Felix Rossbach traut seinen Augen nicht, als er eines frühen Morgens noch in schlafwandlerischer Trance zum großen Fenster seines Schlafzimmers schlurft. „Ich hab die Vorhänge weggezogen und auf einmal stand ein Reh direkt vor mir auf der Terrasse“, erinnert sich der 34-Jährige. Vor gut zwei Jahren hat sich Rossbach direkt am Waldrand, unterhalb der Skihütte von Daaden im Kreis Altenkirchen, eine echte kleine Ferien-Holzhütte in den Hang gezimmert. Rossbach genießt die Freiheit der Natur hier in vollen Zügen. Dabei wollte er vor einigen Jahren einfach nur weg vom Dorf, wo er aufgewachsen ist.
Rossbach hatte vom Leben auf dem Land in Daaden, überhaupt von Deutschland, genug. Er wollte dorthin, wo die Uhren sprichwörtlich anders ticken. In der australischen Millionenstadt Adelaide fand der gebürtige Kirchener sein Glück, lebte und arbeitete fünf Jahre in Down Under – bis es ihn wieder in die Heimat verschlug, zurück aufs Land. Hier hat er gefunden, was ihm die Großstadt nie gleichermaßen geben konnte: Freiheit und Zusammenhalt.
Bezahlbaren Wohnraum selbst geschaffen
Jetzt ist der Wald Rossbachs Nachbar. Die Pläne für das Tiny House mitten in der Natur hat der gelernte Architekt selbst entworfen. 65 mit Holz ummantelte Quadratmeter Wohnfläche samt Rundumblick ins Grüne reichen Rossbach seither zum Leben aus. „Ich wollte ein Haus bauen, das ich nicht mein ganzes Leben lang abbezahlen muss“, sagt der 34-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung.
Generell: Kredite sind nicht Rossbachs Ding. Sie binden, schränken ein und rauben Freiheit, findet er. Freiheit, für Rossbach mehr als der Wunsch nach Selbstbestimmung. Für ihn ist es ein Lebensgefühl, das sich Menschen in hiesigen Kulturkreisen aus seiner Sicht zu schnell streitig machen lassen. Von Verpflichtungen, von der Arbeit, von vorgefertigten Lebenswegen. Rossbach wollte diesem kulturellen „Laufrad“ entfliehen. Und er ist geflohen.
Auswandern ans andere Ende der Welt
Auf dem Land habe er sich als Heranwachsender zunehmend eingeschränkt gefühlt, erzählt er. „Mich hat diese deutsche Mentalität genervt. Ich wollte das Konzept von Weite und Freiheit spüren.“ Gerade mal eine Woche nach dem Ende seines Studiums der Architektur in Aachen wanderte Rossbach nach Australien aus. „Ich habe meinen Rucksack gepackt und bin einfach los.“ Australien kannte er schon bestens aus Familienurlauben. Zudem habe er nach dem Abitur ein Jahr dort verbracht, erzählt Rossbach.
Sein Ziel: Adelaide, die Hauptstadt des Bundesstaates South Australia. 1,3 Millionen Menschen leben dort. Daaden hat knapp 4500 Einwohner. Es war der erhoffte Tapetenwechsel. In Adelaide suchte und fand er direkt Arbeit. „Das war nicht schwer, ich musste nur fragen. Die deutsche Arbeitermentalität ist da bekannt“, erzählt Rossbach grinsend. Zwei Jahre habe er als „Handlanger“ bei einer Baufirma geackert und Sonnensegel an allen möglichen Orten, auf privaten Terrassen und über Fußballstadien installiert. Das Ozonloch lässt grüßen.
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Die folgenden Jahre ging es für Rossbach steil bergauf. In der Firma stieg er zum Verkaufsmanager auf, wohnte in einem Mietshaus mit Garten – Mietwohnungen seien in Australien eher unüblich – und freundete sich mit Einheimischen an. „Heimat ist für mich da, wo Menschen einem das Gefühl geben, zu Hause zu sein. Das hatte ich in Adelaide – und in Daaden“, stellt Rossbach fest.
Trotz alldem strich er 2019 wieder die Segel in seiner australischen Heimat. Er wollte zurück aufs Land – und vor allem wieder näher zu seiner Familie. Denn in der Stadt war nicht alles Gold, was glänzte. „Ich habe in der Stadt sehr viel Geld für Miete bezahlt. Die Möglichkeiten dort sind zwar super, aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis hat einfach nicht mehr gepasst“, gesteht er. In seiner Hütte in Daaden lebt es sich weitaus günstiger. Mit Wasser wird er dank eines riesigen Tankes und einer Filteranlage vom Regen versorgt, Wärme spendet ein moderner Pelletofen.
Den lauten Verkehr und die Parkplatzsuche vermisst Rossbach auch nicht. „Du verbringst in der Stadt sehr viel Zeit mit Nebensächlichkeiten, die Leute auf dem Land überhaupt nicht kennen“, sagt Rossbach dazu. „Mich hat das am Ende zermürbt.“ In Daaden parkt der 34-Jährige sein Auto entspannt unter einem Carport.
Zusammenhalt wird groß geschrieben
Verkehr: Den gibt es in der Stadt zu viel, auf dem Land zu wenig. Die Infrastruktur an und um seinen jetzigen Wohnort sei „der Horror“ und mehr als ausbaufähig, findet der 34-Jährige. Gleichzeitig spiegele dieser Umstand einen Vorzug vom Dorf wider: „Hier läuft alles etwas langsamer.“ Und ein weiterer Pluspunkt: „Der Zusammenhalt unter den Leuten ist absolut da.“ Rossbach hat das höchstpersönlich beim Bau seiner Holzhütte erlebt. Handwerker, Angehörige und Freunde: Sie alle halfen ihm bei der Verwirklichung seines kleinen, eckigen Traumes.
Du verbringst in der Stadt sehr viel Zeit mit Nebensächlichkeiten, die Leute auf dem Land überhaupt nicht kennen.
Felix Rossbach
Die Stadt wurde Rossbach nach einigen Jahren zu unpersönlich. Trotzdem will er die Zeit dort nicht missen – im Gegenteil. Für ihn sei das Leben am anderen Ende der Welt horizonterweiternd gewesen. „Es ist ein bisschen wie bei Leuten, die früher auf die Walz gegangen sind. Sie sind auch von zu Hause weg, um Input zu sammeln und mit diesen Erfahrungen wiederzukehren.“ Genau aus diesem Grund würde er jedem jungen Menschen auf dem Land empfehlen, mal rauszukommen. „Das verändert den Blick auf Menschen und Kulturen.“
Die absolute Freiheit in der Natur
Ab und an genieße er jetzt noch das „Gesamtpaket Stadt“, sagt Rossbach. Durch seine Arbeit beim Architekturbüro Herzog in Hamburg halte er sich immer mal wieder in der Hansestadt auf. Das Leben dort ist für ihn aber kein Vergleich zum Leben im Tiny House, wo die Natur ans Schlafzimmerfenster klopft.
Die Freiheit auf dem Land genießt Rossbach in vollen Zügen. „Die habe ich hier absolut. Wenn ich will, bretter ich einfach eine Runde mit dem Bike durch den Wald“, stellt er zufrieden fest. Aber: Ein gesunder Wechsel zwischen Metropole und Dorf gehört für ihn mittlerweile auch dazu. In der Stadt könne er seinen Horizont erweitern, meint Rossbach. In Daaden sieht er dagegen die Abendsonne hinter ihm untergehen.
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