Kein Lohn für Schufterei
Menschenhandel: Aufräumarbeiter im Ahrtal ausgebeutet
Nach der Jahrhundertflut gab es im Ahrtal viel zu tun. Neben vielen ehrenamtlich tätigen Helfern wurden auch Arbeitskräfte angeworben - und dabei mindestens in Einzelfällen verbrecherisch ausgebeutet (Archivbild).
Boris Roessler. picture alliance/dpa

Im Schlamm und Dreck, der nach der Flut im Ahrtal zurückblieb, sah manch einer die Chance, sich zu bereichern – auf Kosten junger Aufräumarbeiter. In einem Gerichtsprozess ging es jetzt um Menschenhandel. Einblicke in ein verbrecherisches System.

Lesezeit 4 Minuten

Nachdem im Sommer 2021 die zerstörerische Jahrhundertflutwelle durch das Ahrtal gerauscht war, schlug die Stunde der freiwilligen Helfer, die sich mitunter über Wochen und Monate ehrenamtlich im Tal engagierten. Doch parallel kam es auch, zumindest in Einzelfällen, zu Arbeitseinsätzen, die mit Freiwilligkeit wenig zu tun hatten – eher mit Geschäftemacherei in mitunter sogar verbrecherischer Dimension, wie jetzt ein Urteil des Amtsgerichts Hannover zeigt. Dort wurde ein 37-Jähriger wegen Menschenhandels in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten rechtskräftig verurteilt. Er hatte laut Urteil mindestens vier Personen 2021 bei Aufräumarbeiten im Ahrtal ausgebeutet.

Ermittlungen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Hannover hatten die Vorgänge ans Licht gebracht. Wie eine Sprecherin der Behörde mitteilte, hatte der Angeklagte junge Leute unter anderem in Rumänien mit falschen Versprechen angeworben, sie dann in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht und im zerstörten Ahrtal schuften lassen – für irrwitzig wenig Geld.

Die Zerstörungen im Ahrtal waren immens, die Aufräumarbeiten forderten gigantischen Aufwand. Manch einer sah dabei offenbar eine Chance, sich zu bereichern (Archivbild).
Thomas Frey. picture alliance/dpa

„Bei der Befragung der Beschäftigten wurde deutlich, dass der Angeklagte insbesondere die wirtschaftliche Lage der Geschädigten ausnutzte, da diese laut Angaben in der Befragung erst nach der Hilfe von Dritten das Arbeitsverhältnis beenden und die gestellten Unterkünfte verlassen konnten“, wird die Zoll-Sprecherin weiter zitiert.

Der Mann hatte schon vorher einiges auf dem Kerbholz, wie aus dem im Urteil zitierten Bundeszentralregisterauszug hervorgeht – Diebstahl, gemeinschaftlicher Raub, Nötigung, vorsätzliche Körperverletzung, Verstoß gegen das Waffengesetz, Umgang mit gefährlichen Abfällen, immer mal wieder Fahren ohne Fahrerlaubnis. Und eine Steuerhinterziehung.

Von Langenhagen bei Hannover aus organisierte er dann 2021 offenbar die Ahrtal-Arbeitseinsätze – gemeinsam mit einer Frau, die ebenfalls angeklagt war, deren Verfahren allerdings eingestellt wurde. Laut Urteilsabschrift beuteten die beiden die Arbeitskräfte aus, „indem sie diese aus rücksichtslosem Gewinnstreben beschäftigten, ohne den versprochenen Lohn oder Verpflegungsgeld zu zahlen, und die Tatsache ausnutzten, dass die rumänischen Arbeitskräfte mangels finanzieller Mittel nicht in der Lage waren, in ihr Heimatland zurückzukehren, und die Arbeitskräfte teilweise unter 21 Jahre alt waren.“

„Für den gesamten Arbeitszeitraum erhielt er lediglich die Gemeinschaftsunterbringung im Hotel sowie zwei Mal 50 Euro für Lebensmittel, aber keinen Lohn.“
Aus dem Urteil

Im Urteil ist von vier einzelnen Taten die Rede – der Angeklagte hat sich laut Urteil in all diesen Fällen des gewerbsmäßigen Menschenhandels schuldig gemacht.

1 Der Angeklagte warb einen zum Tatzeitpunkt 19-Jährigen in Rumänien mit dem Versprechen an, dass er monatlich bis zu 2000 Euro verdienen könne. Er kam zunächst in einem Hotel in Köln unter, kam dann von Ende August bis Ende Oktober 2021 bei Aufräumarbeiten auf einem Campingplatz im Hochwassergebiet zum Einsatz. Dabei arbeitete er montags bis samstags jeweils von 5 bis 17 Uhr. „Für den gesamten Arbeitszeitraum erhielt er lediglich die Gemeinschaftsunterbringung im Hotel sowie zweimal 50 Euro für Lebensmittel, aber keinen Lohn“, heißt es wörtlich im Urteil.

2 Ein weiterer angeworbener Arbeiter hielt sich bereits in Deutschland auf, er kam zunächst in verschiedenen Gemeinschaftsunterkünften unter. Vom 17. August bis Ende Oktober 2021 leistete er täglich etwa zwölf Stunden Aufräumarbeiten. In der gesamten Zeit erhielt er lediglich 500 Euro als Bezahlung.

3 Auch im dritten Fall wurde einem jungen Mann versprochen, er könne bis zu 2000 Euro im Monat verdienen. Über diverse Unterkünfte in Köln ging es Ende August ins Ahrtal. Bis zum 15. Oktober musste er ran, täglich von 7 bis 17 Uhr mit einer halben Stunde Mittagspause. Er erhielt gar keinen Lohn, lediglich 175 Euro Verpflegungsgeld für die gesamte Zeit.

4 In Belgien warb der Angeklagte eine Frau an – ihr versprach er 1800 Euro monatlich bei freier Kost und Logis. Wiederum über Köln wurde sie ins Ahrtal gebracht, wo sie vom 10. Oktober bis zum 22. November täglich von 7 bis 16 Uhr arbeitete. Das Urteil erwähnt in diesem Fall tägliche Transferzeiten von dreieinhalb Stunden je Strecke. „Das versprochene Verpflegungsgeld wurde nicht ausgezahlt. Für die Bereitstellung von Schutzkleidung musste sie 80 Euro abarbeiten. Für die gesamte Beschäftigungszeit erhielt sie lediglich 50 Euro in bar.“

Die Zerstörungen im Ahrtal waren immens, die Aufräumarbeiten forderten gigantischen Aufwand. Manch einer sah dabei offenbar eine Chance, sich zu bereichern (Archivbild).
Thomas Frey. picture alliance/dpa

In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Hannover im März dieses Jahres gab der Angeklagte alles zu. Über seinen Anwalt erklärte er, dass er die Koordinierung im Ahrtal übernommen habe. Zeitweise sei es um 300 Leute gegangen, die er eingeteilt habe. Dazu sei er auch selbst über einen längeren Zeitraum vor Ort gewesen. Er selbst habe Pauschalbeträge von den Auftraggebern erhalten und selbst die Arbeitnehmer beschäftigt. Arbeitsverträge seien vor Ort unterschrieben worden, Gehälter seien bar ausgezahlt worden – dazu kam es zu Geldabhebungen zwischen 50.000 und 200.000 Euro. Die vier genannten Arbeitskräfte haben zwischenzeitlich Geld erhalten – es kam zu arbeitsgerichtlichen Vergleichen, der Angeklagte zahlte vierstellige Beträge aus.

Wie mag die Stimmung in den diversen Unterkünften gewesen sein – im Angesicht der Zerstörungen der Jahrhundertkatastrophe im Ahrtal? Wie ein Sprecher des Amtsgerichts gegenüber unserer Zeitung erklärte, sei in vorab getätigten Zeugenaussagen mitunter von fast rebellischen Szenen die Rede gewesen. Ein geladener Zeuge vom Hauptzollamt sagte aus, dass „wohl auch ein Brand in der Unterkunft gelegt wurde“. Auch von Gewalttätigkeiten gegenüber den Arbeitnehmern wurde berichtet. Der Angeklagte erklärte laut Urteil, dass es seinerseits nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen sei.

Das Gericht bildete eine Gesamtfreiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dabei berücksichtigte der Richter mit den beiden Schöffen mehrere Faktoren, wie es im Urteil heißt, neben dem „rückhaltlosen Geständnis“ etwa die Tatsache, dass die Taten inzwischen mehrere Jahre zurückliegen. „Ferner hat das Gericht zulasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er innerhalb kürzester Zeit eine weitere Tat begangen und sich von der Signalwirkung der Hauptverhandlung, die unabhängig von der Rechtskraft der getroffenen Entscheidung eintritt, absolut unbeeindruckt gezeigt hat.“

Top-News aus der Region

Weitere regionale Nachrichten