Kreis Ahrweiler
Mit verheerender Wucht: In den Hochwassergebieten an der Ahr haben sich dramatische Szenen abgespielt
dpa

Die Wassermassen wälzen sich durch die Straßen, ganze Orte versinken in braunen Fluten. Es sind unfassbare Bilder und Szenen, die sich in der Eifel im Norden von Rheinland-Pfalz abspielen. Das, was die meisten in Deutschland bislang nur aus weiter Ferne kannten, ist plötzlich ganz nah. Allein im Kreis Ahrweiler sterben Dutzende Menschen bei der Hochwasserkatastrophe. Dutzende werden vermisst. Mehrere Häuser sind eingestürzt, viele instabil. Menschen fliehen in Not auf ihre Hausdächer und warten auf Rettung.

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Als Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Landtag in Mainz das Wort ergreift, wird deutlich, welche Katastrophe sich ereignet hat – und noch ereignet. „Es gibt Tote, es gibt Vermisste, es gibt viele, die noch in Gefahr sind“, sagt die SPD-Politikerin. „Es ist wirklich verheerend.“ Ganze Orte seien überflutet, Häuser einfach weggeschwemmt worden. Weitere Gebäude sind einsturzgefährdet.

Polizeihubschrauber sind unterwegs, um Menschen von Dächern zu retten. Was die Vermissten betrifft, sagt Dreyer, sei es unklar, ob sie sich selbst retten konnten. Sie zu erreichen, sei schwierig, da das Mobilfunknetz ausgefallen sei. Am Nachmittag macht sie sich in Bad Neuenahr-Ahrweiler selbst ein Bild von der Katastrophale. Der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, spricht da von der „größten Katastrophe im Kreis Ahrweiler seit dem Zweiten Weltkrieg“.

Besonders den kleinen Eifelort Schuld trifft es schwer, er ist verwüstet. Doch auch im Weinort Dernau stehen Straßenzüge komplett unter Wasser. Wie Insel ragten einzelne Häuser aus den Fluten. Der Ort war wie viele andere im Ahrtal von der Kommunikation abgeschnitten.

In Bad Neuenahr-Ahrweiler berichtet Rene Pfennig, dass er in der Nacht gegen 1.30 Uhr unterwegs war, als plötzlich Kanaldeckel von Wasser hochgedrückt wurden. Er rennt nach Hause. Sein Haus liegt etwas oberhalb und ist vom Hochwasser nicht weiter betroffen. Andere in seiner Familie hatten weniger Glück. „Mein Vater hat sein ganzes Haus verloren“, berichtet Pfennig. Er habe sich aber in Sicherheit bringen können.

„Da war ein Rauschen“

In der Nacht war plötzlich der Strom weg, berichtet Brigitte Linnertz von dem Moment, als die Flut kam. „Auf einmal war da ein Rauschen, als wenn ein Düsenjäger landet.“ Sie sah vor ihrer Eingangstür die Wassermassen kommen und flüchtete mit ihrem Mann schnell aus dem Haus. „Wenn du mal eingeschlossen bist, kommst du nicht mehr raus“, sagt sie.

Zurück kann sie nicht – das Hochwasser habe fast alles zerstört, die frisch eingerichtete Küche, das neue Schlafzimmer. „Das ist ein einziges Desaster“, sagt die Frau. „Ich kann alles wegwerfen, fast alles.“ Am Nachmittag wartet sie noch mit ihrem Mann auf Hilfe, wo sie die folgende Nacht verbringen soll, ist noch unklar.

Allein in der Verbandsgemeinde Adenau suchen Hunderte Einsatzkräfte und mehrere Hubschrauber weiter nach Vermissten. Ob sie nur nicht erreichbar sind – das Mobilfunknetz war ja schwer gestört – bei Nachbarn oder Freunden untergekommen sind, womöglich im Urlaub sind oder von den Fluten mitgerissen wurden, ist unklar.

Dramatische Szenen müssen sich in der Nacht zum Donnerstag auch in Sinzig abgespielt haben. Dort rollte eine rund sieben Meter hohe Flutwelle an. Augenzeugen berichten von einem Mann, der zwei Stunden seine pflegebedürftige Mutter hochgehalten hat, damit sie nicht ertrinkt. Dann kam die Feuerwehr, schlug die Scheibe des Hauses ein und befreite Mutter und Sohn. Die Frau wurde anschließend in ein Krankenhaus gebracht. Zahlreiche Menschen müssen wegen der Fluten evakuiert werden. Bis zu 350 Personen sind obdachlos. Für sie sucht die Stadt Sinzig nun dringend neue Unterkünfte – auch in benachbarten Gemeinden.

Einsatzkräfte im Dauerstress

Die Einsatzkräfte versuchen bestmöglich zu helfen und die Lage sukzessive besser in den Griff zu bekommen. „Einige Kräfte sind seit fast 24 Stunden im Einsatz“, sagt Brand- und Katastrophenschutzinspekteur Michael Zimmermann. Immer wieder fahren am Donnerstagmittag Kolonnen von Rettungsdiensten, Technischem Hilfswerk, oder auch Feuerwehrfahrzeuge zu den Einsatzstellen. Frank Hitzelberger, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Bad Neuenahr-Ahrweiler, ergänzt, dass viele Polizeikräfte, die eigentlich nicht im Dienst waren, sich gemeldet haben und andere keinen Feierabend machten. Unterstützung kam nicht nur aus vielen umliegenden Kreisen, sondern auch aus Hessen oder Baden Württemberg.

Von schrecklichen Szenen aus der Integrierten Leitstelle der Koblenzer Berufsfeuerwehr berichtet auch Feuerwehrmann Olaf Becker. Die Notrufe aus der Unwetterregion gingen dort ein, Tausende waren es. Von der Leitstelle aus werden die Feuerwehren in Koblenz, Mayen-Koblenz, Bad Neuenahr-Ahrweiler und Kreis Cochem-Zell gesteuert. „Die Kollegen haben Schreckliches erlebt. Sie haben am Telefon gehört, wie Menschen starben“, berichtet Becker. Etliche der Anrufe seien abgebrochen, bevor die Menschen in Not sagen konnten, an welcher Regenrinne sie hängen, auf welchem Dach sie sich in Sicherheit gebracht haben. Dass in weiten Teilen des Unwettergebiets der Strom ausfiel, sorgte auch dafür, dass auch die Kommunikation unter den Helfern schwierig war.

Ab Mitternacht sei der Notfallseelsorger bei den Mitarbeitern der Leitstelle gewesen, die durch sechs Kollegen aus Ludwigshafen verstärkt wurden, berichtet Becker. „Aber man steht erst mal so unter Strom, das kommt später, wenn Ruhe ist.“ Aber von Ruhe kann am Morgen nach der Katastrophe nicht die Rede sein: „Heute Morgen um 6 Uhr hatten wir gleichzeitig 2000 Einsätze“, sagt Becker.

An Ruhe wird auch in den nächsten Tagen nicht zu denken sein, weder bei den Einsatzkräften noch bei den Menschen in der Unwetterregion. Und schon gar nicht im Katastrophengebiet an der Ahr.

Von unseren Reportern mit dpa

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