der Verantwortung gezogen. Hecken fordert im Namen seiner Mandanten die Entlassung des Justizministers.
Brief an Malu Dreyer und „Mahnfahrt“ nach Mainz
Dieser Forderung hatten seine Mandanten bei einer „Mahnfahrt“ nach Mainz Ende April eindrucksvoll Nachdruck verliehen. Auf einem Personenschiff, das in Remagen abgelegt hatte, waren damals 135 figürliche Skulpturen eines Bildhauers und Aktionskünstlers platziert worden, die als Symbol für die während der Ahrtal-Katastrophe zu Tode gekommenen Menschen stehen sollten. In der Landeshauptstadt wurde dann ein Brief für Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) eingeworfen, darin die Forderung, dass Mertin entlassen werden müsse.
Sowohl Hecken als auch Ralph Orth gaben während der Pressekonferenz an, das Gefühl zu haben, dass Dreyer mit Blick auf die Anliegen der Hinterbliebenen nicht ausreichend im Bilde zu sein scheine. Man habe zwar einen Brief aus der Staatskanzlei erhalten – im Auftrag Dreyers – aber dieser sei ernüchternd gewesen, hieß es.
Klage gegen Mertin am Verwaltungsgericht Mainz
Die Eheleute Orth haben nun am Verwaltungsgericht Mainz Klage gegen Justizminister Mertin erhoben – wegen Untätigkeit, sagt Hecken. Laut dem Koblenzer Anwalt müssten in Mainz jetzt die Frage nach einer etwaigen Befangenheit der Ermittler und weshalb sie nicht durch Mertin ausgetauscht wurden, gerichtlich beleuchtet werden, erläuterte der Jurist sinngemäß.
„Paradebeispiel für Befangenheit“
Nach Ansicht Heckens sei die Staatsanwaltschaft Koblenz rechtlich dazu verpflichtet, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Begründung: Die Behörde müsse stets die Entwicklungen zu der ihr anvertrauten Materie beobachten – und inzwischen hätten zahlreiche Experten ausgesagt, dass die Begründung der Staatsanwaltschaft falsch sei, behauptet Hecken.
Laut dem Koblenzer Anwalt habe die Staatsanwaltschaft in ihren Erläuterungen zur Verfahrenseinstellung „Klamaukbegründungen“ geliefert. Ein Staatsanwalt, so Hecken, müsse die Dinge stets so erklären und begründen, dass sie für die Menschen nachvollziehbar und verständlich seien. In dieser Hinsicht habe die Staatsanwaltschaft „komplett versagt“, unterstrich Hecken.
Hinterbliebener hält Begründung der Staatsanwaltschaft für nicht nachvollziehbar
Werner Michael Minwegen, der seine Eltern in der Flut verloren hatte, beantwortete während der Pressekonferenz Fragen von Journalisten. Er sagte, dass sich immer mehr der Verdacht bestätige, dass mit Blick auf die Einstellung des Verfahrens durch die Koblenzer Staatsanwaltschaft „nicht alles mit rechten Dingen“ zugehe. Die Begründung der Behörde sei nicht nachvollziehbar, laut Minwegen hätte ein unabhängiger, neutraler Richter die Chance verdient gehabt, die Ahr-Causa gerichtlich aufzuarbeiten.
Fast 48 000 Euro auf Spendenkonto eingezahlt
Das Ehepaar Orth seinerseits hatte nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Koblenz auf der Plattform „GoFundMe“ eine Spendenkampagne gestartet, um weitere rechtliche Schritte finanzieren zu können (wir berichteten). Stand jetzt sind beinahe 48 000 Euro auf das Konto eingezahlt worden. Fast 1000 Spender aus nah und fern, so Ralph Orth auf Rückfrage unserer Zeitung, hätten sich bis dato solidarisch gezeigt und Gelder eingezahlt. „Sehr ermutigend“, sagte Orth. Er betonte auch, dass man auf weitere Spenden hoffe, da die angedachten rechtlichen Maßnahmen sehr ins Geld gingen.
Mahnwache in Hannover
Die Hinterbliebenen haben ferner eine weitere Mahnwache in Aussicht gestellt. Dieses Mal gehe die Reise nicht nach Mainz – sondern nach Hannover. Bei der dieswöchigen 95. Konferenz der Justizminister wolle man diese dazu auffordern, sich dem Fall der Aufarbeitung der Flutkatastrophe noch einmal anzunehmen, hieß es. Auch die 135 Skulpturen sollen wieder mit dabei sein.