Hintergrund sei, dass das RKI bis Anfang März die Empfehlung ausgegeben habe, bei Corona-Verdachtsfällen Patienten immer stationär in eine Klinik aufzunehmen. Im besonders betroffenen Kreis Heinsberg in NRW habe dies dazu geführt, „dass Krankenhäuser dort handlungsunfähig geworden sind, dass Abteilungen bestimmte Patienten nicht mehr versorgen können und dass aufgrund der Empfehlungen des RKI die ambulante Versorgung von Kindern nicht mehr stattfinden konnte, weil vier Kinderärzte in Quarantäne geschickt worden sind. Und warum? Wegen einer Infektion, deren Verlauf einer Influenza-Epidemie gleicht. Das ist überreguliert und medizinisch nicht begründbar.“ Jeder Herzinfarkt- und Schlaganfallpatient habe Anspruch auf gute Versorgung. „Aber wenn wir in den Routinebetrieb in den Krankenhäusern aufgrund der unkoordinierten und hysterischen Abverkäufe von Schutzmasken und Desinfektionsmitteln nur noch eingeschränkt aufrechterhalten können, darf das nicht sein.“
In Rheinland-Pfalz nimmt die Zahl der Coronavirus-Fälle weiter zu, am Freitag wurde ein zweiter Fall in Mainz bestätigt: Eine 70-jährige Frau zeigte nach einem Urlaub in Spanien milde grippeartige Symptome und wurde unter häusliche Quarantäne gestellt.Wirrwarr in Zeiten von Corona: Streit im Land über Zuständigkeiten und Fieberambulanzen
Ärzte und Sprechstundenhilfen sollten ohne Symptome nicht gleich in Quarantäne kommen und Praxen so zur Schließung gezwungen werden. Die Aufklärung der Bevölkerung und die Vorbereitung auf die nächste Corona-Welle müssten verbessert werden, forderte Brokmann. „Es wird im Moment mit der Angst der Bevölkerung gespielt“, sagte der langjährige Notfallsanitäter Bernhard Gliwitzky aus Knittelsheim bei Landau. „Wegen dieser Angst denkt jetzt jeder, dass er wegen eines saisonalen Schnupfens den Rettungsdienst alarmieren muss. Das führt zu einer Überlastung des Systems.“
Auch die Bundesregierung geriet in die Kritik: So habe das Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz immer wieder darauf hingewiesen, „dass wir für solche Krisen eine Vorplanung und zentrale Vorhaltung von Materialien benötigen“. Doch geschehen sei zu wenig, wie sich jetzt zeige: „Da kann man sich besser aufstellen“, sagte Brokmann. „Bei der Katastrophenvorbereitung ist in den Krankenhäusern auf sehr kleiner Flamme gekocht worden“, sagte Dr. Stephan Prückner vom Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement am Münchner Uniklinikum. Entsprechende Übungen würden nicht ausreichend finanziert, daher müsse man sich auch angesichts der angespannten Finanzlage auf die Einnahmen aus den Fallpauschalen konzentrieren.
Brokmann kritisierte auch das große Wirrwarr an Zuständigkeiten im Gesundheitssystem, an dem die Politik bis heute nichts geändert habe: „Der Patient findet sich doch in diesem Dschungel nicht mehr zurecht. Er weiß doch gar nicht mehr, wo er mit welchen Beschwerden hingehen soll. Und ich kann das verstehen. Deshalb brauchen wir ein Scouting für den Hilfe suchenden und deshalb auch hilflosen Patienten.“ Er forderte wie in anderen europäischen Ländern eine zentrale Notrufnummer, unter der Patienten an 24 Stunden und an sieben Tagen Experten erreichen, die ihre Leiden einschätzen und an die richtige Stelle verweisen. Stattdessen halte Minister Jens Spahn (CDU) in seiner Reform der Notfallversorgung an den Parallelstrukturen von 112 (Rettungsdienst) und 116.117 (Ärztlicher Bereitschaftsdienst) fest. Und während die Kassenärzte ihre Leitstellen mit einem bundeseinheitlichen Abfragesystem ausstatteten, hinke der Rettungsdienst, der in der Zuständigkeit der Länder ist, immer noch hinterher. „Wir müssen Notfallversorgung endlich aus Patientensicht machen.“