Drei Jahre. Drei Jahre sind inzwischen vergangen, seit eine gewaltige Flutwelle in weiten Teilen des Ahrtals Zerstörungen in kaum vorstellbaren Ausmaßen anrichtete. Nach dem Aufräumen begann bald der Wiederaufbau – bis heute prägen Bagger, Kräne und sonstige Baumaschinen das Bild an der Ahr. Es lärmt an allen Ecken und Enden. Wie steht es um die Mammutaufgabe Wiederaufbau? Einen umfangreichen Eindruck hat sich jetzt der Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen des Deutschen Bundestages verschafft.
Bei einem „öffentlichen Fachgespräch“, das live ins Internet übertragen wurde, kamen etliche Experten und Akteure zu Wort, die mittel- oder unmittelbar mit Aufbauprojekten befasst sind. Bürokratische oder gesetzliche Hemmnisse kamen dabei ebenso zur Sprache wie Probleme mit der Finanzierung oder der behördenübergreifenden Kommunikation. Mitunter klangen die Einschätzungen sehr pessimistisch. So sagte etwa Martin Schell von der Wiederaufbau- und Zukunftsgesellschaft Mittelahr, dass es beim kommunalen Wiederaufbau „an allen Ecken hakt“.
Sandra Weeser, FDP-Bundestagsabgeordnete aus Betzdorf (Kreis Altenkirchen), ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses. Sie hatte das Fachgespräch, an dem auch weitere Abgeordnete aus Rheinland-Pfalz teilnahmen, moderiert. Im Gespräch mit unserer Zeitung zieht sie Bilanz.
Frau Weeser, wie bilanzieren Sie als Ausschussvorsitzende das öffentliche Fachgespräch?
Die unterschiedlichen Sichtweisen der kommunalen Vertreter und der Vertreter des Bundesministeriums und der Landesministerien haben vor allem deutlich gemacht, dass ein Austausch wie in Form des Fachgesprächs auch im dritten Jahr nach der Flut von entscheidender Bedeutung ist. Gleichzeitig hat die Anhörung aber auch gezeigt, dass es einen großen Unterschied bei der Wahrnehmung des Fortschritts gibt. Die Fristverlängerungen für die Beantragung von Hilfen und die Anpassung des Paragraf 246c Baugesetzbuch haben vieles vereinfacht. Aber im dritten Jahr des Wiederaufbaus sind viele Kommunen aufgrund der parallelen Aufgaben im Bereich des Wiederaufbaus von Planung und Umsetzung, Betreuung von Provisorien sowie Aufrechterhaltung der kommunalen Infrastruktur neben den anderen regulären kommunalen Aufgaben über die Maßen beansprucht. Das klare Feedback von der kommunalen Ebene hat allen noch einige Aufgaben ins Lastenheft geschrieben.
Unter dem Eindruck des Fachgesprächs: Wo steht der Wiederaufbau im Ahrtal?
Es ist bereits viel passiert in Sachen Wiederaufbau im Ahrtal. Das zeigen die hohen Bewilligungsquoten bei den Anträgen aus der Aufbauhilfe für den Bereich der allgemeinen kommunalen Infrastruktur und des privaten Aufbaus. Gleichzeitig müssen wir zum Beispiel im privaten Bereich mit rund 9000 zerstörten und beschädigten Häusern und 3566 bewilligten Anträgen davon ausgehen, dass viele Anträge noch gar nicht gestellt worden sind. Es ist eine gewisse Ermüdung und Erschöpfung bei den Berichten der Beteiligten vor Ort deutlich zu spüren. Umso wichtiger ist es deshalb jetzt, unnötige bürokratische Hürden anzugehen und endgültig abzuschaffen.
Mehrere Redner sprachen in dem Fachgespräch von bürokratischen und gesetzlichen Hemmnissen beim Wiederaufbau. Welche sind die schwierigsten aus Ihrer Sicht? Und wie können sie abgebaut werden?
Die Anwendung aller relevanten bau- und planungsrechtlichen Verfahren und Beteiligungsprozesse bedeutet angesichts der Menge der Baumaßnahmen einen ungeheuren Zeitaufwand. Ein Sachverständiger hat beispielsweise den Nachweis einer Elementarschadensversicherung für jedes einzelne Gebäude angesprochen oder, wenn diese nicht wirtschaftlich darstellbar wäre, der Nachweis eben darüber. Für all solche Lasten haben viele Menschen im dritten Jahr des Wiederaufbaus immer weniger Verständnis. Das kann ich nachvollziehen.
„Der Bund macht es uns schwer“, „das Land macht es uns schwer“ – vom Hin- und Herschieben des Schwarzen Peters war die Rede. Wie schätzen Sie es ein? Inwieweit wird über Ebenen hinweg zum Wohl des Tals gehandelt?
Ich bin überzeugt, dass sich die Vertreter aller Ebenen nach bestem Wissen und Gewissen für einen effizienten und resilienten Wiederaufbau des Ahrtals einsetzen. Gleichzeitig treten bei der Umsetzung der gesetzlichen Rahmenbedingungen oft Zielkonflikte zutage. Hier sollten die Lerneffekte ohne gegenseitige Schuldzuweisungen im Sinne der Betroffenen zügig erkannt und genutzt werden können. Aus meiner Sicht wäre es nach wie vor sehr hilfreich, wenn hier nochmals bei der Koordination beispielsweise mit einem Ahrtal-Beauftragten nachgebessert werden würde.
Eine verpflichtende Elementarschadenversicherung bei öffentlichen Gebäuden sei wirtschaftlich nicht darstellbar, hieß es. Wie stehen Sie dazu?
Eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden würde mehr Bürokratie für die ohnehin überlasteten Kommunen, zum Beispiel bei der Antragstellung oder bei der Kontrolle von Wohngebäuden, bedeuten. Deshalb sind Investitionen in klimaangepasste Bau- und Städteplanung zum Beispiel im Bereich des Hochwasserschutzes notwendig. Gleichzeitig muss neues Bauland risikoangepasst dort ausgewiesen werden, wo Elementarschäden wie Hochwasser, Erdbeben, Erdrutsche, Stürme oder Lawinen unwahrscheinlich sind.
Die Fragen stellte Tim Kosmetschke
HwK und IHK fordern Fristverlängerung der Wiederaufbauhilfe für flutgeschädigte Unternehmen
Am 31. Dezember endet die Antragsfrist zur Wiederaufbauhilfe für flutgeschädigte Unternehmen im Ahrtal – für private Haushalte wurde die Frist bereits bis Mitte 2026 verlängert. Eine solche Verlängerung fordern die Handwerkskammer (HwK) Koblenz sowie die Industrie- und Handelskammer (IHK) Koblenz nachdrücklich auch für Unternehmen.
„Bereits über 500 Millionen Euro wurden bisher an flutgeschädigte Unternehmen bewilligt. Dennoch stehen viele Betriebe vor administrativen und logistischen Herausforderungen, die eine fristgerechte Antragstellung erschweren“, sagt Stephanie Binge, Leiterin der Abteilung Beratung und Wirtschaftsförderung der HwK Koblenz, laut einer Pressemitteilung. „Die Unternehmen benötigen mehr Zeit, um die umfangreichen Dokumentationen und Nachweise zu erbringen.“
Sowohl IHK als auch HwK Koblenz seien in engem Austausch mit der Landesregierung, die ihrerseits mit der EU-Kommission verhandelt, um die Antragsfrist bis zum 30. Juni 2026 zu verlängern. Dieses Notifizierungsverfahren bei der Europäischen Kommission soll sicherstellen, dass Unternehmen die gleiche Fristverlängerung wie Privathaushalte erhalten. red