Die 55. Ausgabe der Art Cologne fand unter besonderen Vorzeichen statt − Wir haben uns auf der Messe umgeschaut
Zwischen Wohlfühlkunst und Existenzangst: Ein Erfahrungsbericht von der Art Cologne
Die 55. Ausgabe der Art Cologne, der renommiertesten Kunstmesse Deutschlands, hat auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Besucher in die Kölnmesse gelockt.
Agnes Schofield

Am heutigen Sonntag endet in Köln die Art Cologne, die erste, damit älteste und bis heute renommierteste Kunstmesse in Deutschland. Nach der Corona Pause herrschte bei der diesjährigen Ausgabe zwar eine allgemeine Aufbruchsstimmung bei den ausstellenden Galerien, jedoch keine Euphorie. Neben der schwierigen wirtschaftlichen Gesamtlage spielte dabei auch die Angst vor Protestaktionen durch Klimaaktivisten eine Rolle. Ein Erfahrungsbericht:

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Die 55. Ausgabe der Art Cologne, der renommiertesten Kunstmesse Deutschlands, hat auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Besucher in die Kölnmesse gelockt.
Agnes Schofield

„Gute Kunst”, sagt der Direktor der Art Cologne, „ist in meinen Augen etwas, das direkt zu uns spricht und mit wenigen Mitteln viel kommunizieren kann.“ Daniel Hug steht als Gastgeber und Talkgast auf einem Podium in Halle 11, dritte Ebene der Kölnmesse. Er sieht entspannt aus, lächelt, witzelt. Die Pandemie habe er zum Umgestalten der Verkaufsschau genutzt, erklärt er. Statt langen verschachtelten Gängen gibt es dieses Jahr um ein Quadrat herum angeordnete Stände. Neu sind zudem die flughafenähnlichen Kontrollen am Eingang – wegen möglicher Anschläge auf Kunst durch Klimaaktivisten.

Kunst lebt immer von der Präsentation. Auf einer Messe für Arbeiten der Branche ist die Art des Ausstellens elementar. Sie ist sogar verkaufsentscheidend. Hier geht es nicht ums Durchklicken von Objekten am Bildschirm, wo alles gleich groß ist, ergo handydisplayklein. Hier kann man die Kunst (und ihre Größe) unmittelbar auf sich wirken lassen, sie direkt zu sich sprechen lassen, um Hugs Qualitätsmerkmal aufzugreifen.

Polizeiauto als Publikumsmagnet

Ein solches Kunstwerk ist etwa das ausgebrannte Polizeiauto unweit der Talklounge. Es steht quer in der Messekoje des Neuen Aachener Kunstvereins – und hat bei näherem Betrachten sogar etwas Schönes: Die glitzernden Scherben, in die die Windschutzscheibe zerbrochen ist, erinnern an Zirkonia. Die Motorhaube, deren Farben von Braun nach Silber über Nuancen dazwischen fließen, besitzt zudem etwas Malerisches. Urheber des Werks ist ein 20 Personen starkes Künstlerkollektiv namens Frankfurter Hauptschule, so erklärt es der junge Mann, der den Stand bewacht.

Seit Beginn der Messe beobachtet Mathis Henne die Reaktionen der Messebesucher: Egal, ob jung oder alt, die wenigsten ziehen an dem abgebrannten Auto vorbei. „Viele sagen, es sei die spannendste Arbeit auf der Art Cologne“, so Henne. Für 30.000 Euro kann man sie mitnehmen. Samt Video, das an der Wand gegenüber die Reaktionen von Passanten auf das 2018 im Frankfurter Bahnhofsviertel abgestellte Kunstwerk dokumentiert.

Einer der Hingucker der Messe: das ausgebrannte Polizeiauto des Kollektivs Frankfurter Hauptschule
Agnes Schofield

Die Frankfurter Hauptschule (in Anlehnung an die philosophische Bewegung Frankfurter Schule) stehe für fundierte Arbeiten, nutze aber eine humorvolle und krawallige Sprache, erklärt Henne. Die Aktion des abgebrannten Polizeiautos mit dem Titel „Visionäre Ruine” war als Protest gegen die Verdrängung von Obdachlosen und Drogensüchtigen aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel entstanden.

Es ist die mit Abstand mutigste Arbeit auf der Art Cologne, gemessen am Gros der Offerten in diesem Jahr. Viele der 140 vertretenen Galerien wollen den Besuchern Komfortzonen mit Wohlfühlkunst bieten, nicht verstören, sondern verkaufen, was jedoch nicht immer gelingt. Aus Sorge darum sind einige Galerien gar nicht erst erschienen. Auch deshalb wirkt die Messe luftig.

Unter den Ausstellern vertreten war auch der Bad Emser Kunstsammler Sebastian Jacobi, der an seinem Stand unter anderem einen 120.000 Euro teuren Tisch von Lilly Reich und Ludwig Mies van der Rohe präsentierte (hinten).
Agnes Schofield

Aus Bad Ems angereist ist derweil Aussteller und Kunstsammler Sebastian Jacobi. Er wirkt obendrein als Kurator des erstmals in die Art Cologne integrierten Sektors „Art and Object” mit, der auf einem Quadrat im Quadrat Platz findet und aus 16 Ständen besteht, in denen angewandte Kunst feilgeboten wird. Designstücke also, Antiquitäten, Möbel, kurzum: Das, was bei Sammlern neben Kunst sonst noch so die Räume schmückt, aufwertet und mit dem Glanz von großen Gestaltungsideen erfüllt.

Jacobi hat seinen Stand in Knallfarben getaucht: die Wände korallenrot und lila gestrichen und auf ungewöhnliche Weise einen „kontemplativen Raum” erzeugend. Dem Geschrei der zeitgenössischen Kunst, zumal auf Messen, will er „etwas Ruhiges entgegensetzen”. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit Farbkonzepten, ist nicht nur Sammler, sondern berät auch Kunden wie ein Innendesigner.

Der „Urknall“ des Schreibtischs

Die neun Objekte, die Jacobi in seiner Koje ausgestellt hat, reichen in der Preisspanne von 1400 Euro (Wandleuchte von Gino Sarfatti, 1959) bis 120.000 Euro (Tisch aus Makassar-Holz von Lilly Reich und Ludwig Mies van der Rohe, um 1930). Letzteren nennt Jacobi „mein Masterpiece” und „den Urknall des modernen Schreibtisches”. Auf die Frage, wie das Geschäft läuft, vergleicht Jacobi die Teilnahme an der Art Cologne am dritten Messetag mit einem Steinwurf, der einen weiten Flug haben kann und nicht flugs zu Einnahmen führt. Manche großen Verkäufe könnten sich erst Monate später ergeben.

Hervorgegangen ist der „Art and Object“-Sektor im Übrigen aus der Cologne Fine Art, einer Messe, die bisher außerhalb der Art Cologne und für sich stattfand – aber schwächelte. Ein neuer, vielleicht letzter Versuch, sie zu erhalten.

Vielschichtiger Galeriemarkt

Trotz der Rekorde am Kunstmarkt – Anfang November etwa durchbrach die Auktion der Kunstsammlung des 2018 verstorbenen Microsoft-Mitbegründers Paul Allen die 1-Milliarde-Dollar-Marke) – müssen viele Galerien derzeit ums Überleben ringen. Die Pandemie hat der Szene zwar keinen flächendeckenden Schaden zugeführt: Manche konnten aufgrund des angestauten Geldes im Lockdown sogar mehr verkaufen. Einige erhielten auch staatliche Zuschüsse. Doch besteht der Galeriemarkt aus vielen Schichten.

„Es gibt die Big Player mit mehreren Dependancen, Umsätzen bis zu 100 Millionen Dollar im Jahr und 200 Mitarbeitern”, sagt Daniel Hug. „Und es gibt den Zweipersonenbetrieb, der nur 10.000 Euro im Jahr macht.” Die Vorwürfe, dass die gesamte Branche in der Pandemie zu Unrecht bezuschusst worden sei, schmettert Hug indes lächelnd ab. Und erntet Applaus.