Meinung zu Anschlag in München
Mitwirkung verweigert 
Lars Hennemann
Jens Weber. MRV

Das Entsetzen ist groß, aber die Debatte um Lösungen in der Migrationsfrage muss auch nach München unter allen Umständen sachlich bleiben. Sowohl verbale Zündeleien als auch das Nichtanerkennen eigener Fehler helfen nur den Feinden der Demokratie.

Auch gestandene Journalisten stellen sich mittlerweile beim Verfolgen des Nachrichtenflusses nur noch eine Frage: Was denn noch alles? Was ist nur los in diesem Land? Und kann die Aufarbeitung überhaupt noch nicht nur in politischen Schlagabtausch mit knalligen Sätzen, sondern in echte, umsetzbare Lösungen münden? Letztere sind zumindest aktuell nicht in Sicht.

Unser Mitgefühl gilt den Opfern und denen, die die neuerliche Gräueltat zwar unverletzt überstanden haben, aber miterleben mussten. Spurensuche und Aufarbeitung haben begonnen. Eines der wirklich unseligsten Worte, die man von Politikern jedweder Couleur dabei nach Mannheim (der Prozess dazu begann übrigens fast zeitgleich zu München), Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg hörte und auch jetzt wieder hört, ist das des „Vollzugsdefizits“. Man hört es seit Jahren, vorzugsweise dann, wenn sich ein Vorfall auf dem Gebiet des politischen Gegners zugetragen hat oder wenn dieser Gegner gerade im Bund regiert.

Das Schwadronieren vom Vollzugsdefizit

In der an Aufregungen und Tabubrüchen weiß Gott nicht armen Migrationsdebatte ist dieser Begriff so ziemlich der zynischste. Wo genau beginnt denn die Verantwortung für dieses Defizit? Soll ein Amtsleiter, eine Landrätin, eine Staatsanwältin oder ein Polizeipräsident ausreisepflichtige Asylbewerber persönlich über die Grenze tragen? Nachdem zuvor seine oder ihre Ämter, Sprachkurse, Sozialkassen, Mietwohnungen, Jobbörsen, Kolleginnen und Kollegen und vieles mehr seit Jahren aufs Allerdeutlichste überfordert worden sind? Wenn die genannten Funktionsträger und Funktionsträgerinnen und alle, die sie aus Wirtschaft und Gesellschaft haupt- oder ehrenamtlich unterstützen, nicht bis in die Knochen loyal zu unserem Gemeinwesen wären - sie wären es, die jetzt und immer, wenn jemand vom Vollzugsdefizit schwadroniert, demonstrierend auf die Straße gehen müssten. Um sich solches jede Realität vernebelndes, menschenverachtendes Reinewasch-Dummsprech ein für alle Mal zu verbitten.

Zunehmend eintretende Ohnmacht

Wir müssen aber nun trotz allen Entsetzens erneut aufpassen. Pauschalisieren verbietet sich auch jetzt. Beileibe nicht jeder, der zu uns kommt, ist ein Gefährder. Im Gegenteil. Aber jeder, der auch nur den Hauch einer Ahnung von Zahlen hat, der weiß auch, dass der Kontrollverlust an unseren Grenzen nicht nur die Idee der Integration immer weiter ad absurdum führt, sondern zudem schon rein statistisch immer weiter vermehrte Risiken nach sich zieht. Auch das der totalen Überlastung des Staatsapparates.

An die Politikerinnen und Politiker - zumindest an diejenigen, die willens und imstande sein sollten, solche Botschaften zu hören - ist nun der dringende Appell zu richten, bis zur Wahl in wenigen Tagen zwar klar, aber dennoch besonnen zu bleiben. Und nicht einfach nur zu zündeln. Das Migrationsthema ist mittlerweile so groß, dass es nur langsam und gemeinschaftlich über die üblichen Lager hinweg zu lösen sein wird. Wer sich dem verweigert, dem gebührt die Zuschreibung eines anderen Wortes, das wohl auch nur das deutsche Formularwesen erfinden kann. Wir mussten es kürzlich lernen, als ein ebenfalls aus Afghanistan stammender Ausreisepflichtiger die Gemeinde Windesheim im Kreis Bad Kreuznach in Unruhe versetzt hatte: Mitwirkungsverweigerer. Zumindest beim Benamen seiner zunehmend eintretenden Ohnmacht hat dieser Staat noch kein Vollzugsdefizit.

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