Das ist ein mutiger, entlastender und verantwortungsbewusster Schritt. Diese Entscheidung kann uns als Verwandte im Angesicht des Todes eines lieben Menschen immer zwar noch den Verstand rauben. Doch klare Regeln schaffen Ordnung in einem so aufgewühlten Moment größter Emotionen.
Auch in einer Pandemie geht es um Leben und Tod. Bereits während der ersten Welle, als uns noch nicht einmal Masken, geschweige denn ein Impfstoff vor einer Covid-19-Erkrankung schützen konnten, war klar, dass auf die Ärzte die Frage der Triage zukommen könnte. In einem überlasteten Gesundheitssystem mit einer zwar hohen, aber begrenzten Zahl an Intensivbetten liegt es auf der Hand, dass Ärzte vielleicht irgendwann entscheiden müssen, welcher Patient die besseren Überlebenschancen hat.
Die Intensivmediziner haben das getan, was ethisch handelnde Ärzte angesichts einer so dramatischen Lage tun müssen: Sie haben eigene Regeln für eine solche Triage erarbeitet. So ehrenwert dies ist: Die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde der Kläger um die schwerstbehinderte Trierer Richterin Nancy Poser legt schonungslos offen, dass ein so grundsätzliches Regelwerk über Leben und Tod in der Pandemie nicht Sache von Ärzten ist, sondern die des höchsten, direkt gewählten Verfassungsorgans – dem Bundestag.
Dass viele Politiker das Urteil loben, ist scheinheilig. Tatsächlich offenbart der Richterspruch eine regelrechte Verweigerungshaltung der Politik, in der Pandemie vorausschauend zu handeln und existenzielle Fragen zu beantworten. Ohne die Klage hätte zumindest das Risiko bestanden, dass Schwerstbehinderte zu Tode kommen – weil sie ohne klare gesetzliche Regelung aussortiert werden könnten, wie es Nancy Poser befürchtete. Das ist eine unerträgliche Vorstellung. Deshalb entlastet das Urteil auch die Intensivmediziner, denen zwar weiter die letzte Entscheidung obliegt, allerdings im Rahmen klarer Leitlinien des Gesetzgebers.
Dass eine Triage jetzt überhaupt wieder denkbar ist, liegt auch daran, dass viel zu spät gegengesteuert wurde. Der jetzt entstehende Handlungsdruck bei der Triage-Regelung ist Ausdruck einer Politik, die nicht agiert, sondern oft nur reagiert. Das ist unnötig und das Gegenteil dessen, was in der Pandemie vonnöten ist und verantwortungsbewusst wäre: Wenn es um Leben und Tod geht, braucht es klare Regeln und einen kühlen Kopf.